Text: Prof. Dr. Ulrich Schweizer
Auf irgendeine Art und Weise sind wir alle von der Corona-Pandemie betroffen – oftmals sogar mehrfach in verschiedenen Rollen. Die persönliche Lebensgestaltung ist eingeschränkt, das Familienleben mit Home-Office und Online-Schule ist in einen neuen Aggregatzustand übergegangen und in den Nachrichten erfahren wir täglich, dass es alles noch schlimmer sein könnte. Während man als Biowissenschaftler up to date mit dem Virus bleiben möchte, herrscht im Labor Schichtbetrieb zur Verminderung von Kontakten und keiner weiß, wann es wieder Trockeneis für Experimente geben wird... Als DozentINNen an der Universität stehen wir wie alle KollegINNen vor der Frage, wie die Lehre in den Zeiten der Corona-Pandemie funktionieren kann und soll.
Ein drohendes Loch in der Mediziner-Ausbildung
Wie viele andere haben wir über „Zoom“ und Online-Konferenzen in kurzer Zeit viel gelernt! Aber: Die Lehrenden im vorklinischen Abschnitt des Medizinstudiengangs haben noch ein weiteres Problem: Würden wir die Lehre faktisch einstellen, klaffte ein Loch bei der „Produktion“ von ÄrztINNen, genauer gesagt sogar zwei Löcher mit einem Abstand von einem Jahr, denn im Sommer befinden sich unsere Studierenden im 2. bzw. im 4. Fachsemester. Wir können über 800 Studierende aber auch nicht einfach ins nächste Semester schieben, denn dort gibt es gar nicht die Kapazitäten für eine doppelte Anzahl Studierender – schon gar nicht räumlich! Es nützt auch nicht viel, die Studierenden in die Kliniken zu schicken, denn ihr Fachwissen ist noch zu begrenzt. Schließlich bilden wir unter einer Approbationsordnung in einem Staatsexamensstudiengang aus, was bedeutet, dass Lehrumfang Lehrformate, Lehrinhalte wie auch Anwesenheit gesetzlich vorgegeben sind. Und nach dem 4. Fachsemester, im September, gilt es das erste Staatsexamen zu bestehen, um nach bestandener Prüfung in den klinischen Studienabschnitt überzutreten. Der organisatorische Vorlauf beim Landesprüfungsamt setzt einer Verlängerung der Lehre in den Sommer somit enge Grenzen. Wenn wir jetzt die Lehre nicht einigermaßen aufrechterhalten, reduzieren wir die Ausbildung von ÄrztINNen quantitativ und stören die Abläufe qualitativ auf Jahre hinaus in den Unikliniken und Lehrkrankenhäusern. Beides kann man in Zeiten einer Virus-Pandemie und bei latentem Mangel an ÄrztINNen nicht wirklich wollen!
Vor diesem Hintergrund möchte ich von meinen positiven Erfahrungen berichten, wie sich im Wesentlichen die Professoren aus den drei „großen“ Fächern der Vorklinik, Anatomie, Biochemie und Physiologie zusammengefunden haben und in Zusammenarbeit mit Dekanat und Prüfungsamt zwar mit hohem Aufwand, aber in Windeseile pragmatische und praktikable Lösungen gefunden haben, die mehr als nur einen „Notbetrieb“ möglich machen.
Ein ungeahnter Digitalisierungsschub
Vorweg bemerkt: Wir haben alle erlebt, dass man, bringt man zwei Professoren an einen Tisch, vermutlich mindestens drei gut begründete und vollkommen inkompatible Ideen diskutieren muss. In unserem Fall kamen 15 KollegINNen zusammen, aus verschiedenen Fächern, eben berufen und kurz vor der Emeritierung, „digital natives“ und „digital naïves“. Gleichzeitig war zu Beginn unklar, wie sich Bund und Land zur gesetzeskonformen Umsetzung der Approbationsordnung unter Coronabedingungen im vorklinischen Bereich positionieren würden. Es gab das Gerücht, dass die Universität Zoom-Lizenzen beschaffen würde und grobe Ideen, dass man so Vorlesungen und Seminare durchführen könne. Was nun passierte, hat mich, offen gesagt, gleichzeitig überrascht und erfreut. In einem Zoom-Meeting, das für die meisten Teilnehmer das erste war, stellte sich spontan ein produktiver, positiver Spirit ein. Jede/r der 15 Kollegen machte konstruktive Vorschläge aufgrund eigener Möglichkeiten und Erfahrungen und am Ende stand, quasi spontan, eine Lösungsskizze und eine To-do-list, die in den folgenden Tagen abgearbeitet wurde. Viele Kollegen identifizierten offene Fragen, erarbeiteten Lösungen und kommunizierten diese innerhalb der Gruppe via E-Mail.
Das Medizinstudium erlebte im Handumdrehen einen ungeahnten Digitalisierungsschub. Manch ein Kollege entdeckte für sich eCampus und Sciebo. Die AssistentINNen nahmen den Ball auf und spielten manche gute Vorlage. Die Universität stellte uns praktisch über Nacht Zoom zur Verfügung und versetzte uns so in die Lage, unsere Lehre online durchzuführen. Leider wurde unser Hinweis, dass eine Lizenz für 300 ZuhörerINNEN nicht ausreicht, nicht rechtzeitig umgesetzt, sodass am Montag bei der ersten Vorlesung nicht alle Studierende live Zugang zur Vorlesung bekommen konnten. Wir hoffen, dass die Zuständigen hier schnell Abhilfe schaffen und möchte mich hier im Namen aller Kollegen beim Rektorat, dem Dekanat und den beteiligten Verwaltungen von Uni und Uniklinikum ausdrücklich für die Unterstützung bedanken!
Konstruktive digitale Lösungen für Praktika
Inzwischen entwickeln Kollegen sogar konstruktive digitale Lösungen für unser größtes Problem: Die großen Praktika. Wir planen gefilmte Demo-Versuche, die von AssistentINNen demonstriert werden. Die dabei erhobenen Messwerte werden den Studierenden on-line zur Verfügung gestellt und sollen im Home-Office ausgewertet werden. Das kann vielleicht nicht zu Hundert Prozent die manuelle Erfahrung ersetzen, stellt aber für diese Zeiten eine Lösung dar. Alle Studierenden werden schließlich im weiteren Verlauf des Studiums noch mehrere Präsenzpraktika besuchen.
Auch wenn noch nicht jedes Detail gelöst und jeder Demo-Film fürs Praktikum abgedreht ist, kann man doch schon jetzt sagen, dass wir – mit allerdings erheblichem zeitlichen Mehraufwand - aber mit konstruktivem Spirit die MedizinerINNEN-Ausbildung in der Vorklinik im Sommer sehr wahrscheinlich aufrechterhalten können, ohne die Approbationsordnung zu sehr zu dehnen.
Für mich hat die Krise hier eine positive Seite gezeigt: Wir haben uns in einem positiven Sinn nochmals besser kennen gelernt, alle DozentINNen haben an einem Strang gezogen, um das übergeordnete Problem zu lösen. Jedem war klar, dass keine Lösung zu finden keine Lösung sein kann! Es war nicht so wie oftmals leichtfertig dahingesagt, dass in der Krise die bekannten Persönlichkeitsmuster stärker zutage treten, sondern die Krise hat bei allen das Beste zutage gefördert.
Der Autor
Prof. Dr. Ulrich Schweizer (Jahrgang 1971) hat seit 2013 am Institut für Biochemie und Molekularbiologie der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn eine Professur für Biochemie inne.
Lebenszeichen – Wir bleiben im Gespräch
Unter dem Titel „Lebenszeichen – Wir bleiben im Gespräch!“ veröffentlicht die Universität Bonn Beiträge aus den Reihen ihrer Angehörigen, die unter dem Eindruck der Bekämpfung des Coronavirus und der daraus resultierenden Bedingungen entstanden sind. Sie will damit auch in schwierigen Zeiten den Diskurs aufrechterhalten und die universitäre Gemeinschaft stärken. In loser Folge erscheinen dazu auf dieser Website Beiträge von Universitätsangehörigen, die das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten, Dialoge in Gang setzen, Tipps und Denkanstöße austauschen wollen. Wer dazu beitragen möchte, wendet sich bitte an das Dezernat für Hochschulkommunikation, kommunikation@uni-bonn.de.