Wenn durch Durchblutungsstörungen Teile des Herzmuskels absterben, wird es gefährlich. Der Herzinfarkt zählt zu den Haupttodesursachen in den Industrienationen. Mehr als 50.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an einer solchen akuten Herzattacke. „Aber selbst wenn die Betroffenen überleben, kann es zu erheblichen Beeinträchtigungen der Herzfunktion“ kommen, berichtet Prof. Dr. Bernd K. Fleischmann vom Institut für Physiologie I am Life & Brain Zentrum der Universität Bonn. Die abgestorbenen Herzmuskelzellen werden nämlich nicht durch neue Herzmuskelzellen, sondern durch Narbengewebe ersetzt, das keine Pumpleistung erbringt.
Regenerationspotenzial ist nicht vorhanden
Ein weltweit verfolgter therapeutischer Ansatz zielt darauf ab, die verbliebenen intakten Herzmuskelzellen mit speziellen Wirkstoffen zur Teilung anzuregen und damit die Herzleistung wieder zu steigern. „Es gibt hierzu in der wissenschaftlichen Literatur teilweise euphorische Berichte, die bisher nicht verifiziert werden konnten“, sagt Erstautor Dr. Michael Hesse, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Physiologie I. „Diese Befunde können wir nun mit unserer neuen Methode genauestens untersuchen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass im erwachsenen Herzen ohne Behandlung im Grunde kein Regenerationspotenzial von Herzmuskelzellen vorhanden ist.“ Die Forscher haben eine neuartige Methode entwickelt, mit der sich die Teilung lebender Zellen „live“ beobachten lässt. Sie untersuchten damit gentechnisch veränderte Mäuse, die einen Herzinfarkt erlitten hatten.
Herzzellen mit zwei Zellkernen sind nicht teilungsfähig
Das Ergebnis: „Die Herzmuskelzellen teilten sich nicht richtig, sondern verdoppelten lediglich ihre Zellkerne oder einen Teil ihres Erbguts“, berichtet Alexandra Raulf, die sich mit ihrem Institutskollegen Dr. Hesse die Erstautorenschaft teilt. „Das hat zur Folge, dass auf diese Weise keine neuen Herzzellen nach dem Infarkt entstehen.“ Bei einer echten Teilung verdoppeln sich zwar auch die Zellkerne, sie werden aber anschließend auf zwei Zellen verteilt, indem sich die Mutterzelle in der Mitte abschnürt. Diese verschiedenen Teilungsarten ließen sich bislang nicht so einfach voneinander unterscheiden. „Insbesondere wenn man neue Therapiestrategien entwickelt, benötigt man auch geeignete Prüfverfahren“, sagt Dr. Hesse. „Für die Zellteilung haben wir nun eines vorgelegt.“
Forscher nutzen fluoreszierenden Farbstoff aus einer Qualle
Die Wissenschaftler nutzten für ihre neuartige Methode Anillin, ein Eiweißmolekül des Zellteilungsapparats und den Farbstoff „grün fluoreszierendes Protein“ (GFP) aus einer Qualle, das unter blauem Licht grün leuchtet. Sie kombinierten das Anillin-Gen und das Gen für diesen Fluoreszenzfarbstoff, brachten es in embryonale Stammzellen ein und erzeugten daraus auch gentechnisch veränderte Mäuse. „Während der Zellteilung markiert das GFP-Anillin genau die entscheidenden Prozesse“, berichtet Dr. Hesse. Nach der Zellteilung wird das Anillin wieder abgebaut und der leuchtende Farbstoff verschwindet. „Wir konnten deshalb unter dem Mikroskop `live´ die einzelnen Schritte der Zellteilung verfolgen – und auch, ob sie vollständig abliefen.“
Schnelles und kostengünstiges Testverfahren mit viel Potenzial
Die Forscher haben damit außerdem erstmals ein schnelles und kostengünstiges Testverfahren für die einzelnen Phasen der Zellteilung etabliert, das sich in Zukunft auch vollautomatisch durchführen lässt. Zusammen mit anderen Forscherteams testeten die Wissenschaftler die Anwendbarkeit des Systems an verschiedenen Zelltypen, darunter auch Nervenzellen, Leberzellen und embryonale Stammzellen. Beteiligt waren die Abteilungen für Herzchirurgie und für Innere Medizin I sowie die Institute für Zelluläre Neurowissenschaften und Pharmakologie der Universität Bonn sowie Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Molekulare Biomedizin in Münster, das Institut für Stammzellforschung in Neuherberg/München und die Cornell University Ithaca (USA). „Die von uns entwickelte Technologie erlaubt es nun, neue Prüfverfahren für Forschungs- und Therapieansätze zur Zellteilung ein großes Stück voranzubringen“, sagt Dr. Hesse.
Publikation: Direct visualization of cell division using high resolution imaging of M-phase of the cell cycle, „Nature Communications“, DOI: 10.1038/ncomms2089
Kontakt:
Prof. Dr. med. Bernd K. Fleischmann
Institute of Physiology I
Life & Brain Center der Universität Bonn
Tel. 0228/6885200
bernd.fleischmann@uni-bonn.de
Dr. Michael Hesse
Institute of Physiology I
Life & Brain Center der Universität Bonn
Tel.: 0228/6885233
mhesse1@uni-bonn.de
Alexandra Raulf
Institute of Physiology I
Life & Brain Center der Universität Bonn
Tel.: 0228/6885223
araulf@uni-bonn.de
25. September 2012
Forscher sehen lebenden Zellen bei der Teilung zu Forscher sehen lebenden Zellen bei der Teilung zu
Team unter Federführung der Universität Bonn entwickelt ein Prüfverfahren für neue Therapien
Unter Federführung der Universität Bonn haben Wissenschaftler ein Verfahren entwickelt, das es erlaubt, lebenden Zellen bei der Zellteilung zuzusehen. Damit ist nun ein neues Werkzeug vorhanden, mit dem das Potenzial regenerativer Prozesse besser beurteilt werden kann. So lassen sich nach einem Herzinfarkt intakt gebliebene Zellen nicht so einfach vervielfältigen wie gedacht. Die Forscher stellen ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe des renommierten Fachjournals „Nature Communications“ vor.
Entwickelten ein Prüfverfahren für neue Therapien:
- Prof. Dr. med. Bernd K. Fleischmann, Dr. Michael Hesse und Alexandra Raulf vom Institut für Physiologie I der Universität Bonn.
© Foto: Rolf Müller/UKB
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Sehen lebenden Zellen bei der Teilung zu:
- Prof. Dr. med. Bernd K. Fleischmann, Dr. Michael Hesse und Alexandra Raulf vom Institut für Physiologie I der Universität Bonn.
© Foto: Rolf Müller/UKB
Abbildung einer sich teilenden embryonalen Herzmuskelzelle:
- Der Mittelkörper ist durch das GFP-Anillin-Signal grün markiert. Zu sehen ist eine Immunfärbung gegen Alpha-Aktinin zu Erkennung von Herzmuskelzellen (rot) und gegen Ki-67 (Kern-Lokalisation, weiß) als Proliferationsmarker.
© Foto: Alexandra Raulf/Uni Bonn