07. Dezember 2023

Warum wir alle „verschränkte Menschen“ sind Warum wir alle „verschränkte Menschen“ sind: Podcast mit Markus Gabriel

Im Podcast erläutert Prof. Markus Gabriel den Zusammenhang von Wirklichkeit und Fiktion und begründet, wieso er den Menschen als hybrides System versteht.

In jeder Lüge steckt ein Funken Wahrheit – dieses Sprichwort wird seit Jahrhunderten im Volksmund überliefert und ist vermutlich jedem bekannt. Doch stimmt es auch? Ja, sagt Prof. Dr. Markus Gabriel von der Universität Bonn, der zu den prominentesten Vertretern des Neuen Realismus zählt. Er begründet dies in der aktuellen Folge des Hypothese-Podcasts mit einer klaren Feststellung: „Jede Lüge ist niemals die bloße Falschheit. Sonst wäre sie nicht interessant“. 

Markus Gabriel
Markus Gabriel © Uni Bonn / Volker Lannert
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Verschwimmen also die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion? Was ist überhaupt „Wirklichkeit“ und wie wird „Fiktion“ definiert? Und welche Position nimmt der Mensch in diesem Spannungsfeld ein? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Markus Gabriel in seinem neuen Band „Wirklichkeit/Fiktion. Spannungsfelder eines Verhältnisses“ und sagt im Hypothese-Podcast: „Wirklichkeit und Fiktion sind immer auf eine bestimmte Weise im menschlichen Leben verschränkt.“ Der Mensch selbst sei ein „hybrides System aus Wirklichkeit und Fiktion“.

„Wirklichkeit ist das Vermögen begrifflicher Lebewesen, wie Menschen, sich auch täuschen zu können“, legt Gabriel dar. Damit sei die Wirklichkeit, die wir kennen, eine, in der Fiktion immer schon eine Rolle spielt. Die Fiktion dagegen begreift er als den „Bereich der Ausübung unserer Einbildungskraft“. Als Abweichung von Wirklichkeit wird die Fiktion damit gleichzeitig zu einem wesentlichen Bestandteil der Wirklichkeit und legitimiert sich dadurch, dass sie Gegenstand der Geistes- und Sozialwissenschaft ist.

Nach Gabriel gehört die Fiktion also selbst zum Wirklichen, genauso wie es keine Wirklichkeit ohne Fiktion gibt. Und genau an dieser Stelle tritt nun „der verschränkte Mensch“ ein, so Gabriels Titel im neuen Band. Denn dadurch, dass wir Dinge immer subjektiv aus einer bestimmten Perspektive wahrnehmen, ist die Wirklichkeit bereits verzerrt: „Der Mensch führt sein Leben im Licht der Vorstellung seiner selbst“. Aufgrund bestimmter Rollenvorstellungen und Bilder ist der Mensch das, was er ist, und tut, was er tut, so Gabriel. Daher ist der Mensch als Hybride aus dem Kontakt mit dem Wirklichen und aus seiner Verzerrung zu verstehen, da „das Bewusstsein selbst bereits eine Verzerrung der Wirklichkeit ist“. Eine reine Wirklichkeit gibt es nicht – so Gabriel.  

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Über Prof. Dr. Markus Gabriel

Prof. Markus Gabriel hat den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart am Institut für Philosophie an der Universität Bonn inne und zählt zu den prominentesten Vertretern des Neuen Realismus. Er ist der Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie NRW sowie des Center for Science and Thought an der Universität Bonn. Zudem ist Gabriel Mitglied in der TRA 4 an der Universität Bonn, deren Mitglieder wesentliche Einflüsse auf unsere sozialen und wirtschaftlichen Entscheidungen erforschen. Dazu gehören Ressourcenschutz, Schutz von Kunst- und Kulturgütern, Moral und Ethik sowie bestimmende Faktoren menschlicher Handlungsfähigkeit und Motivation.

Herausgegeben von Markus Gabriel, Marion Gymnich und Birgit Ulrike Münch

Wirklichkeit und Fiktion sind ontologische Grundkategorien, aber nicht nur Sache der Philosophie. Auch die Theoriebildung unterschiedlicher Geisteswissenschaften entwickelt ein Verständnis dieser Kategorien und setzt sie in ein Verhältnis. Dieses Verhältnis ist spannungsvoll: Kulturelle Phänomene zeugen von der Trennung und Hierarchisierung ebenso wie von Versuchen der Auflösung, Verschiebung oder Verwechslung beider Kategorien.

Dieser Band eröffnet ein Gespräch der Geistes- und Kulturwissenschaften über Phänomene und Theoriefiguren, in denen Wirklichkeit und Fiktion sich begegnen, verschränken, überlagern und modifizieren. Anstatt das Wirkliche und das Fiktive theoretisch zu isolieren, geht es in den vorliegenden Beiträgen darum, sie in ihrem Wechselspiel und ihrer oszillierenden Relation zueinander zu beschreiben.

 

 

 

 

Reality and Hermeneutics. Bonn Studies in the New Humanities

 In letzter Zeit lässt sich ein wachsender Verlust an Verbindlichkeit in der genuin geistes- und kulturwissenschaftlichen Erkenntnis beobachten. Die neue Buchreihe "Realität und Hermeneutik" an der Universität Bonn setzt an diesem Punkt an und strebt danach, die Verbindlichkeit geistes- und kulturwissenschaftlicher Erkenntnis durch ein aktualisiertes Konzept spezifisch ausgelegter  Objektivität zu revitalisieren. Dabei sollen traditionelle Gegensätze wie Realität und Interpretation, Erklären und Verstehen, sowie Naturwissenschaften einerseits und Geistes- und Kulturwissenschaften andererseits überwunden werden.

Mehr dazu unter https://www.mohrsiebeck.com/schriftenreihe/reality-and-hermeneutics-realitaet-und-hermeneutik-rh?no_cache=1

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