15. Dezember 2011

Kinoerfahrungen im Blickpunkt der Wissenschaft Kinoerfahrungen im Blickpunkt der Wissenschaft

Forscher untersuchen unter Beteiligung der Universität Bonn Rituale, Sinnesreizung und Wissensvermittlung

Wer ins Kino geht, erwartet meist Action, Leidenschaft oder schlicht Comedy - doch die Lichtspielhäuser waren auch immer schon Orte der Wissensvermittlung. Solche Aspekte untersucht unter Beteiligung der Universität Bonn das Forschungsnetzwerk „Erfahrungsraum Kino“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Die überwiegend jungen Wissenschaftler beleuchten außerdem das Kino als sozialen Raum und die Rolle der neuen Medien.

Die frühen Kinofilme vermittelten auch medizinisches Wissen:
Die frühen Kinofilme vermittelten auch medizinisches Wissen: - Prof. Dr. Ursula von Keitz mit Archivmaterial des Arbeitsbereichs "Phonetik und sprachliche Kommunikation" der Universität Bonn. © Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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„Heute stehen Wissenssendungen hoch im Kurs, doch die Bemühung, Wissenschaft auch im Kinofilm darzustellen, gibt es seit die Bilder laufen lernten“, sagt die Film- und Medienwissenschaftlerin Prof. Dr. Ursula von Keitz von der Universität Bonn, eine der Initiatoren des DFG-Forschungsnetzwerks „Erfahrungsraum Kino“. Die frühen Kinofilme hatten nicht nur künstlerische oder unterhaltsame Qualitäten, sie sollten auch praktische Lebenshilfe vermitteln. So klärte der Ufa-Kulturfilm „Falsche Scham“ von 1926 populärwissenschaftlich über Geschlechtskrankheiten auf. „Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Dokumentation und Spielszenen in Form von Episoden aus dem Tagebuch eine Arztes“, berichtet Prof. von Keitz.

Verbreitet waren auch Lehrfilme für den Hochschulbetrieb: „Die Bewegung des Gaumensegels beim Schlucken und Sprechen“ heißt etwa ein Streifen, der 1955/56 von der HNO-Klinik Tübingen produziert und über das Göttinger Institut für den wissenschaftlichen Film vertrieben wurde. Im Archiv des Arbeitsbereichs „Phonetik und sprachliche Kommunikation“ der Universität Bonn liegt eine Kopie vor. „Die Lehrfilme wurden eingesetzt, weil sich beispielsweise damit das Wissen über medizinische Inhalte leichter unter Studierenden verbreiten ließ“, sagt die Bonner Filmwissenschaftlerin.

Chirurgen operierten mit einer Kamera über dem OP-Tisch

Chirurgen operierten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer Kamera über dem OP-Tisch, die sie dank eines Fußpedals bedienen und damit besonders interessante Szenen des Eingriffs aufnehmen konnten. „Das Bedürfnis, wissenschaftliche Themen und Inhalte zu dokumentieren, führte auch zu zahlreichen filmtechnischen Innovationen“, sagt Prof. von Keitz. „So wurde der Zeitraffer zur Dokumentation etwa des Wachstums von Pflanzen verwendet, während wir ihn heute hauptsächlich von komischen Bewegungseffekten in Spielfilmen kennen.“

Wer ins Kino geht, huldigt einem Ritual

Neben der Bedeutung des Mediums für die Wissenschaftskommunikation wird auch das Kino als sozialer Ort untersucht. „Wer ins Kino geht, huldigt einem Ritual: Menschen verabreden sich, nehmen sich vor der Leinwald als Gemeinschaft wahr und teilen ein Erlebnis“, berichtet Prof. von Keitz. „Hinterher setzen sich viele Zuschauer noch zusammen und sprechen über den Film – das verstärkt die Eindrücke.“ Bücher werden dagegen in der Regel alleine gelesen. „Auch Handy-Videos vermitteln eher ein individuelles Erlebnis, dazu auf einem sehr kleinen Bildschirm“, sagt die Filmwissenschaftlerin. Das sei mit einem Kinoerlebnis nicht vergleichbar.

Das Kino erfindet Bilder für sinnliche Eindrücke

Das Forschernetzwerk will außerdem ergründen, welche Rolle die Sinnesreizung in Kinofilmen spielt. „Das Kino versucht, Bilder für Emotionen – etwa Freude, Angst oder Ekel – zu finden“, erläutert Prof. von Keitz. Ein Paradebeispiel dafür ist der Streifen „Notorious“ (deutscher Titel: „Berüchtigt“ und „Weißes Gift“) von Alfred Hitchcock. Ingrid Bergman in der Hauptrolle soll allmählich vergiftet werden. Ihre zunehmende Schwächung wird durch eine intelligente Kameraführung visuell umgesetzt: Als ein schwankendes, verzerrtes Bild, wie es aus der Perspektive der halb ohnmächtigen Frauenfigur gesehen würde.

Sechs Arbeitstreffen an verschiedenen Orten

„Das Forschungsnetzwerk Erfahrungsraum Kino fokussiert das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln“, sagt Dr. Florian Mundhenke, Juniorprofessor für Mediale Hybride an der Universität Leipzig. „Dazu gehört, wie die neuen Medien mit den traditionellen Lichtspielhäusern konkurrieren und sie beeinflussen.“ Prof. Mundhenke ist Sprecher des Netzwerks und hat den Förderantrag gestellt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) stellt für Reise- und Sachkosten 25.000 Euro zur Verfügung. „Mit der Förderung des Forschungsnetzwerks ermöglicht die DFG vor allem Nachwuchswissenschaftlern den ortsübergreifenden themenbezogenen Austausch“, sagt Prof. Mundhenke. Am Netzwerk „Erfahrungsraum Kino“ sind Wissenschaftler aus Zürich, Berlin, Mainz, Siegen, Bochum, Leipzig und Bonn beteiligt.

Sechs Arbeitstreffen an verschiedenen Orten und eine internationale Abschlusskonferenz in Berlin sind für die nächsten drei Jahre geplant. Im Herbst 2012 findet ein Netzwerktreffen in Bonn zum Thema „Wissensvermittlung und Sinneserleben im und durch Filme“ statt, das Prof. von Keitz veranstaltet. Die Ergebnisse des Netzwerkprojektes sollen abschließend in einer Publikation dokumentiert werden.

Kontakt:

Prof. Dr. Ursula von Keitz
Universität Bonn
Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft
Abteilung Medienwissenschaft
Tel. 0228/735635 oder 734746
keitz@ifk.uni-bonn.de

Juniorprof. Dr. Florian Mundhenke
Universität Leipzig
Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
Tel.: 0341/9735703
 mundhenke@uni-leipzig.de

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