18. November 2010

Das Rätsel um die fehlenden Sterne im All scheint gelöst Das Rätsel um die fehlenden Sterne im All scheint gelöst

Forscher legen eine Erklärung für die Diskrepanz vor

In der lokalen Gruppe von Galaxien, zu der auch der Andromeda-Nebel und unsere Milchstraße gehören, gibt es rund 100 Milliarden Sterne. Nach Berechnungen von Astronomen müssten es eigentlich noch erheblich mehr sein. Physiker der Universität Bonn und der schottischen University of St. Andrews haben nun möglicherweise eine Erklärung für diese Diskrepanz gefunden. Ihre Studie erscheint in der kommenden Ausgabe der Monthly Notices of the Royal Astronomical Society; sie ist aber unter http://arxiv.org/abs/1011.3814 bereits online abrufbar.

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Abb1.jpg - Überbevölkerung führt zu dicken Kindern: Während sich in „leichten“ Sternhaufen die vergleichsweise wenigen entstehenden Sterne nicht gegenseitig beein?ussen, verschmelzen sie in „schweren“ Sternhaufen aufgrund des Gedränges miteinander. Dabei entstehen häufig besonders massereiche Sterne - das Zahlenverhältnis „schwer zu leicht“ verschiebt sich. © Abbildung: Jan Pflamm-Altenburg, Argelander-Institut der Universität Bonn
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Im Universum entstehen rund um die Uhr neue Sterne - in der Milchstraße sind es momentan etwa zehn pro Jahr. Diese Geburtenrate schwankt; früher lag sie teilweise um ein Vielfaches höher. Aus den Werten in der Vergangenheit lässt sich im Prinzip berechnen, wie bevölkert das All heute sein müsste. Das Problem: Die Ergebnisse derartiger Kalkulationen stimmen nicht mit den tatsächlichen Beobachtungen überein. „Eigentlich müsste es viel mehr Sterne geben, als wir tatsächlich sehen“, sagt der Astrophysiker Dr. Jan Pflamm-Altenburg vom Argelander-Institut für Astronomie der Uni Bonn.

Sag mir, wo die Sterne sind


Seit Jahren suchen Astronomen weltweit nach einer plausiblen Erklärung für diese Diskrepanz. Zusammen mit Dr. Carsten Weidner von der schottischen St. Andrews University scheinen Dr. Pflamm-Altenburg und der  Bonner Astrophysik-Professor Dr. Pavel Kroupa nun des Rätsels Lösung gefunden zu haben: Vermutlich hat man die Geburtenrate bislang einfach zu hoch eingeschätzt. Ganz so simpel, wie sich diese Antwort anhört, ist sie aber nicht: Der Schätzfehler schlägt nämlich wohl nur in Zeiten besonders hoher Sternenproduktion zu.

Der Grund dafür liegt in der Art und Weise verborgen, wie Astronomen die Geburtenrate berechnen. „Für das lokale Universum - also die Milchstraße als unsere Heimat sowie die Galaxien in ihrer Nähe - ist das relativ einfach“, erklärt Professor Kroupa. „Hier ist man in der Lage, mit Hilfe von Riesenteleskopen die jungen Sterne abzuzählen.“

Das Problem dabei: Diese Methode funktioniert nur für unsere nähere Umgebung. Viele Galaxien sind dagegen so weit entfernt, dass selbst das beste Teleskop kleinere Sterne in ihnen einfach übersieht. Glücklicherweise ist aber unter den Neuankömmlingen am Firmament hin und wieder ein besonders großer Brocken. Auch wenn man ihn nicht direkt als individuellen Stern entdecken kann, hinterlässt er selbst im Licht extrem weit entfernter Galaxien noch seine Spur. Die Anzahl der großen Brocken bestimmt dabei die Stärke dieser Spur.

In unserer näheren Umgebung treten diese großen Brocken mit einer festen Wahrscheinlichkeit auf: Auf ein „dickes“ Sternenkind kommen stets etwa 300 Leichtgewichte. Dieses Zahlenverhältnis schien bislang universell. Daher reichte es den Astronomen bei weiter entfernten Galaxien aus, die Zahl der großen Brocken zu kennen: Durch Multiplikation mit dem Faktor 300 ließ sich daraus ja ganz einfach die Gesamtzahl der neugeborenen Sterne bestimmen.

Überbevölkerung im All


Seit kurzem zweifeln jedoch einige Bonner Astronomen um Professor Kroupa das feste Zahlenverhältnis an. Ihre Idee: Zu Zeiten, in denen in den galaktischen Kreißsälen Hochkonjunktur herrscht, kommen dort deutlich mehr Schwergewichte zur Welt als normal. Ursache ist nach dieser Theorie das so genannte „stellar crowding“ (zu Deutsch: stellare Überbevölkerung). Sterne sind nämlich keine Einzelkinder, sondern kommen in Gruppen zur Welt, als so genannte Sternhaufen. Diese Haufen sind bei ihrer Geburt immer ähnlich groß - ganz egal, ob sie nun 100 Sternenembryos enthalten oder aber 100.000.

In Sternhaufen kann also in Zeiten einer hohen Geburtenrate ein ganz schönes Gedränge herrschen. Astronomen bezeichnen besonders massereiche Haufen auch als „ultrakompakte Zwerggalaxien“, abgekürzt UCDs. In ihnen ist die Enge so groß, dass die jungen Sterne im Laufe ihrer Entstehung teilweise verschmelzen. Es entstehen also mehr massereiche Sterne als normal. Das Verhältnis „klein zu groß“ liegt dann also beispielsweise nur noch bei 50 zu 1. „Anders gesagt: In den UCDs wurde die Zahl der neu entstandenen kleinen Sterne bislang bei weitem zu hoch eingeschätzt“, erklärt Dr. Carsten Weidner.

Die Forscher aus Bonn und St. Andrews haben die Geburtenraten nun nach den Vorhersagen der „stellar crowding“-Theorie korrigiert. Mit ermutigendem Ergebnis: Sie kamen dadurch tatsächlich auf die Sternenzahl, die man heute sieht.

Das Paper im Netz: http://arxiv.org/abs/1011.3814


Kontakt:
Dr. Carsten Weidner, University of St. Andrews
Telefon: 0044-1334/461673; E-Mail: Carsten.Weidner@st-andrews.ac.uk

Dr. Jan Pflamm-Altenburg, Universität Bonn
Telefon: 0228/73-3461; E-Mail: jpflamm@astro.uni-bonn.de

Prof. Dr. Pavel Kroupa
Telefon: 0177/9566127; E-Mail: pavel@astro.uni-bonn.de

 

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Abb3.jpg - Bislang schloss man bei weit entfernten Galaxien aus der Zahl der "großen" neugeborenen Sterne auf die Gesamtzahl der Geburten. Dieser Berechnung legte man aber das Verhältnis "groß zu klein" zugrunde, das sich bei niedrigen Geburtenraten einstellt. Da sich dieses Zahlenverhältnis bei hoher Sternenproduktion Richtung "große Sterne" verschiebt, war der Schätzwert also insgesamt zu hoch: Man erwartete mehr Sterne, als man heute tatsächlich sieht. © Abbildung: Jan Pflamm-Altenburg, Argelander-Institut der Universität Bonn
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Abb2.jpg - In Zeiten mit einer hohen Sternentstehungsrate bilden sich besonders häufig "schwere" Sternhaufen mit mehr als einer Million Sonnenmassen. Darin entstehen wiederum häufig besonders massereiche Sterne. Folge: Bei hoher Sternenproduktion verschiebt sich das Zahlenverhältnis „schwer zu leicht“ in Richtung "schwere Sterne". © Abbildung: Jan Pflamm-Altenburg, Argelander-Institut der Universität Bonn
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