Moderne Analysetechnologien ermöglichen eine eingehende Analyse der Zellfunktionen und des Zellverhaltens. Dennoch beleuchten solche Methoden meist nur einen isolierten Aspekt der Physiologie. Diese technische Einschränkung macht es schwer, physiologische Zusammenhänge zu erkennen und zu verknüpfen. Prof. Özgün Gökçe und sein Team stellen nun eine neue Technik vor, um besser zu verstehen, wie einzelne Zellen als Reaktion auf eine Verletzung sowohl ihre Struktur als auch ihre Genaktivität verändern. „Wir haben diesen Durchbruch erreicht, indem wir zwei bestehende Techniken zusammengeführt haben: Multiplexed Error-Robust Fluorescence In Situ Hybridization (MERFISH), das aktive Gene in jeder Zelle identifiziert, und Elektronenmikroskopie, die uns einen hochauflösenden Blick auf die Struktur einer Zelle ermöglicht“, berichtet Prof. Gökce.
„Schaumige“ Makrophagen bei der Entwicklung von Multipler Sklerose
Von Multipler Sklerose (MS) sind europaweit etwa 700.000 Menschen betroffen. Die Krankheit wird durch Immunzellen verursacht, die fälschlicherweise körpereigene Nervenzellen im Rückenmark und im Gehirn angreifen und zerstören. Lipidspeichernde Makrophagen im Gehirn, so genannte „foamy microglia“, sind dafür bekannt, den Entzündungsprozess voranzutreiben, aber das Wissen über foamy microglia ist sehr begrenzt. Özgün Gökçe hat seine neue Methode an einem Mausmodell der MS erprobt. „Durch die Integration von Elektronenmikroskopie, Einzelzell-RNA-Sequenzierung, Lipidmessungen und MERFISH konnten wir ein Profil dieser 'schaumigen' Mikroglia erstellen“, erklärt Özgün Gökçe. „Sie hatten eine beträchtliche Menge an Fett angesammelt und waren vor allem in der Region zu finden, die am stärksten von der Verletzung betroffen war.“ Darüber hinaus identifizierten die Forschenden eine kleine Population von T-Zellen, die für die Interferonreaktionen in ihrer Umgebung verantwortlich waren. Die Integration der Datensätze ergab Korrelationen zwischen der Genexpression und den ultrastrukturellen Merkmalen der Mikroglia, was einen neuen Blick auf die Reorganisation der Zellen nach einer Hirnverletzung ermöglicht.
Physische Eigenschaften und Genexpression zusammengebracht
Der neue Ansatz ermöglicht einen umfassenderen Blick auf die Reaktion der Zellen auf verschiedene Reize. „Wir haben Hunderte von Mikroglia segmentiert, um die elektronenmikroskopischen Daten zu digitalisieren, was zu einer noch nie dagewesenen, unvoreingenommenen Gruppierung der Mikroglia auf der Grundlage ihrer Ultrastruktur führte“, erklärt Prof. Gökçe. Dies ermöglichte die Integration von ultrastrukturellen und transkriptomischen Merkmalen und erlaubte es dem Erstautor Peter Androvič, Korrelationen zwischen den physikalischen Eigenschaften von Immunzellen und ihrer Genaktivität aufzudecken. „Unsere Forschung zeichnet ein umfassendes Bild davon, wie sich einzelne Zellen in Bezug auf ihre Struktur, ihren Standort und ihre Genaktivität nach einer Art von Hirnverletzung anpassen und verhalten. Dieses Wissen könnte dazu beitragen, in Zukunft wirksamere Behandlungen zu entwickeln“, zieht Prof. Gökçe ein Fazit.