25. Oktober 2010

Riesiges Bernsteinvorkommen in Indien entdeckt Riesiges Bernsteinvorkommen in Indien entdeckt

Eingeschlossene Insekten zeigen: Der Subkontinent war längst nicht so lange isoliert wie gedacht

Seit zwei Jahren untersuchen Forscher der Universität Bonn zusammen mit indischen und US-Kollegen Bernsteinfunde aus dem Nordwesten Indiens. Inzwischen zeigt sich, dass es weltweit möglicherweise eines der größten Bernsteinvorkommen ist, das bislang entdeckt wurde. Die in das fossile Harz eingeschlossenen Insekten werfen ein neues Licht auf die Geschichte des Subkontinents: Dieser scheint längst nicht so lange isoliert durch die Weltmeere gedriftet zu sein wie bislang vermutet. Die Forscher berichten in der Zeitschrift PNAS über den 50 Millionen Jahre alten Schatz, der erst ansatzweise gehoben ist (doi: 10.1073/pnas.1007407107).

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Fig. 4.jpg - Der indische Bernstein enthält noch komplett erhaltene Insekten - eine extreme Rarität. Normalerweise sind die Einschlüsse komplett verwest; was man sieht, ist in der Regel nur eine hauchdünne „Insekten-Tapete“. Die Abbildung zeigt eine Ameise, die vor mehr als 50 Millionen Jahren ins Harz eingeschlossen wurde. © Steinmann-Institut, Universität Bonn
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Wer stolz darauf ist, einen Bernstein mit einem darin eingeschlossenen Tierchen sein Eigen zu nennen, der sollte jetzt vielleicht nicht weiter lesen: Was da im Jahrmillionen alten Baumharz zu sehen ist, ist nämlich praktisch immer nur eine hauchdünne Fassade. Würde man den Stein auseinander sägen, fände man nichts weiter als einen Hohlraum, ausgekleidet mit einer Art „Insekten-Fototapete“.

Anders sieht es mit dem Bernstein aus, den der Bonner Paläontologe Professor Dr. Jes Rust und seine Kollegen seit zwei Jahren untersuchen. Die an Kräuterbonbons erinnernden Brocken haben es im wahrsten Sinne des Wortes in sich: Sie enthalten zahlreiche Insektenleichen, die trotz ihrer 50 Millionen Jahre währenden Gefangenschaft teilweise extrem gut erhalten sind. Noch besser: Das versteinerte Harz lässt sich auch noch sehr leicht dazu überreden, seinen Inhalt wieder freizugeben. „Der Bernstein ist nur unvollständig polymerisiert und lässt sich daher leicht auflösen“, erklärt Rust. Mehr als 700 Gliederfüßer aus 55 verschiedenen Tierfamilien haben die Forscher darin bislang gefunden – größtenteils Insekten, aber auch Spinnen, Milben und Pflanzenreste.

Die unansehnlich braunen Brocken stammen von der Küste der nordwestindischen Provinz Gujarat. Ihr Inhalt wirft ein neues Licht auf die Geschichte des Subkontinents: Dieser soll nämlich vor 160 Millionen Jahren von der ostafrikanischen Landmasse „abgebrochen“ und dann isoliert durch die Weltmeere gedriftet sein – mit einem hohen Tempo von etwa 20 Zentimetern pro Jahr. Erst vor etwa 50 Millionen Jahren ist Indien dann mit Asien zusammen gestoßen. Bei diesem Crash hat sich der Himalaja aufgefaltet.

Wenn das so stimmt, müsste Indien einhundert Millionen Jahre lang völlig isoliert gewesen sein. Diese Zeit müsste gereicht haben, um eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt entstehen zu lassen. Der indische Bernstein ist vor 53 Millionen Jahren entstanden. Ähnlich wie ein uraltes Foto zeigt er also, wie das Leben in Indien kurz vor dem Zusammenstoß mit dem asiatischen Kontinent aussah. Diese Momentaufnahme  sollte dann also eigentlich vor allem Tierarten zeigen, die es anderswo nicht gibt.

Insel-Hopping vor dem großen Crash

Genau das tut sie aber nicht: Ähnliche Insekten-Fossilien wie in Gujarat wurden auch in Europa oder gar in Mittelamerika gefunden. „Das spricht dafür, dass es schon lange vor Entstehung des Bernsteins einen regen Artenaustausch gegeben hat“, spekuliert Rust. Möglicherweise gab es damals an der Grenze zwischen den Kontinentalplatten lange Ketten vulkanischer Inseln, ähnlich wie heute in Japan oder Indonesien. Per „Insel-Hopping“ könnten sich so die Insektenarten in Indien und Asien vermischt haben – und das schon viele Millionen Jahre vor dem großen Crash. Von Asien aus hätten sie sich dann weiter ausgebreitet.

Auch der Bernstein als solcher wirft Rätsel auf: Dass Pflanzen oder Tiere im Baumharz kleben bleiben und schließlich davon umschlossen werden, passiert nämlich ziemlich häufig. Normalerweise verwesen sie dann jedoch mit der Zeit. „In unserem Bernstein scheint dagegen irgendein Bestandteil des Harzes die Insekten imprägniert zu haben“, sagt Rust.

Zudem stammt das Harz augenscheinlich von Bäumen aus der Familie der Flügelfruchtgewächse, die ihren Verbreitungsschwerpunkt heute im indo-malayischen Raum haben. Bislang dachte man, dieser Pflanzentypus habe seine Blütezeit vor 25 Millionen Jahren erlebt. Jes Rust: „Der indische Bernstein beweist, dass dort bereits vor mehr als 50 Millionen Jahren ausgedehnte tropische Wälder von Flügelfruchtgewächsen existiert haben müssen. Das ist ein große Überraschung.“


Kontakt:
Prof. Dr. Jes Rust
Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie
Telefon: 0228/73-4842
E-Mail: jrust@uni-bonn.de

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Frauke Stebner.jpg - Professor Rusts Mitarbeiterin Frauke Stebner mit einem Stück Bernstein, das winzige Insekteneinschlüsse enthält. © Frank Luerweg, Universität Bonn
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01a.jpg - Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Schildlaus mit ungewöhnlichen Augen, die im indischen Bernstein eingeschlossen war. © Steinmann-Institut, Universität Bonn
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Bernstein.jpg - Als Schmuckstücke eignen sich die unansehnlich-braunen Brocken eher weniger. © Frank Luerweg, Universität Bonn
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