Frau Nöcker, was bedeutet Pressefreiheit für Sie?
Elena Nöcker: Die Pressefreiheit ist mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts „schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“, sie gehört also zu den Wesenselementen des freiheitlichen Staates und wird nicht umsonst durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. Sie ermöglicht den Meinungs- und Willensbildungsprozess in einer Demokratie und ist somit notwendige Voraussetzung für die Ausübung weiterer Rechte. Die Pressefreiheit sollte daher für jeden, der sich mit unserem Staat und dessen Werten identifiziert, von herausragender Bedeutung sein. Ohne die Gewährleistung der Freiheit der Presse kann keine öffentliche Kontrolle stattfinden; dann reißt der Transmissionsriemen zwischen den Bürgern und dem Staat ab.
Wie bedroht ist die Pressefreiheit heute?
Elena Nöcker: Die Pressefreiheit ist in einigen Staaten bedroht oder schlichtweg nicht vorhanden. Gefahren für die Pressefreiheit ergeben sich dabei auf verschiedenen Ebenen: In Deutschland kam es im Zusammenhang mit zahlreichen Corona-Demonstrationen zu gewalttätigen Angriffen auf Medienschaffende. Dies war unter anderem Anlass für „Reporter ohne Grenzen“, Deutschland in der Rangliste für Pressefreiheit im Jahr 2021 von dem 11. auf den 13. Rang herabzustufen. Es sind hier gesellschaftliche Gruppen wie zum Beispiel „Querdenker“ oder Neonazis, die das hohe Gut der Pressefreiheit gefährden. In autoritären Staaten wie beispielsweise China hatten Journalisten erhebliche Repressalien seitens des Staates zu befürchten, wenn sie über die wahren Zustände und das Ausmaß der Corona-Pandemie berichteten. In diesen Ländern bestimmen die Regierungen und Machtinhaber, welche Informationen verbreitet werden. Unabhängiger Journalismus ist hier „Kampfsport“.
Wir erleben gerade durch den Ukraine-Krieg, dass auch in Russland die Presse- und Meinungsfreiheit erheblich eingeschränkt sind.
Elena Nöcker: Ja, auch in Russland wird die Presse vom Staat beherrscht: Das dortige Fernsehen ist staatlich, auch andere Informationsquellen unterliegen einer strikten Zensur. Heute wird dies zur Kriegspropaganda genutzt. Journalisten drohen hohe Haftstrafen, wenn sie entgegen der staatlichen Pressevorgaben berichten. Auch der Umgang mit Alexej Nawalny verdeutlicht, mit welcher Wucht Kritiker des Systems ausgeschaltet werden. Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass Menschen bereit sind, für die Presse- und Meinungsfreiheit zu kämpfen, sich der Unterdrückung zu widersetzen und dafür viel in Kauf nehmen. Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg trauen sich immer mehr Menschen trotz der ihnen drohenden Strafen auf die Straßen Russlands. Sie demonstrieren, zeigen Friedensplakate im Staatsfernsehen und sprechen nicht von einer „Spezialoperation“, sondern von einem Krieg. Dies verdeutlicht die Kraft des Wehrhaften.
Stellen Social Media-Plattformen eine Gefahr für die Presse- und Meinungsfreiheit dar?
Elena Nöcker: Social Media Plattformen stehen in einer ambivalenten Beziehung zur Presse- und Meinungsfreiheit. Sie schaffen zunächst einen einfachen und schnellen Zugang zu einer Vielzahl von Informationen aus der gesamten Welt. Ihre Nutzer werden aktiv in das Geschehen eingebunden. Dies führt zu einem direkteren, aktiven Austausch zwischen den Menschen und Informationsübermittlern. Auf der anderen Seite ist diesen Plattformen eine Gefahr für die Presse- und Meinungsfreiheit inhärent: Der Wert von Informationen geht verloren. Auf Social Media-Plattformen können alle Menschen Informationen veröffentlichen, die „Schleusenwärterfunktion“ des klassischen Journalismus wird ausgeschaltet. Woher weiß ich, ob die Nachricht wahr ist oder nicht? Handelt es sich um „Fake News“? Werden Tatsachen wiedergegeben oder handelt es sich bloß um Meinungen? Diese Fragen zeigen, dass sich der Wahrheitsgehalt von Aussagen auf solchen Plattformen für Nutzer nur schwer ermitteln lässt.
Wer ersetzt denn in Sozialen Medien den „Schleusenwärter“?
Elena Nöcker: Das sind in erster Linie die Algorithmen, die personenbezogene Daten auswerten und den Nutzern auf ihr Persönlichkeitsprofil zugeschnittene Informationen übermitteln. Dies führt zu einer einseitigen Sichtweise. Gegenpositionen werden herausgefiltert. Gerade diese sind für die eigene Meinungsbildung und den demokratischen Diskurs aber zentral. Von gezielter Desinformation, Falschnachrichten und einseitiger Informationsübermittlung geht daher eine Gefahr für die öffentliche Meinungsbildung aus. Sie ist besonders groß, wenn sich Menschen ausschließlich über Social Media-Plattformen informieren.
Sind klassische Medien denn im Gegensatz zu Social Media automatisch glaubwürdig?
Elena Nöcker: Das sicher nicht. Die Glaubwürdigkeit jedes Mediums ist abhängig von dem Maß an Pressefreiheit, das der jeweilige Staat gewährleistet. Glaubwürdigkeit zeichnet sich aber durch weitere Faktoren aus, zu denen insbesondere Transparenz, Richtigkeit, Vertrauen und Vollständigkeit zählen. Auch in Ländern wie Deutschland, in denen die Pressefreiheit zu den höchsten Gütern des demokratischen Staatswesens zählt, wird die Glaubwürdigkeit der Medien immer wieder diskutiert.
Warum ist das so?
Elena Nöcker: Die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Presse ist für die Demokratie zentral. Sie ist unersetzbar für die Herrschaft des Volkes und die politische Meinungsbildung. In Deutschland steht dabei oftmals der Vorwurf im Raum, dass die Medien zu sehr im Einklang mit der Politik und der Regierung berichten (z.B. in der Zeit der Flüchtlingskrise). Umfragen verdeutlichen, dass den vielfältigen Medien ein unterschiedlich hohes Maß an Glaubwürdigkeit attestiert wird. Während die öffentlich-rechtlichen Sender sich hoher Glaubwürdigkeit erfreuen, nimmt diese über private Sender bin hin zu Social Media-Plattformen erheblich ab. Dies verdeutlicht einen kritischeren Umgang der Bürger mit den Medien. Zuvörderst sind aber die Medien selbst dazu berufen, Glaubwürdigkeit zu schaffen. Ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit muss stets gewährleistet sein, denn der Bürger kann nicht alles kontrollieren. Eigene Nachforschungen sind oftmals nicht möglich. Das Vertrauen der Bürger darf also keinesfalls untergraben werden. Dies ist eine Herausforderung, die der Journalismus tagtäglich zu meistern hat und deren Bewältigung an oberster Stelle stehen sollte.
Was können wir als Gesellschaft tun, um die Pressefreiheit zu verteidigen?
Elena Nöcker: Zunächst ist es wichtig, dass mit einem Tag wie diesem an die Pressefreiheit erinnert wird. Nur noch selten wird die Pressefreiheit als großartige Errungenschaft gewürdigt bzw. als solche aktiv wahrgenommen. Sie müsste aber ebenso wie die anderen tragenden Prinzipien unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung omnipräsent sein. Um die Pressefreiheit schützen und verteidigen zu können, muss die Gesellschaft stärker für deren Bedeutung sensibilisiert und aufgeklärt werden. Angriffe auf die Pressefreiheit müssen geahndet werden. Weiterhin bedarf es eines umfassenderen Schutzes für die Journalisten, die viel riskieren, um Informationen zu beschaffen und die Öffentlichkeit zu informieren. Auch reizen sie manchmal die Grenzen der Pressefreiheit aus (z.B. investigative Journalisten), aber dies um ihre Funktion in der Demokratie vollumfänglich wahrzunehmen. Mehr Rechtssicherheit für Journalisten ist insbesondere in diesen Grenzbereichen zentral. Die Pressefreiheit muss immer wieder neu errungen werden. Gerade in dieser Zeit ist die Arbeit der Journalisten von elementarer Bedeutung für die fundierte Meinungsbildung.
Der Internationale Tag der Pressefreiheit: Seit 1994 wird jedes Jahr am 3. Mai der Internationale Tag der Pressefreiheit begangen. Mit dem Gedenktag soll auf die Einschränkung und Verletzungen der Pressefreiheit sowie auf ihre grundlegende Bedeutung für das Funktionieren von Demokratien hingewiesen werden. Der Internationale Tag der Pressefreiheit wurde von der UNESCO initiiert. Weitere Informationen gibt es auf den Seiten der Deutschen UNESCO-Kommission.
Kontakt für die Medien:
Elena Nöcker
Institut für Öffentliches Recht
E-Mail: elena.noecker@uni-bonn.de