Der erste Band umfasst 270 hebräische Stichworte von A bis H - und das ist laut Projektleiter Professor Dr. Heinz-Josef Fabry ein besonders spannender Abschnitt: „Er enthält quasi die ganze Familie, also die hebräischen Wörter für Vater, Mutter, Sohn und Tochter.“ Gerade deren Bedeutung hat sich in der Zeit zwischen Altem und Neuem Testament stark gewandelt. „Denken Sie an den Vater im Alten Testament: Das war immer der Strenge, der mit dem Stock“, erläutert der katholische Theologe. „Wie also kam Jesus einige Jahrhunderte später dazu, Gott Vater zu nennen und auf die Art zu beten, wie er es gelehrt hat? Er hatte dabei offensichtlich nicht das Bild vom prügelnden Vater im Sinn.“
Das Wörterbuch zeigt auf, wie sich innerhalb von 400 Jahren mit kulturellen Strömungen auch die Sprache geändert hat. Das Erziehungssystem befand sich im Wandel: „Die alten Hebräer legten viel Wert auf die Erziehung mit dem Stock“, sagt Professor Fabry, „aber zur Zeit der Qumranschriften begann die Epoche der Philosophenschulen in Griechenland: Da war plötzlich der Diskurs gefragt, man diskutierte Unstimmigkeiten aus.“ Dieses Prinzip hat sich bald auch in Palästina etabliert. „Und gerade bei der Bedeutung von ‚Vater‘, ‚Mutter‘, ‚Sohn‘ und ‚Tochter‘ zeichnet sich das sprachlich sehr stark ab.“
Der Bonner Theologe Professor Fabry leitet gemeinsam mit Privatdozent Dr. Ulrich Dahmen von der Universität Siegen das Wörterbuchprojekt zu den Qumrantexten, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Ziel ist ein dreibändiges Werk mit insgesamt 790 hebräischen Stichwörtern. Das Ganze sieht aus wie ein herkömmliches zweispaltiges Lexikon: Auf den hebräischen Begriff (Lemma) folgen die Angaben dazu, wo der Begriff in den Qumranschriften vorkommt und vor allem, was er dort bedeutet - und diese Erläuterung kann auch mal 20 Seiten füllen.
Denn die Qumranschriften umfassen etwa 1000 Texte auf 900 Schriftrollen aus Papyrus und Ziegenhaut, die inzwischen elektronisch erfasst sind. Beduinen fanden die Rollen im Jahr 1947 in Höhlen der Ruinenstätte von Qumran im Westjordanland. Für die Wissenschaft sind diese Texte eine Offenbarung: Das Alte Testament endet 300 v. Chr., das Neue Testament beginnt erst etwa 70 n. Chr. „Es gab keine direkten Literaturquellen aus der Zeit dazwischen“, erklärt Professor Fabry. „Die Qumranschriften schließen jetzt diese Literaturlücke.“
Das Wörterbuch wird eine neue Runde der Qumranforschung einläuten: „Unser Werk ist wie eine Betonmischmaschine, die man zum Bau eines Hauses unbedingt braucht“, umschreibt der Bonner Theologe: „Es ist ein Werkzeug, ohne das man keine durchgreifenden Kommentare zu den Qumranschriften schreiben kann.“ Analog hat vor einem Jahrzehnt das „Theologische Wörterbuch zum Alten Testament“ die Entstehung mehrerer großer Bibel-Kommentarreihen angeregt. „Wir leisten die Vorarbeit für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Nach 20 Jahren wird man dann wieder ein neues Wörterbuch brauchen“, schmunzelt Professor Fabry. Das Fernziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist es, das Neue Testament besser zu verstehen, „also nachzuvollziehen, warum etwas so und nicht anders im Neuen Testament gesagt wird.“
Vier Jahre lang hat eine Crew von zehn Mitarbeitern die Entstehung des ersten Wörterbuchbands koordiniert. Viele ausländische Theologen und Sprachwissenschaftler haben am ersten Band mitgeschrieben. „Dabei soll das Wörterbuch nicht nur die Summe der Forschung abbilden, sondern auch strittige Theorien diskutieren.“
Der erste Band ist gerade erschienen, der zweite soll Stichworte von I bis O umfassen und Ende 2012 fertig sein. „2015 erscheint dann der dritte Band inklusive Register“, sagt Professor Fabry, „und danach werde ich wohl in den Ruhestand gehen.“
Heinz-Josef Fabry, Ulrich Dahmen (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, Band 1, Verlag Kohlhammer 2011. ISBN 978-3-17-020429-4
Kontakt:
Prof. Dr. Heinz-Josef Fabry
Alttestamentliches Seminar der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-7886
E-Mail: fabry@uni-bonn.de