Dr. Angelika Humbert von der Arbeitsgruppe Polargeophysik der Universität Münster und ihr Kollege Dr. Matthias Braun vom Zentrum für Fernerkundung der Landoberfläche der Universität Bonn haben die neuen Ereignisse, die am 30. Mai 2008 begonnen haben, beobachtet. Das Forscherteam verfolgt die Entwicklung einer sensiblen Region, die das Wilkins-Schelfeis mit den beiden Inseln Charcot und Latady verbindet, bereits seit Jahren anhand von Satellitenaufnahmen der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Der ehemals rund 15 Kilometer breite Eissteg zwischen den Inseln, die rund 1000 Kilometer vor der Südspitze Südamerikas liegen, ist seit dem erneuten Aufbruch nur noch knapp drei Kilometer breit. Satellitenaufnahmen zeigen auf der verbliebenen Eisbrücke einen bogenförmigen Riss - die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Steg in den nächsten Tagen komplett zerbricht, ist sehr hoch, so die Forscher. Die Folgen für die Stabilität des übrigen Schelfeises sind nicht abzusehen.
Die jetzt innerhalb weniger Tage abgebrochene Eismasse war bereits vor rund einem Jahr mit feinen Rissen durchzogen worden. "Der eigentliche Schaden ist bereits damals entstanden" betont Angelika Humbert, die gemeinsam mit ihrem Kollegen schon über die Ursachen der Rissbildung berichtet hat: Unterschiedlich große Auftriebskräfte führen zu Biegespannungen im Eis und somit zu Rissen, die sich schlagartig ausdehnten. Das dadurch instabil gewordene Eis bricht zu einem späteren Zeitpunkt - wie es derzeit zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate geschieht. Als mögliche Verbindung zur überdurchschnittlichen Erwärmung an der Antarktischen Halbinsel vermuten die Wissenschaftler eine Erhöhung der Ozeantemperaturen, welche Schmelzprozesse auf der Unterseite des Eises begünstigt.
Der aktuelle Abbruch zeigt, dass Schmelzwasser, welches lange in Verdacht stand, der alleinige auslösende Faktor für das Zerbrechen einer Eismasse zu sein, keine Rolle gespielt haben kann: Im derzeit herrschenden antarktischen Winter ist die Oberfläche des Wilkins-Schelfeises komplett gefroren.
Die größten Spannungen im Eis treten derzeit vermutlich durch das "Fließen" des Eises auf, also durch die Verformung des Eises unter seinem eigenen Gewicht. Diese Verformungen haben die bereits bestehenden Rissflanken auseinander gezogen und damit jetzt zum Durchreißen geführt. Der Aufbruch des Eises läuft diesmal jedoch anders ab als im Februar 2008: Während damals die ersten Eisberge an der Eisfront kalbten, bricht die Eismasse jetzt von innen nach außen auf. Sehr schmale "Scheibeneisberge" kippen dabei um und drücken so die vor ihnen liegende Eismasse nach außen.
Kontakt:
Dr. Matthias Braun
Zentrum für Fernerkundung der Landoberfläche
Universität Bonn
Tel. : 0228/73-4975
E-Mail:
matthias.braun@uni-bonn.de
Weiterführende Informationen:
Weitere Informationen (Aufbruch im Schelfeis / Arbeitsgruppe Polargeophysik WWU)
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Das Wilkins-Schelfeis bricht: links der Zustand am 31. Mai, rechts am 6. Juni (aufgenommen vom europäischen Fernerkundungssatelliten ENVISAT). Foto: ESA, 2008 / ENVISAT ASAR