24. September 2013

Dissertation und gebrannte Mandeln Dissertation und gebrannte Mandeln

Die Kunsthistorikerin Margit Ramus von der Uni Bonn ist Deutschlands einzige aktive Schaustellerin mit Doktorhut

Jahrelang pendeln zwischen Autoscooter und Archiv, Achterbahn und Bibliothek, Kettenkarussell und Oberseminar: Margit Ramus führt kein alltägliches Leben. Und das in doppelter Hinsicht. Die Kölnerin verkauft auf Deutschlands Volksfesten gebrannte Mandeln – und zugleich hat sie an der Universität Bonn in Kunstgeschichte promoviert. In ihrer jetzt abgeschlossenen Dissertation untersuchte sie die Bauweisen und die Bemalung deutscher Schaustellergeschäfte und entdeckte viele Parallelen zu Malerei und Architektur außerhalb der Jahrmarktswelt.

Margit Ramus
Margit Ramus - vor ihrem Verkaufsstand für gebrannte Mandeln auf Pützchens Markt in Bonn. Die Kunsthistorikerin untersuchte in ihrer Doktorarbeit an der Universität Bonn den Bau und die Gestaltung von Schaustellergeschäften. © Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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Universität – das bedeutet alle Vielfalt der Wissenschaft. Es bedeutet, vorurteilsfrei Wissen über Dinge zu sammeln, von denen bislang kaum einer ahnte, dass es da etwas zu wissen gibt. Eine solche Pioniertat hat die Kunsthistorikerin Margit Ramus von der Universität Bonn unternommen: Sie hat in ihrer Doktorarbeit den Bau und die Gestaltung von Schaustellergeschäften untersucht. Für die 62 Jahre alte Kölnerin war das eine Forschungsreise zu den eigenen Wurzeln: Ihre Familie betreibt das Schaustellergewerbe in sechster Generation, sie selbst hat einen Verkaufsstand für gebrannte Mandeln. Margit Ramus ist damit Deutschlands einzige Schaustellerin, die promoviert hat, ohne diesen Beruf dafür aufzugeben.

Kunst und Architektur auf der Kirmes

Ramus' Untersuchung „Architektur und Dekoration im Schaustellergewerbe“ wurde betreut von Professorin Dr. Hiltrud Kier und setzt mit dem Jahr 1883 ein. Damals eröffnete Fritz Bothmann (1858-1928) in Gotha die erste deutsche Karussell-Manufaktur und machte das Schaustellergeschäft damit zum Betätigungsfeld für eine große Zahl von Handwerkern und Künstlern. Deren Werke fanden Abnehmer weltweit – Bothmanns Karussells gingen bis nach Eritrea, Nigeria, Angola oder an die Goldküste.

„Die Bauformen von Schaustellergeschäften haben ihre Vorbilder in der Architektur“, erklärt Ramus ihren Forschungsansatz. „Vier Grundformen tauchen immer wieder auf: Rundbau, Hallenbau, Skelettbau und Pavillonbau.“ Wie die Kunsthistorikerin sagt, lassen sich dabei auch Trends verfolgen – etwa im späteren 19. Jahrhundert, als Skelettbauten wie der Eiffelturm oder der Londoner „Kristallpalast" weltweit Furore machten: Bald waren ähnliche Konstruktionen auch auf den Jahrmärkten zu sehen.

Ramus' zweite These ist, dass dieser Kulturtransfer auch für die Bemalung der Schaustellergeschäfte gilt: „Die Dekorationen im Schaustellergewerbe lassen sich mit den Stilepochen der Kunst vergleichen.“ Zwei große Perioden der Volksfestmalerei hat Ramus ausgemacht: „Barock bis zum Zweiten Weltkrieg, ab dann Moderne.“ Der Parallelen sind viele. „Als die abstrakte Malerei die gegenständliche ablöste, zeigte sich das auch an den Dekorationen von Schaustellergeschäften. In den 80er Jahren vereinen sich Pop-Art, Comic und Street-Art. Wir haben Malereien nach Art von Salvador Dalí, Franz Ackermann oder James Rosenquist. Es ist alles da – man muss nur mit anderen Augen über den Kirmesplatz gehen.“ Für die Kunsthistorikerin der Universität Bonn gerät das oft zur detektivischen Spurensuche – viele Künstler wollen mit ihren Auftraggebern nicht in Verbindung gebracht werden. Fritz Laube etwa: Der 1993 verstorbene Landschafts- und Kirchenmaler hat mehr als 100 Schaustellergeschäfte illustriert. In seinem Lebenslauf ist davon keine Rede.

Volksfeste als Weltkulturerbe: Der Antrag läuft

Zu Ramus' Dissertation gehört auch ein Katalogteil: Er dokumentiert zahlreiche Schaustellergeschäfte, von denen viele im Krieg zerstört oder irgendwann einfach verschrottet wurden. Besonders schwierig dabei laut Ramus: „Das alles kann man nicht nachlesen. Das steht nirgendwo.“ Bei der Suche nach Zeichnungen und Fotos half es der Forscherin der Universität Bonn, dass sie die verschlossene Welt der Schausteller gut kennt. Sie befragte Zeitzeugen und Hinterbliebene der Künstler. Sie suchte und fand Zeugnisse in zahlreichen Archiven – auch in dem ihrer Heimatstadt. „Ich habe den Mitarbeitern dort immer gebrannte Mandeln mitgebracht“, schmunzelt sie. Die Kopien, die sie im Kölner Stadtarchiv machte, sind seit dessen Einsturz „Schätze“ in doppeltem Sinn – nicht nur für ihre Forschungsarbeit, sondern auch, weil die Originale wohl für immer verloren sind. Und bei den ersten Sortier-Aktionen nach der Katastrophe half auch Margit Ramus als Freiwillige mit.

Für die Gegenwart stellt die Bonner Expertin fest, dass „alte Karussells wieder in Mode sind“. Historische Schaustellergeschäfte locken bei „Anno-dazumal-Jahrmärkten“ Scharen von Besuchern – regelmäßig zum Beispiel ins LVR-Freilichtmuseum Kommern (Eifel) oder in einen Sonderbereich des Münchner Oktoberfestes. Die deutschen Schaustellerverbände DSB und BSM bemühen sich deshalb derzeit, ihre Volksfeste offiziell als Weltkulturerbe anerkennen zu lassen. Margit Ramus möchte dabei mithelfen: „Ich hoffe, dass meine Arbeit einen wichtigen Baustein dazu beitragen kann.“

Publikation: Ramus, Margit: Kulturgut Volksfest. Architektur und Dekoration im Schaustellergewerbe. Verlag J. P. Bachem, Köln. ca. 800 S., erscheint im Dezember

Kontakt:

Dr. des. Margit Ramus
Tel. 0163 / 363 32 32
nc-ramusma@netcologne.de
Internet: www.margit-ramus.de

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