Drei Dinge machen einen digitalen Zwilling aus: „Ein digitaler Zwilling ist erstens eine individuell abgestimmte Simulation, die zweitens verschiedene Zustände und Funktionsweisen des menschlichen Körpers, von Gebäuden, Städten oder anderen Systemen in Echtzeit darstellt und drittens auf dieser Basis Vorhersagen über zukünftige Zustände vorhersagt“, so Braun. Der prinzipielle Vorteil dabei ist groß: Dank Künstlicher Intelligenz können digitale Zwillinge zukünftige Zustände vorhersagen, beispielsweise die individuelle gesundheitliche Entwicklung in Abhängigkeit von Ernährung, Bewegung und genetischen Markern. Diese Vorhersagen könnten zukünftig über Smartphones, Avatare, Hologramme sowie andere interaktive Schnittstellen präsentiert werden. „Eine zentrale Rolle dabei spielt die direkte Rückkopplung zwischen digitalen Zwillingen und Individuen“, so Braun. Zugleich könnte man am digitalen Abbild auch Behandlungen ausprobieren. „Aktuell gibt es bereits Simulationen des Herzens“, so Braun. Noch ist man jedoch weit entfernt von einer umfassenden Simulation des gesamten Körpers.
Was wie eine Zukunftsvision klingt, birgt jedoch eine Vielzahl rechtlicher und ethischer Herausforderungen – und Schattenseiten. Eine wichtige Frage betrifft natürlich die Datensicherheit und den Schutz der Privatsphäre. Wem gehören die Daten? Wer hat die Kontrolle über ein solch mächtiges System, das das Selbst simuliert? Matthias Braun bringt hier das ethische Konzept des Leibes ins Spiel. Ähnlich wie bei einer Prothese erhält man ein Kontrollrecht über den digitalen Zwilling: Er ist Teil des eigenen Körpers.
Ein weiteres ethisches Dilemma betrifft die Konsequenzen solcher Warnungen: Wenn ein digitaler Zwilling beispielsweise eine drohende Komplikation des Herzens vorhersagt, stellt sich die Frage, wie die individuellen Individuen darauf reagieren sollten. „Welches Vertrauen haben Sie in eine solche Projektion? Wie verändern Sie ihre Verhaltensweisen – oder können Sie Ihre Verhaltensweisen überhaupt ändern?“, fragt Braun. Und bestraft man dann etwa das Nichthandeln? Und sind solche Vorhersagen bereits als bestehende Krankheit zu betrachten, oder erst dann, wenn sie sich als Krankheit tatsächlich manifestieren
Und: Muss man bei solchen Vorhersagen bereits handeln, selbst wenn es eine Ungewissheit bei den Prognosen gibt? „Es erfordert bereits jetzt einen ganz neuen Umgang, eine Kompetenz im Umgang mit solchen Vorhersagen“, so Braun.
Über Prof. Dr. Matthias Braun
Er forscht als Ethiker an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, wurde 2022 mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet und ist zudem PI im SFB 1483 EmpkinS. Braun ist Mitglied in der TRA 1 Mathematik, Modellierung und Simulation komplexer Systeme, der TRA 3 Leben und Gesundheit und der TRA 4 Individuen, Institutionen und Gesellschaften an der Universität Bonn.
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