04. Juni 2024

Podcast: Kirche und Geschlecht im historischen Kontext Podcast: Kirche und Geschlecht im historischen Kontext. Mit Schwester Jakoba

Schwester Jakoba spricht über ihre Forschung zu Gender und Theologie

Genderforschung und Katholizismus haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun. Dennoch gibt es an der Uni Bonn eine Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung. Schwester Jakoba ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und spricht über die komplexe und historische Verbindung von Geschlecht und Kirche. Es geht darum, welche Auswirkungen diese Geschichte auf heutige Debatten, sowohl innerhalb der Kirche, als auch gesellschaftspolitisch.

Podcast mit Gender Jakoba
Podcast mit Gender Jakoba © Uni Bonn
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Thea Fabian:

 Wo kommt es denn her, dass diese Rollenbilder in unseren Köpfen so krass verankert sind? Oder wenn man Menschen auf der Straße anspricht und sagt. Was ist denn so typisch Frau, typisch Mann?  Dass dann immer die gleichen Antworten kommen.  Wo kommt das denn her?  Das Thema heute kennt ihr. Mit meiner Gesprächspartnerin, die mir gegenübersitzt, würdet ihr dazu aber vermutlich erst mal nicht rechnen. Wer ist Mann? Wer ist Frau? Wer nicht-binär? Und wie viel davon? Fragen, die in unserer Gesellschaft für viel Gesprächszündstoff sorgen können, je nachdem, wo man steht. Konservative und religiöse Menschen halten an traditionellen Geschlechterrollen fest, während die zeitgemäßen Diskussionen mehr Geschlechter kennen als nur zwei und Geschlecht als soziales Merkmal verstehen.  Heikel wird die Diskussion, wenn dann noch rechte Parteien ein konservatives Rollenbild der Geschlechter unterstützen. Ein hochspannendes und aktuelles Thema und eine, die sich bestens damit auskennt, ist heute unser Gast. Sie ist Frau. Sie ist Katholikin, Ordensschwester sogar. Und sie forscht zur Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche. Je mehr sie forscht, desto toleranter wird ihr Bild von und über Geschlechter. Schwester Jakoba,, schön, dass Sie heute Zeit gefunden haben. Hallo!

Schwester Jakoba:

Hallo zusammen.

Thea Fabian:

Sie kennen vermutlich beide Seiten sehr gut in der Debatte. Was denken Sie denn? Muss man sich manchmal zwischen Gott und Gendern entscheiden oder kann man beides vereinbaren?

Schwester Jakoba:

Also ich glaube, ich bin das lebendige Beispiel, dass man beides miteinander vereinen kann. Also eine Entscheidung für das eine und damit gleichzeitig gegen das andere ist auf gar keinen Fall notwendig. Aber es sorgt, glaube ich, nicht nur im religiösen Kontext für extrem viel Zündstoff, sondern, das haben Sie ja gerade auch schon gesagt, es ist einfach ein wahnsinnig emotional besetztes Thema, wo ganz viele Menschen ganz überzeugt sind, die richtige Position zu haben.  

Thea Fabian:

 Ja, wir sprechen gleich auch noch über Ihre konkrete Forschung. Aber jetzt erst mal dazu: Welches Feedback erhalten Sie denn, wenn Menschen mitbekommen, dass Sie als Katholikin zu Geschlechtergerechtigkeit forschen, also seitens der Kirche, aber auch von anderen aus?

Schwester Jakoba:

Meist ist die erste Reaktion super verwundert. Also erst mal, also wenn Sie mich jetzt alle sehen könnten, würden Sie eine Ordensfrau in Habit und Schleier vor sich sehen. Und so schade das auch ist, ist das nicht die erste Sache, die einem in den Kopf kommt, wenn man  an Genderforschung denkt. Deswegen ist zuerst die Verwunderung groß, dass ich, wenn ich meine Forschungsthemen vorstelle, sage ich forsche auch zu Geschlechterfragen. Und dann ist es meistens, das passiert ja oft mit Vorurteilen, so dass nach der Verwunderung dann erst mal sehr positives Feedback folgt von: „Achso, ach, das kann man auch machen, wenn man Theologie macht. Und das geht auch, wenn man gläubig ist, also nicht nur forscht, sondern irgendwie auch noch selber religiös ist. Und je nachdem, was für Positionen mein Gegenüber, meine Gesprächspartner*in dann vertritt, ist es sehr unterschiedlich, in was für Gespräche wird dann kommen. Denn mit mir können beide Parteien eigentlich erst mal ganz gut reden. Also ob mir da jetzt jemand Konservatives gegenübersitzt oder jemand, der sich selber eher als liberal versteht, beide Parteien haben erst mal das Gefühl "Ach ja, mit der können wir vielleicht was anfangen."  

Thea Fabian:

 Und von Seiten jetzt der Bischöfe und Priester, gibt es da auch positive Rückmeldungen oder sind die dann eher noch konservativer?

Schwester Jakoba:

Also ich selber bin ja jetzt nicht so in den Kreisen von Bischöfen und Päpsten und Klerikern so unterwegs. Da findet man in der katholischen Kirche oder breiter gefasst in religiösen Kontexten eigentlich auch jede Position, also auch Bischöfe, die sagen, das ist ein mega wichtiges Thema und wir als Kirche sollten uns nicht sofort ins Aus stellen und einfach sagen finden wir doof, reden wir nicht drüber. Und Sie können aber genauso Bischöfe oder Amtsinhaber finden, die sagen, das dürfen wir nicht, wir müssen hier klare Kante zeigen.

Thea Fabian:

 Haben Sie denn das auch schon mal erlebt, dass Leute, die jetzt in der Kirche aktiv sind, durch das Gespräch mit Ihnen vielleicht auch davon überzeugt wurden, dass Gendern und Kirche gar nicht so strikt voneinander getrennt werden?

Schwester Jakoba:

Ich bin ja weniger aktivistisch unterwegs, sondern jetzt erst mal im Rahmen von Lehre und Forschung und da ist es aber total spannend, und ich finde, es ist ein großartiger Teil von universitärer Lehre, dass ich dort Studierende sitzen habe, die in meinem Fall mindestens im Nebenfach katholische Theologie studieren und wie alle anderen Studierenden auch irgendeine vorgefasste Meinung zu Gender haben und dann in meinem Seminar landen, warum auch immer. Entweder weil sie voll dafür sind oder voll dagegen oder immer mal schon wissen wollten, was dahintersteht. Und dann mit den Studierenden ein Semester lang intensiv zu arbeiten, zu beiden Seiten zu gucken, das ist schon toll, weil man da merkt, da geschieht ganz ganz viel. Ich mache sonst Kirchengeschichte. Da erleben Sie jetzt nicht so krass Persönlichkeitsentwicklung meistens in den Seminaren, können Sie sich wahrscheinlich vorstellen. Aber das ist bei Genderthemen eben anders. Und da habe ich es schon häufig erlebt, dass zumindest die Perspektive oder der Blickwinkel ein bisschen größer wird.  

Thea Fabian:

 Die Geschlechterrollen, die bis heute noch in den Köpfen gefestigt sind, entspringen ja auch aus religiösen Traditionen. Umso spannender ist es ja auch, auf Ihre Arbeit zu blicken, die sich mit der Rolle von Frau und Mann in der Kirche auseinandersetzt. Sie haben es gerade ja schon erwähnt, sie haben Theologie studiert und mit der Männlichkeitskonstruktion von  Franziskanerbrüdern beschäftigt, also mit Menschen, die sich dem Glauben verschrieben haben. Wie war das da denn mit den Männerrollen? Also welche standen sich da gegenüber und welches Bild prägte da die Gesellschaft und welches die Kirche?

Schwester Jakoba:

Also an meiner Promotion arbeite ich gerade, deswegen kann ich Ihnen leider keine fertigen Ergebnisse präsentieren. Sondern das ist quasi die Forschungsrichtung, in die ich selber gehen möchte und arbeite und möchte mir eben da angucken, was passiert eigentlich im Mittelalter, wenn sich jetzt junge Männer dazu entscheiden, in einen Orden einzutreten, werden sie konfrontiert mit einem vollkommen anderen Männlichkeitsideal. Das ist meine These zumindest. Also sie kommen aus einer Gesellschaft, die es von Männern erwartet, dass sie Frau, viele Kinder, am besten männliche Kinder, damit sie einen Nachfolger generieren, haben, dass sie Haus und Hof haben, dass sie einen größeren Machtbereich für sich aufbauen, dass sie irgendwo drin erfolgreich sind, am besten ein Geschäft führen oder Ritter werden oder sonst irgendwie möglichst viel Macht nach außen hin präsentieren können. Und dann entscheiden sie sich aus religiösen Gründen dafür, in einen Orden einzutreten. In meinem Forschungsfall dann Franziskaner. Und dann werden sie damit konfrontiert, dass sie keine Waffen mehr tragen dürfen, dass sie zölibatär leben, also keine Lebenspartnerschaften mehr eingehen, ihre Sexualität nicht in dem Sinne ausleben, wie das vorher von ihnen erwartet wurde, dass sie sich ganz einfach kleiden, dass sie also keine Statussymbole auch nach außen tragen. Und ich glaube, das ist eben meine Forschungsthese, dass das eine ziemliche Identitätskrise auslöst, denn sie müssen dann plötzlich die eigene Geschlechtsidentität vollkommen umkrempeln. Und ich glaube, das ist gar nicht so leicht. Bestimmt auch nicht im Mittelalter.

Thea Fabian:

Ja, stimmt, ich habe auch selber noch gar nicht so darüber nachgedacht, dass das ja wirklich dann so ein kompletter Switch quasi für die Männer damals gewesen sein muss. Was haben Sie denn außerdem noch erforscht? Oder welche Ergebnisse können vielleicht für unsere Hörer*innen noch spannend sein?

Schwester Jakoba:

Also wir als Arbeitsstelle, für die ich ja arbeite, wir sind die Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung und wir forschen an ganz verschiedenen Ecken und Enden. Also das geht vom Frühmittelalter um 400 legen wir los bis zu heutigen Themen. Und was vielleicht spannend sein könnte ist, wir haben gearbeitet zu einer Heiligen aus dem 15. Jahrhundert, zur Heiligen Kümmernis. Und wenn Sie alle, die sich das gerade anhören, jetzt die Heilige Kümmernis googeln würden, dann würden Sie großartige Bilder finden von Kreuzen, an denen nicht, wie Sie erwarten, eine klassische Jesus-Darstellung zu sehen ist, sondern ein Mann, eine Frau, eine Person hängt in typisch weiblichen Kleidern, mit großem Vollbart, und Brüsten, die sind klar zu erkennen bei den meisten Darstellungen. Und da fängt die Irritation schon an, also was ist das für eine Person, die da dargestellt wird und dann auch noch so klar christlich konnotiert? Das ist total spannend. Und zu dieser Figur aus der Heiligenforschung haben wir einfach ein bisschen gearbeitet und geschaut. Was ist das denn?

Thea Fabian:

 Was gab es da so für Ergebnisse, die Sie sich angeschaut haben?  

Schwester Jakoba:

Also die Legende haben wir uns angeguckt und eben geschaut, wie kann es sein, dass eine katholisch, eine christlich verehrte Heilige plötzlich mit sowohl weiblichen als auch männlichen klassischen Geschlechtsmerkmalen dargestellt wird. Und wenn man in die Vita, also in die Lebensbeschreibung dieser Kümmernis schaut, dann wird erzählt, dass das am Anfang ganz klar eine junge Frau ist, die mit ihrem Vater zu Hause lebt. Die soll verheiratet werden an einen Barbarenkönig. Ganz klassisch also, gute christliche Frau sollverhökert werden an einen Barbarenkönig. Das kann nicht gut gehen. Sie betet eine ganze Menge, möchte das nicht. Aber ihrem Vater, der nicht gläubig ist, ist es wichtig. Es wäre eine tolle Heirat, viel Macht, viel Geld. Und sie weigert sich. Sie hat aber kein Recht, sich zu weigern. Was bleibt ihr übrig? Sie sitzt in ihrem Verlies. Ihr Vater hat sie eingesperrt, damit sie nicht fliehen kann. Und sie betet zu Gott, dass er jetzt irgendwas tut, damit sie nicht heiraten muss. Und sie bittet dann darum Gestalte mich doch um. Und Gott wird dann sich ihr zuwenden und sagt dann, so wird zumindest in der Legende dann berichtet, dass er sie ihm gleich macht und dafür sorgt, dass sie nicht mehr verheiratet werden kann. Und was passiert? Er lässt ihr einen Bart wachsen. Und der Barbarenkönig, der sie heiraten soll, ist vollkommen entsetzt und will keine Frau mit Bartheiraten. Und da sind so viele Sachen dran spannend. Warum ein Bart? Warum ist eine Frau mit Bartplötzlich nicht mehr heiratsfähig? Und was bedeutet das, dass Gott sie „gleich gestaltet“? Also geschieht da eine Transformation von Geschlecht oder sind es nur äußere Merkmale, die da verändert werden? Was macht das mit der Identität? Super spannend.

Thea Fabian:

 Es passt vielleicht im gröbsten Sinne jetzt auch schon zur nächsten Frage, die ich habe. Häufig nimmt man den Kirchenbetrieb ja eher als männliche Domäne wahr. Sie haben in Ihrer Forschung aber auch ganz andere Einblicke gesammelt, und zwar Frauen, die viel Einfluss auf Männer in Entscheidungspositionen ausüben konnten.  Und da haben Sie ja auch ein paar Beispiele mitgebracht. Vielleicht können Sie die unseren Hörer*innen mal vorstellen.

Schwester Jakoba:

Ja klar, gerne. Also meine Chefin, die Frau Muschiol, arbeitet oder hat gearbeitet, besonders zu Frauen auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Das Zweite Vatikanische Konzil ist so eine große Versammlung gewesen von wichtigen kirchlichen Entscheidungsträgern 1962 bis 1965. Das ist so das letzte große Treffen von allen Bischöfen und Kardinälen, wo man in der katholischen Kirche, wenn man nicht gerade der Papst ist, dann so richtig was entscheiden kann. Und auf diesem Konzil, dieser Versammlung waren erst mal eben nur Männer eingeladen, 3000 ungefähr, und keine einzige Frau. Und das hat nicht nur heute irritiert und geärgert, sondern eben auch schon damals die Frauen gestört. Und ab 1964, zur dritten Sitzungsperiode, waren dann 23 Frauen tatsächlich eingeladen, 23 gegen 2498 Konzilsväter. Also überhaupt gar keine riesengroße Größe, aber von nix auf 23 ist schon mal eine ganze Menge. Und was die Frauen für Wege gefunden haben, einzuwirken auf diese Männer, die da irgendwas entscheiden sollten, das haben wir erforscht. Und ich habe Ihnen zum Beispiel ein Zitat mitgebracht von Josefa Theresia Münch, eine Frau aus dem deutschen Sprachraum, die Briefe geschrieben hat, ganz viele, an die sogenannten Konzilsväter, also an Bischöfe, die zu dem Konzil gefahren sind, die da auch Stimmen und Rederecht hatten im Gegensatz zu ihr. Und die hat ganz selbstbewusst ihre Wünsche kundgetan, die die doch da vertreten sollen. Und ich lese Ihnen jetzt mal ein Zitat daraus vor: „Sollte c. 968 §1 auf dem kommenden Konzil zur Sprache kommen, so möchte ich Sie bitten: Sorgen Sie, soweit es an Ihnen liegt,  dafür, dass c. 968 §1 folgendermaßen geändert wird: "Sacram ordinationem valide recipit sola persona baptizatua" oder wenigstens "Sacram ordinationem valide recipit solus homo baptizatus."1 Für alle, die so wenig Latein können wie ich, kommt es noch mal auf Deutsch: „Die heilige Weihe empfängt gültig nur eine getaufte Person oder ein getaufter Mensch.“ Sie möchte also hier das eindeutig männlich konnotierte Wort „Mann“ ausgewechselt wissen in irgendwas, was deutlich inklusiver ist, nämlich entweder sie macht ja gleich zwei Vorschläge 1 Münch, Josefa Theresia, Brief Josefa Theresia Münch an Konzilsväter aus dem deutschen Sprachraum. Neukirch 5. Oktober 1962, in: Heyder, Regina (Hg.), Muschiol, Gisela (Hg.), Katholikinnen und das Zweite Vatikanische Konzil. Petitionen, Berichte, Fotografien, Münster 2018, 237.  „Person“ oder wenigstens „Mensch“. Und ich finde, es ist eine wahnsinnig aktuelle Debatte, die sie da schon anstößt, indem sie festhält, dass man das doch bitte nicht so eng führt. Es geht darum, dass es nicht nur Männern ermöglicht sein soll, die Priesterweihe zu empfangen, sondern eben allen Personen. Und ich finde es gerade aus heutiger Perspektive wahnsinnig beeindruckend, dass sie nicht gerne hätte, dass da steht „Männer und Frauen“, sondern sie möchte einen ganz inklusiven, ganz unbestimmten, geschlechtslosen Begriff da haben. Da soll „Person“ stehen oder „Mensch“. Und das ist ihr ein Anliegen. Also sie argumentiert theologisch mit Schriftzitaten, aber sie argumentiert auch ganz pastoral praktisch, indem sie in ihren Briefen konkret erklärt, dass es doch zu wenig Priester gibt und dass man sich doch dann nicht einschränken braucht mit so was Blödem wie Geschlecht.

Thea Fabian:

 Ja, finde ich wirklich total interessant. Hat mich auch direkt an so heutige Debatten und Diskussionen erinnert, wie Sie auch gerade schon gesagt haben. Aber wie kann man sich das genau vorstellen? Also sprechen wir hier wirklich von einer feministischen Bewegung dann auch innerhalb der Kirche oder was war den Frauen da genau wichtig dabei?

Schwester Jakoba:

Das ist ganz unterschiedlich. Also es sind unterschiedliche Frauen und ja auch nicht nur Frauen aus Deutschland oder im deutschen Sprachraum, die sich zu Wort melden oder die im Endeffekt auch eingeladen werden, am Konzil teilzunehmen, sondern es sind Frauen mit ganz unterschiedlichen Anliegen. Es gibt zum Beispiel ein Ehepaar, Alvarez Icaza, die schreiben ans Konzil und teilen Umfrageergebnisse mit. Also die führen eine riesige Umfrage durch auf der ganzen Welt, nicht repräsentativ, nicht nach heutigen wissenschaftlichen Standards, und schicken Fragebögen mit an Familien. Denn auch Männer, die nicht geweiht sind, also die nicht Priester sind oder Bischöfe, haben herzlich wenig zu melden in der katholischen Kirche. Und die fragen dann ab, was sind denn so die drängendsten Themen?" Und daran kann man toll sehen, was die Frauen, Männer, Familien damals so beschäftigt hat. Und eine der häufigsten genannten Themen ist Verhütung und Sexualität und Umgang damit. Und wenn man dann noch mal geschichtlich einordnet, 1960kam die erste Antibabypille in den USA auf den Markt, das Konzil beginnt 1962. Also das ist so ein richtig heißes Thema, wo man merkt, das ist vielleicht für zölibatär lebende Bischöfe überhaupt gar keine Lebensrealität. Oder es ist ziemlich einfach, dann zu sagen: „Nee, so neumodisches Zeug wollen wir nicht, sind wir theologisch gegen.“ Aber wenn man dann in die Lebensrealität von Frauen und Familien schaut, dann wird ganz deutlich, dass sie da in einem moralischen Zwiespalt stecken. Und das sind nicht nur, so gemein gesagt, feministische Kampfbriefe, die da ankommen zu sagen: „Nein, Freiheit für die Sexualität“, sondern das sind oft auch ganz zwiegespaltene, vorsichtige Briefe, die dann sagen, wir haben doch sechs Kinder, wir haben doch acht Kinder, und wir können uns das gar nicht leisten. Und gibt es nicht vielleicht Wege,  wie es moralisch vertretbar sein könnte? Also von allen Seiten, von allen Positionen, die man sich vorstellen kann, haben wir Zeugnisse von Frauen, denen das so wichtige Anliegen sind, dass sie sich an das Konzil wenden.

Thea Fabian:

  Gab es da denn auch Stimmen, die dagegen waren oder eine Gegenbewegung?

Schwester Jakoba:

Klar, es gibt auch Frauen, die, das ist ja heute immer noch so, die sich nicht im feministischen Diskurs engagieren, sondern im antifeministischen Bereich. Also auch Frauen, die sich innerhalb des Katholischen zu Wort melden und sagen: "Nein, ihr steht aber hier nicht für alle Frauen dieser Welt, sondern wir finden das gut und richtig, dass es bestimmte Frauen- und Männerbilder gibt, die übertragen werden in bestimmte Männer-und Frauenrollen." Also beispielsweise Frauen, die es gut finden, dass Frauen nicht zu Priestern geweiht werden können und Frauen, die es gut finden, dass Geburtenkontrolle in der katholischen Kirche nicht erlaubt ist.

Thea Fabian:

  Was wäre jetzt so Ihr Fazit, wenn Sie auf die historischen Geschlechterrollen schauen?

Schwester Jakoba:

Dass ich der Überzeugung bin, dass es ein wahnsinnig wichtiges und spannendes Forschungsfeld ist, weil man ganz viel, was uns heute entgegenkommt, nur dadurch verstehen kann. Also wo kommt es denn her, dass diese Rollenbilder in unseren Köpfen so krass verankert sind? Oder wenn man Menschen auf der Straße anspricht und sagt: „Was ist denn so typisch Frau, typisch Mann?“ Dass dann immer die gleichen Antworten kommen. Wo kommt das denn her? Und dass ich das ganz wichtig finde, das aufzuarbeiten und zu schauen, was haben denn da auch für religiöse Sprachspiele und Vorstellungen mit reingewirkt? Und ich glaube, dass das eine richtig gute Aufgabe für heutige Theolog*innen ist, da auch die eigene Expertise einzubringen, weil ich Ihnen dann erklären kann was für Bibelstellen da gerne genommen werden und dass man die aber auch ganz anders verstehen könnte. Oder dass es auch eine Parallelgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils gibt von Frauen, die sich einbringen oder so spannende Gestalten, wie die Heilige Kümmernis, die so völlig aus unserer Vorstellung des Mittelalters rausfallen, vor allem des christlichen Mittelalters.

Thea Fabian:

 Ja, vielen Dank schon einmal, dass Sie uns ein etwas anderes historisches Bild vermittelt haben. Ich bin mir ganz sicher, viele unserer Hörer*innen kannten das auch noch nicht. Nun aber von der Vergangenheit noch mal zurück in die Zukunft und damit auch schon fast ans Ende unseres Podcasts heute. Wie nehmen Sie auch die Diskussion über Geschlechterrollen rechter Parteien wahr und welche Rolle spielt oder kann die Kirche dabei spielen?

Schwester Jakoba

Der Genderdiskurs ist ja in unserer Gesellschaft ein wahnsinnig emotional und aggressiv geführter Diskurs. Also das ist kein Thema, wo man sich irgendwo entspannt in eine Ecke setzt und sagt: „Was denkst du denn da drüber? Sag doch mal deine Meinung.“ Sondern es prallen krasse Positionen aufeinander und uns kommt es gerade in den letzten zehn Jahren ganz intensiv aus dem rechten Milieu entgegen, dass von einer Genderideologie gesprochen wird, dass es nicht darum geht zu überlegen, wie kann man denn am sinnvollsten sprachlich gendern. Sprache ist ein super Kampfbegriff in dem Bereich. Dann geht es auch nicht darum, wie kann man denn für Gleichberechtigung sorgen. Also gegen gleiche Rechte ist grundsätzlich erst mal niemand. Sondern es geht immer gleich darum, eine Weltverschwörung aufzudecken, einer Ideologie Vorschub zu leisten, Kinder zu schützen. Und das sind alles Topoi, die uns aus der Geschichte bekannt sind, vor allem aus dem Dritten Reich, also aus der Geschichte Deutschlands mit dem Nationalsozialismus, gerade wenn es um Kinderschänder geht. Und das sehe ich mit Beunruhigung. Und auch merke ich auch da wieder, das ist ein ganz wichtiger Punkt gerade für historisch arbeitende Menschen, darauf hinzuweisen, dass das jetzt keine neuen Vorwürfe sind, sondern aus einem ganz schwierigen diktatorischen Bereich übernommen werden.  

Thea Fabian:

  Ja, wir merken allein daran schon, wie wichtig es ist, was Sie da auch mit Ihrer Forschung machen. Und zwar Aufklärung mit einer soliden wissenschaftlichen Faktenlage. Was glauben Sie denn, welche Wirkkraft kann Ihre Arbeit innerhalb der Kirche, aber auch gesamtgesellschaftlich haben?

Schwester Jakoba:

Für die Kirche ist es einmal, glaube ich, eine wichtige Aufklärung überhaupt zu versuchen, ohne große Emotion zu erklären, was will denn Genderforschung eigentlich? Es geht eben nicht um die in Anführungszeichen „böse Ideologie“, die unsere gesamte Gesellschaft, unser Wertesystem, das sind alles so schöne Begriffe, die man da findet, zu unterlaufen, sondern in Ruhe zu erklären, wissenschaftlich fundiert, was sagt denn Judith Butler beispielsweise. Und warum ist es interessant, sich mit sozialen Konstrukten von Geschlecht zu beschäftigen. Also da einfach erst mal eine Aufklärung zu betreiben innerkirchlich und es geht umgekehrt in die Gesellschaft genauso, also in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren, nicht alles, was mit katholischer Kirche zu tun hat, ist total verstaubt oder anti-gender, sondern man kann Bibel anders auslegen. Man kann Anthropologie auch aus einer christlichen Grundüberzeugung her anders betreiben. Ich glaube, das ist eine Aufklärungsbewegung in beide Richtungen und der Versuch zu vermitteln. Also nicht unbedingt jetzt die eine Seite von der anderen Position zu überzeugen, sondern ich sehe unsere Arbeit da wirklich eher im aufklärenden Bereich und in der Hoffnung, da viele Impulse setzen zu können, dass sich zwei Parteien unterhalten, die das sonst auf gar keinen Fall tun würden.  

Thea Fabian:

 Zum Schluss haben wir jetzt noch zwei Speed-Fragen vorbereitet, im gröbsten Sinne, also darauf kann man vielleicht ein bisschen kürzer antworten. Die erste ist jetzt erst mal: Warum sind Sie ganz persönlich diesen Forschungsweg gegangen? Also was hat Sie dazu motiviert?  

Schwester Jakoba:

Fragen von Geschlecht und Geschlechtergerechtigkeit haben mich schon immer interessiert, schon in der Schule. Und wenn man katholisch sozialisiert aufwächst, dann ist das etwas, mit dem man ganz unmittelbar konfrontiert wird. Und das hat mich nicht mehr losgelassen. Habe dann in meinem Studium, wie gesagt, vor allem Kirchengeschichte schwerpunktmäßig  betrieben und war dann ganz begeistert davon, dass mir neben der Assistentenstelle in der mittleren neuen Kirchengeschichte eben dann diese Stelle in der Genderforschung zugefallen ist. Und das war der Startschuss, da richtig loszulegen.  

Thea Fabian:

 Warum ist das eigentlich ziemlich besonders und auch exklusiv, was die Uni Bonn mit ihrem Forschungszweig auch macht?

Schwester Jakoba:

: Es gibt im deutschsprachigen Raum an staatlichen Universitäten sonst nur an der Uni Münster eine solche Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung. Das heißt, wir sind mit unserer Arbeitsstelle in Bonn zusammen mit der in Münster schon mal singulär im deutschen wissenschaftlichen Kontext. Und das ist eine super Chance, Schwerpunkte zu setzen und auch zu zeigen, dass der Universität Bonn Forschung gerade auch im Geschlechtsbereich super wichtig ist.

Thea Fabian:

  Gibt es abschließend noch irgendwas, was Sie loswerden wollen oder den Hörer*innen mitgeben möchten?

Schwester Jakoba:

Ja, dass wenn ihr, wenn Sie Lust haben, mal was gemeinsam zu machen oder über solche Themen ins Gespräch zu kommen, Ihr/Sie sich gerne melden können, also über, das ist sicher verlinkt in den Shownotes, uns gerne kontaktieren können und schauen, was wir alles so im Angebot haben mit unserer Arbeitsstelle. Das sind nicht nur Seminare für Studierende, sondern ganz breite Veranstaltungen, wo wir uns freuen, wenn wir Sie auch in Live mal kennenlernen können.

Thea Fabian:

Ja, vielen Dank für das Gespräch.

Schwester Jakoba:

: Sehr gerne!

Thea Fabian: Die Ordens Schwester Jakoba ist Katholikin und forscht zur Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche. Im Gespräch mit ihr wird schnell klar, dass sie jenseits des konservativen und alten Rollenbilds der Kirche arbeitet und versucht, Kirche und Gender zu vereinen. Sie hat uns gezeigt, dass Geschlechtergerechtigkeit und Gendernormen nicht nur in der modernen Zeit Thema in der Kirche sind, sondern schon viel früher angesprochen wurden. Trotzdem ist auch heute noch Aufklärung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wichtig. Denn durch wissenschaftlich fundierte Forschung und Erklärung kann den Menschen vermittelt werden, dass auch Kirche in eine neue Zeit der Geschlechtergerechtigkeit unterwegs ist.

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