Das MERS-Coronavirus wurde erstmals 2012 in Patienten mit einer schweren
Atemwegsinfektion identifiziert. Das Kürzel steht für „Middle East
Respiratory Syndrom“, da alle bisherigen Fälle einen Bezug zum Mittleren
Osten hatten. Bislang wurden der Weltgesundheitsorganisation WHO 91
Erkrankungen gemeldet, 46 davon mit tödlichem Ausgang. Die Dunkelziffer
ist aber vermutlich höher: Experten gehen davon aus, dass es eine
Vielzahl unentdeckter Fälle gibt und mehr als 1.000 Menschen betroffen
sein könnten.
Über die Ansteckungswege herrscht noch Unklarheit.
Die neue Studie deutet nun jedoch auf Dromedare als mögliche
Übertragungsquelle hin: Die Virologen haben insgesamt 50 Proben dieser
Tiere aus verschiedenen Herkunftsgebieten im Oman getestet. Das Sultanat
gilt als MERS-Risikogebiet, auch wenn hier bislang noch keine
menschlichen Infektionen nachgewiesen wurden.
Bei ihren Analysen
fanden die Wissenschaftler im Blut sämtlicher Tiere Antikörper gegen das
MERS-Virus. Das Immunsystem bildet Antikörper, wenn es mit
Krankheitserregern in Kontakt kommt. Die getesteten Dromedare scheinen
also eine MERS-Virusinfektion durchlaufen zu haben. Die hohen
Antikörperkonzentrationen sprechen zudem für eine relativ frische
Ansteckung. Die Forscher konnten das Virus selbst nicht nachweisen. „Für
unsere Tests standen größtenteils nur Blutproben zur Verfügung“,
bedauert Dr. Marcel Müller vom Institut für Virologie der Universität
Bonn. „Coronaviren befinden sich jedoch vor allem in Atemwegssekreten
und im Kot.“
Die Forscher untersuchten auch 105 Dromedarproben
von den Kanarischen Inseln. In 15 Fällen konnten sie dabei ebenfalls
MERS-Antikörper nachweisen, allerdings in weit geringeren
Konzentrationen. In 160 Blutproben von Rindern, Schafen und Ziegen aus
den Niederlanden, Spanien und Chile wurden sie dagegen nicht fündig.
Enger Kontakt zwischen Dromedar und Mensch
Dromedare
sind im Mittleren Osten weit verbreitet. Sie transportieren schwere
Lasten und dienen als Milch- und Fleischlieferanten. In Wettbewerben
eingesetzte Renn-Dromedare können zudem Millionenerlöse erzielen.
MERS-infizierte Tiere könnten durch ihren engen Kontakt zum Menschen
zumindest für einen Teil der menschlichen Erkrankungen verantwortlich
sein. Es kommen aber weiterhin auch Ziegen und andere Nutztiere als
Übertragungsquelle in Betracht.
„In nächster Zeit sollten
dringend umfangreiche Untersuchungen an Nutztieren aus der Region
stattfinden. Um weitere mögliche Infektionsquellen zu finden, benötigen
wir unbedingt mehr Proben“, appelliert Müller an die betroffenen Länder.
Nur so sei es möglich, den genauen Übertragungsweg des Virus zu klären.
Als
eigentliches Virenreservoir vermuten die Wissenschaftler derzeit
Fledermäuse. Die Dromedare seien mit großer Wahrscheinlichkeit nur ein
Zwischenwirt. Bisherige Erbgutanalysen sprechen dafür, dass der
MERS-Erreger nahe mit zahlreichen anderen Fledermausviren verwandt ist.
Dass sich Menschen direkt bei Fledermäusen anstecken, hält Müller aber
für unwahrscheinlich, da direkte Kontakte eher selten sind.
Relativ
klein ist momentan auch das Risiko einer Übertragung von Mensch zu
Mensch. Die WHO schätzt den so genannten R0-Wert auf 1 oder geringer,
d.h. ein Patient steckt im Schnitt maximal eine weitere Person an. Ein
Schneeballeffekt mit einer explosionsartigen Zunahme von
Krankheitsfällen kann so nicht entstehen. Das könnte sich allerdings
ändern, wenn der Erreger mutiert.
Originalpublikation:
Middle
East respiratory syndrome coronavirus neutralising serum antibodies in
dromedary camels: a comparative serological study; Chantal Reusken, Bart
Haagmans, Marcel Müller, Carlos Gutierrez, Gert-Jan Godeke, Benjamin
Meyer, Doreen Muth, Stalin Raj, Laura Smits-De Vries, Victor Corman,
Jan-Felix Drexler, Saskia Smits, Yasmin El Tahir, Rita De Sousa, Janko
van Beek, Norbert Nowotny, Kees van Maanen, Ezequiel Hidalgo-Hermoso,
Berend-Jan Bosch, Peter Rottier, Albert Osterhaus, Christian
Gortázar-Schmidt, Christian Drosten, Marion Koopmans; The Lancet
Infectious Diseases (DOI: 10.1016/S1473-3099(13)70164-6).
Kontakt:
Dr. Marcel A. Müller
Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-13187, E-Mail: muller@virology-bonn.de
Prof. Dr. Christian Drosten
Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-11055, E-Mail: drosten@virology-bonn.de
Dromedare als Übertragungsquelle für gefährliche Virusinfektion unter Verdacht Dromedare als Übertragungsquelle für gefährliche Virusinfektion unter Verdacht
Bonner Virologen kommen den Übertragungswegen auf die Spur
Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Universitätsklinikums Bonn hat in Dromedaren Antikörper gegen das MERS-Coronavirus gefunden. Der Erreger ist mit dem SARS-Virus verwandt und kann beim Menschen lebensgefährliche Atemwegsinfektionen hervorrufen. Im Mittleren Osten sind bislang 46 Menschen an der Erkrankung gestorben. Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung findet nur selten statt. Andere Infektionsquellen wurden bisher aber nicht gefunden. Die neuen Erkenntnisse zeigen nun, dass möglicherweise Dromedare an der Virusübertragung beteiligt sind. Die Studie ist in der Zeitschrift 'The Lancet Infectious Diseases' erschienen.