04. April 2012

Therapieansatz für Schwerstdepressive Therapieansatz für Schwerstdepressive

Bonner Wissenschaftler weisen nach, dass die tiefe Hirnstimulation auch langfristig Wirkung zeigt

Hirnschrittmacher haben bei Patienten mit schwersten Depressionen einen Langzeiteffekt. Das haben nun Wissenschaftler der Universitätsklinik Bonn nachgewiesen. Elf Patienten nahmen an der Studie über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren teil. Bei knapp der Hälfte der Probanden wurde nachhaltig eine Reduktion der Symptome um mehr als 50 Prozent nachgewiesen. Damit eröffnet sich für Menschen mit schwersten Depressionen, die auf keine andere Therapie ansprechen, eine neue Perspektive. Die Ergebnisse werden jetzt in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Neuropsychopharmacology“ vorgestellt.

Für die tiefe Hirnstimulation
Für die tiefe Hirnstimulation - implantieren Mediziner Elektroden in den Nucleus Accumbens ihrer Patienten und stimulieren damit das Belohnungssystem im Gehirn. © Foto: Universitätsklinikum Bonn
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Menschen mit schweren Depressionen sind ständig niedergeschlagen, antriebslos, ziehen sich zurück und empfinden keine Freude mehr. Meist haben sie Angstzustände und den Wunsch, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Schätzungsweise erleidet jeder Fünfte in Deutschland im Lauf seines Lebens eine Depression – mit Folgen bis hin zum Suizid. Häufig werden die Betroffenen mit Psychotherapien und Medikamenten behandelt. „Bei manchen Patienten hilft jedoch keine Therapie“, sagt Prof. Dr. Thomas E. Schläpfer von der Bonner Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. „Manche verharren mehr als zehn Jahre im Bett – nicht weil sie müde sind, sondern weil ihnen jeglicher Antrieb fehlt und sie unfähig sind aufzustehen.“

Ein möglicher Ausweg ist die „tiefe Hirnstimulation“, bei der den Patienten Elektroden ins Gehirn eingepflanzt werden. Zielpunkt ist der Nucleus Accumbens - eine Hirnregion, die als Belohnungszentrum bekannt ist. Dort stimuliert ein schwacher elektrischer Strom die Nervenzellen. Solche Hirnschrittmacher werden heute oft von Neurochirurgen und Neurologen zur Behandlung des ständigen Muskelzitterns bei der Parkinson-Krankheit eingesetzt.

Bereits eine Studie im Jahr 2009 bewies eine antidepressive Wirkung

Die Bonner Wissenschaftler konnten bereits im Jahr 2009 nachweisen, dass Hirnschrittmacher auch eine Wirkung bei schwerstdepressiven Patienten zeigen. Von zehn Probanden, denen Elektroden in den Nucleus Accumbens implantiert worden waren, zeigte sich bei allen eine Linderung der Symptome. Die Hälfte der Probanden sprach besonders deutlich auf die Reizung durch die Elektroden an.

„In der aktuellen Studie untersuchten wir, ob diese Effekte langfristig erhalten bleiben oder ob die Wirkung der tiefen Hirnstimulation bei den Patienten allmählich abschwächt“, sagt Prof. Schläpfer. Bei der Psychotherapie oder Behandlungen mit Medikamenten gibt es immer wieder Rückfälle. Manche der Patienten hatten bis zu 60 vergebliche Behandlungen mit Psychotherapie, Medikamenten und Elektrokrampftherapie hinter sich. „Bei der tiefen Hirnstimulation hält die klinische Verbesserung hingegen über Jahre hinweg konstant an.“ Die Wissenschaftler beobachteten insgesamt elf Patienten über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren. „Wer anfangs auf die tiefe Hirnstimulation ansprach, spricht auch heute noch darauf an“, fasst der Bonner Psychiater die Ergebnisse zusammen. Ein Patient schied im Lauf der Studie durch einen Suizid aus dem Leben. „Das ist sehr bedauerlich“, sagt Prof. Schläpfer. „Dies lässt sich bei schwerstdepressiven Patienten aber nicht immer verhindern.“

Die aktuelle Studie zeigt: Die positiven Effekte halten jahrelang an

Die Teilnehmer der Studie zeigten bereits nach kurzer Zeit eine Besserung der Symptome. „Die Intensität der Angstsymptome nahm ab, der Antrieb der Probanden verbesserte sich“, berichtet der Psychiater. „Nach vielen Jahren der Krankheit konnten einige sogar wieder arbeiten.“ Die Wissenschaftler wiesen nun mit der aktuellen Publikation nach, dass die positiven Effekte über einen längeren Zeitraum nicht abnehmen. „Bei allen Testpersonen war eine Besserung der Symptome zu verzeichnen, bei knapp der Hälfte lag das Ausmaß der Beschwerden auch Jahre nach dem Beginn der Behandlung um mehr als 50 Prozent unter dem Ausgangswert“, sagt Prof. Schläpfer. „Schwerwiegende Nebenwirkungen der Therapie waren nicht zu verzeichnen.“

Die langfristige Wirkung ist nun mit der aktuellen Studie bestätigt. Wie genau die elektrische Stimulation in der Lage ist, die Funktion des Nucleus Accumbens zu verändern, ist noch nicht bekannt. „Hier gibt es noch Forschungsbedarf“, sagt Prof. Schläpfer. „Mit bildgebenden Verfahren wurde nachgewiesen, dass die Elektroden den Nucleus Accumbens tatsächlich aktivieren.“ Das Verfahren der tiefen Hirnstimulation bedeute möglicherweise eine Hoffnung für Menschen, die an den schwersten Formen von depressiven Erkrankungen leiden. „Bis dieses Therapieverfahren zur klinischen Standardanwendung wird, ist es allerdings noch ein weiter Weg“, sagt der Bonner Wissenschaftler.
   
Publikation: Long-term Effects of Nucleus Accumbens Deep Brain Stimulation in Treatment Resistant Depression – Evidence for Sustained Efficacy, Neuropsychopharmacology, DOI: 10.1038/npp.2012.44

Podcast zum Thema im Internet unter: http://www.uni-bonn.tv/podcasts/20120328_BE_Hirnstimulation.mp4/view

Kontakt:

Prof. Dr. med. Thomas E. Schläpfer
Stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn
Tel. 0228/28715715
schlaepf@jhmi.edu

Prof. Dr. Thomas E. Schläpfer
Prof. Dr. Thomas E. Schläpfer - Stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn. © Foto: UKB
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