Wie eine Mischung aus quietschender Türangel und metallischem Hämmern klingt der Gesang der Laubheuschrecke Archaboilus musicus, die vor rund 165 Millionen Jahren lebte. Die gleichförmigen Staccatos, die die Männchen durch Reiben ihrer Flügel erzeugten, sind wohl kaum dazu geeignet, einen Pop-Hit zu landen. Doch waren die monotonen Beats offensichtlich anziehend genug, Weibchen zu betören – sonst wären die Laubheuschrecken wohl längst ausgestorben. Ein Team aus chinesischen, englischen und amerikanischen Wissenschaftler um Jun-Jie Gu und Dong Ren von der Capital Normal University in Beijing haben den Gesang anhand des Flügelbaus eines rund 165 Millionen Jahre alten Fossils nun rekonstruiert.
Die Geräusche entstehen durch Reiben der Flügel
„Die Heuschrecken erzeugen den Klang, indem sie mit kleinen Zähnchen der einen Flügeldecke über eine harte Leiste des anderen Flügels streichen – das macht richtig Krach“, erläutert Prof. Dr. Jes Rust vom Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn, der die Arbeit der Wissenschaftler nun in den PNAS kommentierte. „Das funktioniert ganz ähnlich, wie wenn man mit einem Plectrum über eine Gitarrenseite streicht.“ Auch heute noch machen sich paarungswillige Heuschreckenmännchen auf diese Weise bemerkbar - doch haben ihre „Hits“ einen viel größeren Klangumfang als die ihrer Vorfahren.
Prof. Rust stellt jedoch fest, dass das gesangliche Repertoire von Archaboilus musicus alles andere als primitiv war. „Der Klang ist deutlich komplizierter als ein einfaches `Ratsch´“, sagt er. „Die Männchen halten exakt die Tonhöhe eines Baritons.“ Hierfür müssen die Zähnchen auf dem Flügel in einer gestaffelten Abfolge angeordnet sein. „Das deutet daraufhin, dass sich Archaboilus musicus in einer bestimmten Frequenz eingenischt hat“, kommentiert der Paläontologe die Ergebnisse der internationalen Forscher.
Die tiefe Tonlage deutet auf lichten Wald als Lebensraum hin
Weil es sich um eine eher tiefe Tonlage handelt, schließt der Bonner Paläontologe darauf, dass die Heuschreckenspezies vor 165 Millionen Jahren wohl in einem lichten Wald gelebt hat. „Tiefere Töne sind weiter zu hören als höhere“, sagt er. „Die Männchen haben die Weibchen aus großer Entfernung angelockt.“ Das sei in einem dichten Dschungel unmöglich, weil dort die Gesänge nicht so weit zu hören seien. Die „Ohren“ der Heuschrecken befinden sich übrigens nicht wie bei den Menschen am Kopf, sondern an den Knien der Vorderbeine. „Man erkennt daran sofort, wie sich eine bestimmte Heuschreckenart ernährte“, berichtet der Paläontologe. „Bei jagenden Spezies ist im Gegensatz zu Pflanzenfressern das Gehör überdacht, um sie beim Kampf zu schützen.“
Der Minnesang lockt auch Feinde an
Doch den Minnesang der Heuschreckenmännchen hören nicht nur die potenziellen Gespielinnen, sondern auch Fressfeinde. „Das mag erklären, warum Archaboilus musicus auf einem so schmalen Frequenzband sein Konzert anstimmte“, sagt Prof. Rust. „Damit sank das Risiko, von Vogel ähnlichen Sauriern, Amphibien oder Kleinsäugern akustisch wahrgenommen und verspeist zu werden.“ Doch galt damals schon für die Heuschreckenmännchen das Motto „no risk - no fun“. Die stummen Weibchen lebten weitaus sicherer. Auch das hatte vermutlich seinen biologischen Sinn: Während die Männchen nach der Begattung ihre Aufgabe erfüllt haben, werden ihre Artgenossinnen noch für die Eiablage gebraucht.
Verblüffend genaue Rekonstruktion ist im Internet zu hören
„Es ist ganz verblüffend, wie genau man den Gesang von Archaboilus musicus rekonstruieren kann“, lobt der Bonner Paläontologe die Arbeit seiner chinesischen, englischen und amerikanischen Kollegen. „Das ist so, als hätte man von einem Vormenschen ein fossiles Stimmband gefunden und könnte nun seine Stimmlage erschließen.“ Eine Kostprobe der Minnesänger ist im Internet unter http://www.pnas.org/content/suppl/2012/02/03/1118372109.DCSupplemental/sm01.mov zu hören. Der Fossilbericht zur Evolution der akustischen Kommunikation durch Gesänge und andere Laute ist sehr dünn. „Die Arbeit der Wissenschaftler um Jun-Jie Gu zeigt das große Potenzial dieser Studien“, kommentiert Prof. Rust, der bereits 1999 in „Nature“ mit seinen Kollegen die Resultate zur Stimmrekonstruktion einer 55 Millionen Jahre alten Heuschrecke vorstellte. „Solche Ergebnisse vervollständigen unsere Vorstellung von den Ökosystemen im Zeitalter des Jura.“
Publikation: Jun-Jie Gu, Fernando Montealegre-Z, Daniel Robert, Michael S. Engel, Ge-Xia Qiao, and Dong Ren: Wing stridulation in a Jurassic katydid (Insecta, Orthoptera) produced low-pitched musical calls to attract females, pnas, DOI: 10.1073/pnas.1118372109
Kommentar: Jes Rust: Choristers of the Jurassic, pnas, DOI:10.1073/pnas.1201447109
Kontakt:
Prof. Dr. Jes Rust
Steinmann-Institut für Geologie,
Mineralogie und Paläontologie
Tel. 0228/734842
jrust@uni-bonn.de
Riskante Lockgesänge vor 165 Millionen Jahren Riskante Lockgesänge vor 165 Millionen Jahren
Ein internationales Forscherteam rekonstruiert die Stimmlage einer fossilen Heuschreckenart
Nicht nur Menschen möchten mit ihren Stimmen als „Superstar“ überzeugen. In der Tierwelt locken Männchen mit betörenden Klängen Partnerinnen an, um mit ihnen Sex zu haben. Diesen Minnesang gibt es schon lange. Wie der Gesang von Laubheuschrecken vor 165 Millionen Jahren klang, haben jetzt chinesische, englische und US-Forscher rekonstruiert. Der Paläontologe Prof. Dr. Jes Rust von der Universität Bonn hat nun diese Veröffentlichung in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) kommentiert.
Vorderflügel einer heute noch lebenden Heuschreckenart:
- An der linken Flügeldecke sitzen die kleinen Zähnchen, die über eine harte Leiste am rechten Flügel streichen und dabei das typische Geräusch machen.
© Foto: Georg Oleschinski/Uni Bonn
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