Im Rahmen des Projekts "Heritage and Territoriality: Past, present and future perceptions among the Tacana, Tsimane', Mosetén and Waiwai" erforschen Altamerikanistin Prof. Dr. Carla Jaimes Betancourt und ihr Team aus Ökologen, Archäologinnen und Anthropologen die Bedeutung des kulturellen Erbes für indigene Völker. An dem Projekt sind drei indigene Völker aus Bolivien beteiligt – die Tacana, Tsimane und Moseten – und ein Volk, die Waiwai, aus Brasilien. Die Forschenden wollen verstehen, wie die indigenen Völker ihr kulturelles Erbe – sowohl das materielle als auch das immaterielle – wahrnehmen und schätzen. Dazu zählt ihr Wissen, ihre Ausdrucksformen und Traditionen, die eng mit ihrer Identität und ihrer Weltanschauung verbunden sind. Diese Neubewertung und Anerkennung ihres Erbes ist entscheidend für das Überleben und die Stärkung ihrer Kultur.
Während der Schwerpunkt in den vergangenen beiden Jahren auf Bolivien lag, ist das Team dieses Jahr in Brasilien unterwegs, im Gebiet der Waiwai in Trombetas-Mapuera. Dieses indigene Land liegt an der Grenze von Pará, Roraima und Amazonas im Staat Roraima in Brasilien, nahe der Grenze zu Guayana. Dort setzen Betancourt und ihr Team - immer in Absprache mit den Waiwai - die LiDAR-Technologie ein, um das Gebiet zu kartieren. Bei der Airborne-Lasertechnologie Lidar (steht für Light Detection and Ranging) wird das Gelände mit einem Laserscanner vermessen, der in diesem Fall an einer Drohne befestigt ist und rund 1,5 Millionen Laserimpulse pro Sekunde sendet. In der Auswertung wird der Bewuchs „herausgerechnet“, sodass ein digitales Modell der Erdoberfläche entsteht, das auch als 3D-Bild darstellbar ist.
Update vom 5. Dezember 2024: Inzwischen sind die Forschenden um Prof. Carla Jaimes Betancourt von Ihrer Reise in den Amazonas wieder zurück in Deutschland - und haben Antworten auf die eingereichten Fragen geschickt:
In wie weit wurden Waiwai-Anthropologen und -Archäologen in das Projekt eingebunden?
Gemeinschaftsforscher in Bolivien oder indigene Forscher in Brasilien sind die Protagonisten des Projekts. Sie forschen in ihren eigenen Sprachen, reisen durch ihre Gebiete und dokumentieren Aspekte der Archäologie, Ökologie und Anthropologie. Sie nahmen auch an einem interkulturellen Austausch mit Forschenden aus Bolivien und Brasilien teil und besuchten Museen in Europa. Dort analysierten sie Sammlungen, um Verbindungen zwischen den erhaltenen Objekten und den indigenen Gemeinschaften, aus denen sie stammen, herzustellen. Alexander Waiwai promoviert in Anthropologie an der Federal University of Amazonas, einer Universität, die seit einigen Jahren indigene Anthropologen ausbildet, die indigene Wahrnehmungen fördern und die Wissenschaft dekolonisieren. Jaime Waiwai promoviert ebenfalls in Archäologie, und beide bereichern unser Wissen und unsere Herangehensweise an die Wahrnehmung des kulturellen Erbes der Vergangenheit und der Gegenwart erheblich.
Bei welchen Themen sollten wir indigenen Völkern mehr zuhören?
Indigene Völker verfügen über traditionelles Wissen, das als eine Form der Wissenschaft angesehen werden kann. In ihren Gebieten haben sie ein tiefes Verständnis für die Natur, Pflanzen und Tiere entwickelt und dafür, wie man mit ihnen auf nachhaltige Weise umgeht. Wir sollten vor allem von ihrer Fähigkeit lernen, die biologische Vielfalt zu schaffen und zu erhalten. Die Besiedlung des Amazonasgebiets durch indigene Völker reicht mehr als 10.000 Jahre zurück, und in mehreren Regionen dort gab es bereits vor tausend Jahren große Dörfer und Städte mit geringer Bevölkerungsdichte. Diese Gemeinschaften haben ein einzigartiges Erbe an Wissen hinterlassen. Ich glaube, diese Weisheit und ihre Lebensphilosophie sollten wir schätzen.
Haben Sie Angst, indigene Völker zu "korrumpieren" durch Kontakt mit westlichen Zivilisationen?
Die Arbeit in indigenen Gebieten ist durch ethische Protokolle streng geregelt und erfordert Genehmigungen von verschiedenen Institutionen. Die Forscher müssen die Regeln der Gemeinschaften befolgen und ihre Bräuche respektieren. So ist es zum Beispiel verboten, während unseres Aufenthalts alkoholische Getränke zu konsumieren oder zu rauchen.
Die Entfernung dieser Gebiete von den Städten wirkt wie eine natürliche Schutzbarriere. Eine der größten Bedrohungen ist jedoch das illegale Eindringen von Menschen, die Ressourcen ausbeuten wollen, wie z. B. Goldgräber, deren Tätigkeit die Flüsse verschmutzt. Diese Flüsse sind für die indigenen Völker überlebenswichtig, nicht nur als Wasserquelle, sondern auch als zentraler Bestandteil ihrer Lebensweise.
Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt sind die Auswirkungen des Internetzugangs, der inzwischen in fast allen Gemeinden verfügbar ist. Er bietet zwar Möglichkeiten zur Kommunikation und zum Lernen, birgt aber auch Risiken durch die Verbreitung schädlicher Inhalte in sozialen Netzwerken, eine Herausforderung, die nicht nur in indigenen Gebieten, sondern in der ganzen Welt besteht.
Beitrag vom 7. November - die Reise beginnt:
Wie gehen Sie bei Ihrer Forschung vor?
Wir arbeiten eng mit Waiwai-Anthropologen und -Archäologen zusammen und binden sie als Hauptakteure des Projekts ein. Bevor wir starten und auch während der Forschung, sprechen wir alles offen mit ihnen ab und holen ihre Zustimmung ein. Dabei verwenden wir Methoden, die auf die Sprache und kulturellen Besonderheiten der Gemeinschaften abgestimmt sind, und achten darauf, ihre geistigen Eigentumsrechte zu respektieren.
Das Projekt baut auf der dekolonialen Theorie auf, die das Wissen und die Perspektiven indigener Völker wertschätzt. Unser Ziel ist es, die Selbstbestimmung und Souveränität der Gemeinschaften zu fördern. Die Forschung wird gemeinsam mit den Gemeinschaften entwickelt und angepasst, sodass ihre Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Unsere Methodik sorgt dafür, dass das Wissen der indigenen Völker geschützt und respektiert wird, und dass ein sicherer, vertrauensvoller Raum für offenen Austausch entsteht. So können ihre Vorstellungen und unser wissenschaftliches Wissen sich gegenseitig bereichern.
Wie kommen Sie dort hin?
Die Reise ist lang, zuerst muss ich nach Manaus – mit einem 18-stündigen Flug über São Paulo. Am nächsten Tag fahren wir mit dem Auto nach Entre Rios - Roraima, Brasilien. Die Fahrt dauert rund acht Stunden. Die Straße ist zweispurig und nicht immer asphaltiert. Unterwegs sieht man sehr unterschiedliche Landschaften: Wo die Haciendas sind, gibt es keine Vegetation, nur Weideland für das Vieh. In den indigenen Gebieten ist der Wald sehr dicht, es sieht aus wie eine grüne Wand.
Von Entre Rios aus muss unser gesamtes Gepäck mit dem Boot transportiert werden, da es sehr schwer ist. Das Team wird geteilt: Vier Leute fahren mit dem Boot, die anderen vier mit dem Motorrad. Die Straße für die Motorräder ist direkter, aber sie ist in schlechtem Zustand und hat viele Löcher.
Wie leben Sie dort?
Im Dorf Jatapuzihno gibt es ein Haus der Waiwai-Gemeinschaft, in dem sich die Büros befinden, und im ersten Stock gibt es einige Räume, in denen die Hängematten aufgehängt werden können, in denen die "Weißen" oder "Karawa", wie sie uns hier nennen, übernachten können. Jeder von uns hat eine Hängematte und ein Moskitonetz mitgebracht.
Bringen Sie Proviant mit oder versorgen die Waiwai Sie mit Essen?
Das Essen im Dorf ist sehr gut. Am ersten Tag werden wir mit Fisch erwartet. Ich esse viele Produkte, die hier aus Maniok angebaut werden. Wir essen auch Palmfrüchte. Einige Produkte wie Öl, Reis, Nudeln, Zucker und Salz haben wir in Entre Rios gekauft.
Worauf freuen Sie sich am meisten und was werden Sie vermissen?
Ich freue mich auf die Schönheit des Amazonas. Die Landschaften, die Gerüche, das Baden im Fluss, das frische und leckere Essen. Ich reise und lebe schon lange zwischen Deutschland und Lateinamerika und habe gelernt, nichts zu vermissen und das zu genießen, was wir an jedem Ort haben. Ich muss zugeben, dass ich in Deutschland manchmal das Lächeln der Menschen auf der Straße vermisse. In Brasilien lächeln die Menschen viel ...