20. Oktober 2010

Der Mess-Minimalist Der Mess-Minimalist

Bonner Mathematiker erhält einen der begehrten ERC Starting Grants

Professor Dr. Holger Rauhut kann sich freuen: Das „European Research Council“ (ERC) hat ihm Fördergelder für ein anspruchsvolles Forschungsvorhaben zugesagt. Rund eine Millionen Euro fließen in den nächsten fünf Jahren an den Mathematiker der Universität Bonn. Mit den Mitteln dieses „ERC Starting Grants“ möchte er unter anderem nach neuen Möglichkeiten suchen, aus minimal wenigen Messwerten komplexe Daten zu rekonstruieren. Davon könnten beispielsweise medizinische Tomographieverfahren oder Radarsysteme profitieren.

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IMG_0241-ps.jpg - Professor Dr. Holger Rauhut kann sich über Fördergelder aus Brüssel freuen. © Frank Luerweg, Universität Bonn
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Digitalkameras mit 10, 12, 16 Megapixeln? Völlig überholt! An der Rice-University im texanischen Houston haben Physiker vor vier Jahren eine Kamera konstruiert, die mit einem einzigen Pixel auskommt. Das Spannende daran: Sie schießt damit erstaunlich scharfe Bilder (Beispiele gibt es unter http://dsp.rice.edu/cscamera). Die US-Forscher arbeiten auf einem Forschungsgebiet, das unter Mathematikern momentan en Vogue ist wie kaum ein zweites: dem „Compressive Sensing“. Der Begriff bezeichnet die Kunst, aus möglichst wenigen Messpunkten ein möglichst exaktes Bild der Realität zu rekonstruieren.

Professor Dr. Holger Rauhut hat Algorithmen entwickelt, die das ziemlich gut können. Er sitzt in seinem Eckbüro im vierten Stock des Bonner Hausdorff-Zentrums für Mathematik und holt mit ein paar Mausklicks ein Beispiel auf den Bildschirm: Ein kompliziertes Tonfrequenzspektrum, das er aus nur 25 Messwerten exakt rekonstruieren konnte. „Normalerweise misst man erst und komprimiert die gewonnenen Daten danach“, sagt er. „Wir versuchen dagegen, direkt ‚komprimiert’ zu messen.“

Weniger messen anstatt viel wegwerfen

Kameras beispielsweise speichern ihre Fotos meist als jpg-Dateien. Dabei werfen sie 90 Prozent der aufgezeichneten Informationen einfach weg. Die Unterschiede zum Original sind dennoch kaum wahrnehmbar: Jedes Foto hat Bereiche, die fast keine Informationen enthalten - farbige Flächen wie den blauen Himmel zum Beispiel. Man könnte stattdessen auch einfach nur zehn Prozent der Daten aufzeichnen. Genau so funktioniert die Kamera der Rice-Universität: Sie macht nicht ein Einzelfoto, das sich aus zehn Millionen Punkten zusammensetzt. Stattdessen nimmt sie hintereinander einige tausend Ein-Pixel-Fotos auf. Daraus rekonstruiert sie dann das Originalbild.

Und zwar nicht etwa, indem sie zwischen den Einzelaufnahmen interpoliert. Das Ganze funktioniert nach einem komplett anderen Prinzip: Das Bild wird über tausende von Mikrospiegeln auf eine lichtempfindliche Fotodiode gebündelt. Dabei schaltet die Software jedoch einen Teil der Spiegel blind. Wie viele und welche, wechselt  von Aufnahme zu Aufnahme nach dem Zufallsprinzip. Damit variiert auch die Lichtmenge, die der Pixelsensor empfängt. Aus dieser Variation und der Information, welche der Mikrospiegel zum jeweiligen Aufnahmezeitpunkt blind waren, lässt sich das Originalbild rekonstruieren. Das klappt umso besser, je mehr Messungen der Algorithmus auswerten kann.

Die Ein-Pixel-Kamera ist der Beweis, dass Compressive Sensing bei der Aufnahme von Bildern überhaupt funktioniert. Für herkömmliche Digitalknipsen ist sie dagegen keine Konkurrenz: Sie benötigt für ein einziges Foto aus mehreren tausend Einzelaufnahmen einige Minuten. Das reicht, um eine Eiche bei Windstille zu fotografieren. Doch schon vor dem Sonntagsausflug einer Schnecke muss das Gerät kapitulieren.  „Compressive Sensing lohnt sich vor allem, wenn der Messprozess sonst sehr lange dauern würde oder mit hohen Kosten verbunden wäre“, erklärt Professor Rauhut. So soll beispielsweise eine Tomographie nicht zu lange dauern, da der Aufenthalt in der engen „Röhre“ viele Patienten belastet. Auch wenn für die Erfassung und Komprimierung der Daten vor Ort wenig Rechenleistung zur Verfügung steht, ist es besser, wenn nur wenige Messwerte anfallen.

High Risk, high gain

„Ich werde mit den ERC-Geldern keine Kamera bauen“, betont Rauhut. „Mich interessiert vor allem die Mathematik, die dem ‚Compressive Sensing’ zugrunde liegt. Ein Kernpunkt dabei ist der mathematische Beweis, unter welchen Bedingungen und wie effizient diese Verfahren funktionieren.“ Der 36-Jährige möchte die bestehenden Algorithmen weiter entwickeln, so dass sie sich beispielsweise auch auf Radarsysteme anwenden lassen. Außerdem will er das Prinzip auf völlig andere Bereiche ausdehnen. Ein Beispiel sind mathematische Funktionen mit sehr vielen Variablen. „Ich möchte versuchen, darunter die wenigen wirklich wichtigen Parameter zu identifizieren, ohne viel über die Funktion als solche wissen zu müssen“, sagt er. Derartige komplexe Funktionen treten beispielsweise in der Wettervorhersage oder bei ökonomischen Simulationen auf.

Mathematisch sind das sehr anspruchsvolle Themen - nicht umsonst fördert das ERC vor allem so genannte „High Risk, high gain“-Projekte. Rauhut wird diese Aufgabe allerdings nicht alleine schultern: Er will mit der Fördermillion aus Brüssel für die kommenden fünf Jahre einen Postdoktoranden und zwei Doktoranden finanzieren.


Kontakt:
Prof. Dr. Holger Rauhut
Hausdorff-Zentrum für Mathematik und Institut für Numerische Simulation
Telefon: 0228/73-62245
E-Mail: rauhut@hcm.uni-bonn.de

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