Die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn folgt keinen starren Regeln, sondern passt sich den jeweiligen Erfordernissen an. So modulieren biochemische Botenstoffe – so genannte Neurotransmitter – an den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen die Stärke des jeweiligen Signals. „Die Signalübertragung kann mit Hilfe dieser Botenstoffe hoch- oder herunterreguliert werden“, berichtet Prof. Dr. Susanne Schoch vom Institut für Neuropathologie der Universität Bonn. Diese Fähigkeit zur flexiblen Änderung in der Informationsübertragung wird auch neuronale Plastizität genannt. Sie gilt als ein wichtiger Mechanismus für Lernprozesse und Gedächtnisbildung.
Das Protein „RIM1alpha“ spielt eine Schlüsselrolle
Eine Schlüsselrolle bei der Regulation der Signalübertragung zwischen den Nervenzellen spielt das Protein „RIM1alpha“, indem es sowohl entscheidend an der Kontrolle der Neurotransmitterfreisetzung als auch an der Etablierung der neuronalen Plastizität beteiligt ist. In der aktuellen Studie untersuchten die Wissenschaftler von der Neuropathologie und der Epileptologie der Universität Bonn, wie die Plastizität in epileptischen Gehirnen funktioniert. Hierfür nutzten die Forscher Mäuse, die ähnlich wie Menschen unter chronischen Epilepsien litten. „Durch gleichzeitige Entladung vieler Nervenzellen kam es auch bei den Nagetieren zu den plötzlich auftretenden Krampfanfällen“, sagt Erstautorin Dr. Julika Pitsch, wissenschaftliche Mitarbeiterin in Prof. Schochs Team. „Häufen sich entsprechende Krampfanfälle vorübergehend massiv an, kommt es nach einem Intervall allmählich zu Veränderungen im Gehirn, die zu einer chronischen Epilepsie führen.“
Kompensationsmechanismen im Gehirn wirken Schäden entgegen
Die Bonner Forscher beobachteten das Verhalten der epileptischen Mäuse mit Videokameras und maßen deren Hirnaktivität mit Elektroden. Bei einer Gruppe war das Gen für „RIM1alpha“ ausgeschaltet. „Bei diesen Tieren kam es viel häufiger zu epileptischen Anfällen als bei der Maus-Kontrollgruppe, bei der das Gen für `RIM1alpha´ intakt war und die das wichtige Protein weiterhin produzieren konnten“, berichtet Prof. Schoch. Die Wissenschaftler stellten bei den Mäusen mit dem ausgeschalteten Gen für „RIM1alpha“ zudem fest, dass es in einer bestimmten Hirnregion – dem Hippokampus – zu Veränderungen kam, die auch bei einer bestimmten Form der Epilepsie des Menschen beobachtet werden. Diese Hirnstruktur ist auch wesentlich an der Gedächtnisbildung beteiligt. „Diese veränderten strukturellen Umbildungen im Hippokampus und die erhöhte Anfallsfrequenz finden statt, da das Protein RIM1alpha den schädlichen Auswirkungen nicht entgegen wirken kann“, sagt Dr. Pitsch.
Das Gehirn schützt sich vor krankhaften Veränderungen
„Das Protein `RIM1alpha´ ist offenbar sehr wichtig für die Vermittlung der Plastizität“, fasst die Bonner Wissenschaftlerin die Ergebnisse zusammen. Das Gehirn braucht offensichtlich dieses wichtige Protein, um sich möglichst vor krankhaften Veränderungen zu schützen. Mit diesen Ergebnissen zeichnet sich möglicherweise ein neuer Ansatzpunkt zur Behandlung von epileptischen Gehirnen ab. „Es handelt sich dabei um Grundlagenforschung – von einer Anwendung sind wir noch weit entfernt“, sagt Prof. Schoch. „Ein besseres Verständnis der Ursachen von Epilepsien ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für deren erfolgreiche Behandlung.“
Publikation: The Presynaptic Active Zone Protein RIM1alpha Controls Epileptogenesis following Status Epilepticus, The Journal of Neuroscience, DOI: 10.1523/JNEUROSCI.0223-12.2012
Kontakt:
Prof. Dr. Susanne Schoch
Institut für Neuropathologie
Tel. 0228/28719109
susanne.schoch@uni-bonn.de
Dr. Julika Pitsch
Institut für Neuropathologie
Tel. 0228/28711929
jpitsch@uni-bonn.de