18. Juli 2012

„Schnappschüsse“ einer versunkenen Insektenwelt „Schnappschüsse“ einer versunkenen Insektenwelt

Anhand von Fraßspuren rekonstruierten Forscher die Artenvielfalt vor mehr als 44 Millionen Jahren

Wissenschaftler haben unter Federführung der Universität Bonn anhand von fossilisierten Fraßspuren an Blättern die Artenzusammensetzung der Insektenwelt im Eozän vor rund 45 Millionen Jahren rekonstruiert. Weil sich in dieser Zeit das Klima stark wandelte, konnten sie auch diesen Faktor auf die Pflanzen-Insekten-Beziehungen bestimmen. Damit sind nun auch Prognosen möglich, wie sich die aktuelle Klimaerwärmung auf die Lebewelt auswirken könnte. Die Ergebnisse sind nun in der internationalen Online-Fachzeitschrift der Public Library of Science „PLoS ONE“ erschienen.

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SMBME21259.jpg - Blatt eines fossilen Lorbeergewächses (Lauraceae) mit deutlich erkennbarem Randfraß, wie er für Blattschneiderbienen typisch ist aus der Grube Messel bei Darmstadt (SMB ME 21259 Sammlung Senkenberg Museum). © Foto: G. Oleschinski, Uni Bonn
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Im Erdzeitalter des Eozän, vor 56 bis 34 Millionen Jahren, herrschten in Mitteleuropa teilweise tropische Temperaturen. Krokodile tummelten sich träge in den Gewässern, die von Palmen umgeben waren. Außerdem gab es eine ungewöhnlich große Fülle von pflanzenfressenden Insektenarten. Das haben nun Wissenschaftler unter Federführung der Universität Bonn zusammen mit dem Naturhistorischen Museum Mainz, dem Senckenberg Forschungsinstitut Frankfurt/Main, der Smithsonian Institution Washington (USA) und der University of Maryland (USA) herausgefunden.


Die Wissenschaftler untersuchten mehr als 16.000 Fossilien

Die Forscher untersuchten insgesamt 16.082 fossilisierte Pflanzenblätter aus der Grube Messel bei Darmstadt und dem Eckfelder Maar bei Manderscheid. Im Eozän waren beide Fundstellen Kraterseen, die später durch natürliche Sedimentation verfüllt wurden. „Anhand der Fraßspuren auf den Blattfossilien konnten wir die Art und die Häufigkeit der Insekten bestimmen, die an den Pflanzen geknabbert haben“, sagt Privatdozent Dr. Torsten Wappler vom Steinmann Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn. Jede pflanzenfressende Insektenart hat einen speziellen Kauapparat und hinterlässt deshalb auf den Blättern ein charakteristisches Fraßmuster. Bei Blattschneiderbienen sind dies etwa dreieckige Löcher.

Fast 90 Fraßspurentypen zeugen von reicher Insektenwelt

Die Wissenschaftler konnten anhand der Fraßspuren unter anderem Zombie-Ameisen, Grashüpfer, Schmetterlinge, Fliegen, Käfer und Bienen identifizieren. Es handelte sich dabei um alle möglichen Entwicklungsstadien – von der Larve bis zum ausgewachsenen Insekt. „Wir haben 89 verschiedene Fraßspurentypen gefunden – diese große Vielfalt ist erstaunlich“, erläutert Erstautor Dr. Wappler. In den USA und in Südamerika sei bei vergleichbaren Studien nicht einmal die Hälfte dieser Zahl gefunden worden. „Das zeigt, dass die Insekten Mitteleuropas im Eozän hoch spezialisiert waren und dass sie über komplexe Beziehungen mit der Pflanzenwelt vernetzt waren.“

Blick in die Vergangenheit zeigt Auswirkungen eines Klimawandels

Im Eozän war das Klima auf der Erde vergleichsweise warm. Rekonstruktionen anhand der Isotopenverhältnisse in Foraminiferenschalen zeigen, dass die Jahresdurchschnittstemperatur damals bei rund 20 Grad Celsius gelegen haben muss. „Auch der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre war zu dieser Zeit mit rund 800 ppm mehr als doppelt so hoch wie heute“, sagt der Paläontologe der Universität Bonn. Damit handelt es sich beim Blick in die Vergangenheit um ein Forschungslaboratorium, das Auskunft darüber geben kann, welche Auswirkungen der heutige Klimawandel auf die Flora und Fauna in Zukunft haben kann.

Zwei Fundstätten markieren verschiedene Klimaphasen

„Da die Funde in der Grube Messel auf 47 Millionen Jahre und die vom Eckfelder Maar auf 44 Millionen Jahre datiert sind, können wir an diesen Eckpunkten die Entwicklung über drei Millionen Jahre zurückverfolgen“, berichtet Dr. Wappler. Interessanterweise hat sich in dieser Zeit das Klima langsam abgekühlt. Die Forscher haben damit so etwas wie einen „Schnappschuss“ von der Insektenwelt aus einer sehr warmen Zeit und einen weiteren aus einer kühleren Epoche. Dabei zeigte sich, dass in Phasen sehr hoher Kohlendioxidgehalte in der Atmosphäre mehr Fraßspuren vorhanden sind als bei niedrigeren Gehalten des Treibhausgases. „Wenn viel Kohlendioxid in der Atmosphäre vorkommt, bauen die Pflanzen relativ mehr Kohlenstoff als Stickstoff ein“, erläutert der Paläontologe. „Der Nährwert der Pflanzenblätter sinkt dadurch – die Insekten müssen also mehr davon fressen.“

Artenverschiebungen haben auch Konsequenzen für den Menschen

Während des Klimawandels im Eozän kam es bei den Insekten auch zu einer deutlichen Verschiebung des Artenspektrums: Neue Spezies wanderten ein und etablierte verschwanden. „Die Auswirkungen der Klimaänderung auf die hoch komplexen Tier-Pflanzen-Beziehungen sind deutlich in den Daten zu sehen“, sagt Dr. Wappler. „Von solchen Artenverschiebungen hängt heute das Schicksal des Menschen ab, weil das Vorhandensein bestimmter Pflanzen und Tiere für die Ernährung der Weltbevölkerung entscheidend sind.“ So könnten etwa ein Rückgang von Pflanzen bestäubenden Insekten oder ein Massenauftreten von pflanzenfressenden Insekten in landwirtschaftlichen Kulturen dramatische Auswirkungen auch für den Menschen haben.

Publikation: Testing fort he Effects and Consequences of Mid Paleogene Climate Change on Insect History, PLoS ONE, Internet: http://dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0040744.


Kontakt:

PD Dr. Torsten Wappler
Steinmann Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie
Tel. 0228/734682
E-Mail: twappler@uni-bonn.de

Prof. Dr. Jes Rust
Steinmann Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie
Tel. 0228/734842
E-Mail: jrust@uni-bonn.de


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SMBME21180_01a.jpg - Blatt eines fossilen Lorbeergewächses (Lauraceae) mit typischem Lochfraß und markanten Reaktionssäumen um die angefressenen Stellen aus der Grube Messel bei Darmstadt (SMB ME 21180 Sammlung Senkenberg Museum). © Foto: G. Oleschinski, Uni Bonn
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