Wie Polizisten gehen die T-Lymphozyten – oder kurz T-Zellen – im Körper ständig auf Streife. Sie zählen zu den weißen Blutkörperchen und überwachen, ob es an den Körperzellen zu irgendwelchen krankhaften Veränderungen kommt. Ist das der Fall, verwandeln sie sich in Killerzellen und zerstören die erkrankten Zellen. Allerdings sollte das in der richtigen Dosierung erfolgen. „Das körpereigene Abwehrsystem muss einerseits auf einen Angriff durch Krankheitserreger sehr schnell reagieren können, etwa wenn die nächste Sommergrippe droht“, berichtet Prof. Dr. Joachim Schultze, Direktor Genomforschung und Immunregulation am Institut Life and Medical Sciences (LIMES) der Universität Bonn. Andererseits darf die Abwehrreaktion aber auch nicht zu heftig sein, weil sonst das körpereigene Gewebe angegriffen wird. So genannte Autoimmunerkrankungen sind dann die Folge.
Bei dieser feinen Austarierung des Immunsystems helfen spezialisierte Lymphozyten - die regulatorischen T-Zellen. Sie greifen immer dann bremsend ein, wenn die körpereigenen Streifenpolizisten zu aktiv sind. „Die regulatorischen T-Zellen nehmen über spezielle Andockstellen auf ihrer Oberfläche wahr, wenn zu viele angreifende Kollegen unterwegs sind“, sagt Prof. Schultze. Ein Protein namens SATB1 macht die T-Zellen für die Bekämpfung von Krankheitserregern scharf. „SATB1 wird in den Abwehrzellen hochgefahren, um eine Immunantwort zu ermöglichen“, führt Prof. Schultze aus. Die regulatorischen T-Zellen als „Bremser“ haben dagegen das SATB1 abgeschaltet.
Hemmende Zellen lassen sich in Angreifer umprogrammieren
Diese Erkenntnis ist sehr wichtig für das Verständnis und die Therapie von Krankheiten. „Tumore können sich entwickeln, weil das Immunsystem von den Krebszellen gehemmt wird“, berichtet der Immunologe. Mit SATB1 lassen sich die bremsenden regulatorischen T-Zellen in Angreifer umprogrammieren, die dann die Krebsgeschwüre abtöten. „Umgekehrt ist bei chronischen Entzündungen die Immunantwort dauerhaft zu stark“, sagt Prof. Schultze. Die hochgeschaukelte Abwehrreaktion ließe sich also durch Abschalten von SATB1 auf ein normales Maß herunterregeln.
Die Forscher zeigten an Mäusen, dass dies grundsätzlich möglich ist. So lange die Zahl der angreifenden und der hemmenden T-Zellen in den Tieren in einem Gleichgewicht ist, bleiben die Mäuse gesund. Regelten die Forscher aber durch die Übertragung eines Gens, das das Protein SATB1 codiert, die Zahl der Abwehrzellen hoch, erkrankten die Mäuse an einer chronischen Darmentzündung. Schalteten die Wissenschaftler jedoch das SATB1-Gen ab, überwogen die hemmenden T-Zellen in den Tieren und es kam zu keinen Entzündungen.
Ergebnisse lassen auf bessere Therapien hoffen
„Erstmals zeigten wir, dass durch den Transfer eines einzigen Gens hemmende T-Zellen in normale Abwehrzellen verwandelt werden können“, sagt Prof. Schultze. „Die angreifenden und die hemmenden T-Zellen sind nicht verschiedene Typen, wie bislang angenommen.“ Beide verfügten zwar über ganz verschiedene Ausprägungen, ließen sich aber mit SATB1 ineinander umprogrammieren. „Das ist wie die Hauptsicherung in einem Gebäude“, führt der Immunologe aus. „Es reicht, sie herauszudrehen – dann muss man nicht in jedem Zimmer einzeln das Licht ausschalten.“
Während der Immuntherapie von Tumorerkrankungen wird üblicherweise versucht, zuerst das fehlprogrammierte Abwehrsystem komplett auszuschalten, damit anschließend aus dem Knochenmark neue Abwehrzellen entstehen können. Dies funktioniert aber bei vielen Patienten im höheren Alter nicht mehr so gut. „Mit SATB1 könnten bereits vorhandene hemmende T-Zellen in angreifende umgewandelt werden, die die Tumore bekämpfen“, schlägt der Immunologe vor. Bis zu einer solchen Therapie sei es aber noch ein weiter Weg.
Publikation: Repression of the genome organizer SATB1 In regulatory T cells is required for suppressive function and inhibition of effector differentiation, Fachmagazin „Nature Immunology“, DOI: 10.1038/ni.2084
Kontakt:
Prof. Dr. med. Joachim L. Schultze
LIMES-Institut der Universität Bonn
Tel. 0228/7362787
E-Mail: joachimschultze@praediktive-medizin.de
Zentraler Schalter für das Immunsystem Zentraler Schalter für das Immunsystem
Forscher der Universität Bonn entdecken, wie Abwehrzellen durch ein einziges Gen „scharf“ werden
Ein internationales Forscherteam unter Leitung der Universität Bonn hat einen zentralen Schalter für die Steuerung des Immunsystems entdeckt. Das Protein SATB1 verwandelt weiße Blutkörperchen, die eine hemmende Wirkung haben, in angreifende Abwehrzellen. Mit diesem Schalter lässt sich das Immunsystem entweder „scharf“ machen oder gezielt herunterfahren. Die Wissenschaftler hoffen, dass sich mit dem wissenschaftlichen Ergebnis Krebs und chronische Entzündungen besser bekämpfen lassen.
Regulatorische T-Zelle:
- Der Kern wurde mit Blau eingefärbt. In Rot ist das Protein SATB1 zu sehen. Grün markiert einen Faktor, der das Auslesen der genetischen Information reguliert.
© Foto: Marc Beyer/Uni Bonn
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