Wenn Jesus Christus „Gottes Sohn“ ist – ist er dann selbst ein Gott? Ein anderer? Derselbe? Oder steht der „Sohn“ eine Stufe niedriger als der „Vater“? Zweifellos: Die Angelegenheiten des Himmels sind schwer zu fassen. Schon ganz früh haben Christen deshalb über diese und ähnlich verzwickte theologische Probleme diskutiert; später haben sie ihre Antworten in „Glaubensbekenntnissen“ zusammengefasst. „Texte dieser Art sind sozusagen eine Spezialität des Christentums“, sagt Professor Dr. Wolfram Kinzig vom Evangelisch-Theologischen Seminar der Universität Bonn. Seit mehr als fünfzehn Jahren befasst sich der Kirchenhistoriker mit Entstehung und Bedeutung dieser sehr vielgestaltigen Urkunden.
Jetzt konzentriert er sich ausschließlich auf dieses Thema: Auf der Grundlage einer umfangreichen Sammlung und Übersetzung von mehreren hundert altgriechischen und lateinischen Glaubensbekenntnissen, die in Kürze im Druck erscheinen wird, will er von 2014 bis 2016 ein neues, als Standardwerk gedachtes Fachbuch zu den Glaubensbekenntnissen ausarbeiten. Finanziert wird das mit 200.000 Euro aus dem Förderprogramm „Opus Magnum“ der Volkswagen-Stiftung.
Die heiligen Texte sollten auch Tote wiedererwecken
Mehr als zwei Milliarden Christen gibt es weltweit. Fast alle stützen ihren Glauben im Prinzip auf zwei Texte, die gemeinsam auf eine DIN-A4-Seite passen: Bei den meisten Kirchen gehört das „Nizäno-Konstantinopolitanum“ neben der Bibel zu den Grundtexten des Glaubens – es wurde auf zwei Konzilien in den Jahren 325 (in Nizäa) und 381 (in Konstantinopel) erarbeitet und beschlossen. Ein typisch „westliches“ Bekenntnis ist hingegen das „Apostolikum“, von dem man lange Zeit dachte, es gehe auf die Apostel selbst zurück. Es ist vor allem in der Römisch-katholischen Kirche, der anglikanischen Kirche und vielen evangelischen Kirchen in Gebrauch. Beide Bekenntnisse werden heute in einer festen Form im sonntäglichen Gottesdienst gesprochen. Sie sind aber in den ersten Jahrhunderten nach Christus in einem langen und komplizierten Prozess entstanden, in dem sie sich aus mannigfachen Vorformen herausgebildet und gegenüber etlichen anderen Glaubensbekenntnissen durchgesetzt haben.
Für die wissenschaftliche Aufarbeitung aller Glaubensbekenntnisse gilt nach Prof. Kinzig: „Ihre Geschichte muss neu geschrieben werden.“ Denn zum einen hatte man früher nicht immer Zugriff auf die Originalhandschriften, sondern verließ sich auf häufig unzuverlässige gedruckte Ausgaben. „Inzwischen gibt es viele wichtige Handschriften auch online“, sagt der Experte. „Und oft stellt man fest, dass so manche frühere Textedition erhebliche Fehler aufweist.“
Zweitens hat laut Prof. Kinzig „die frühere Forschung zu stark textfixiert gearbeitet“: Es ging ihr zu wenig um die praktische Bedeutung der Glaubensbekenntnisse im Alltag. Für die frühen Christen waren sie mehr als bloße Buchstaben – so galten kleine Abschriften als Amulett gegen Flüche, böse Geister und Krankheiten. Auch Wunder waren nicht ausgeschlossen: Prof. Kinzig stieß auf die Geschichte eines jungen Mannes in Nordafrika, der bei einem Hauseinsturz starb. Nach stundenlangem Gebet seiner Witwe erwachte der Tote wieder zum Leben – und berichtete, ein Engel habe ihn aus dem Jenseits zurückgeschickt, weil er das Glaubensbekenntnis habe rezitieren können. Schlechter erging es dem Mönch Polychronios in Konstantinopel: Der behauptete im Jahre 681 auf dem 6. Ökumenischen Konzil, ein von ihm verfasstes Glaubensbekenntnis habe die Kraft, Tote wieder lebendig zu machen. Die Bischöfe nahmen ihn beim Wort und schafften eine Leiche herbei. „Und was geschah? Natürlich nichts“, erzählt Prof. Kinzig schmunzelnd. Pech für den verhinderten Totenerwecker: Polychronios wurde zum Ketzer erklärt und verlor seine Priesterwürde.
Typisch christlich: Fester Glaubenskern, kreative Auslegung
Doch fördern die Untersuchungen Prof. Kinzigs nicht nur Kuriosa aus alten Zeiten zu Tage. Sie haben eine wichtige Bedeutung für das Verständnis des heutigen Christentums. „Es hat einerseits einen »intellektuellen Kern«, der sich deutlich bezeichnen lässt“, sagt der Kirchenhistoriker. „Andererseits ist man mit diesem Kern sehr kreativ umgegangen. Lebendiger Glaube ist zu Formeln geronnen, hat aber auf diese Weise paradoxerweise wieder neue theologische Kreativität freigesetzt – denn diese Formeln mussten nun wieder ausgelegt werden.“ Prof. Kinzig räumt ein: „Die Christen haben über den rechten Glauben gestritten und haben sich dabei oft auch der Häresie bezichtigt – mit allen fragwürdigen Folgen.“ Aber: „Bei aller berechtigten Kritik übersieht man heute leicht, dass es bei den Streitigkeiten darum ging, zu verstehen und zu beschreiben, was das Christentum im Kern ausmacht. Wer die Glaubensbekenntnisse versteht, weiß, wie Christen ticken.“
Kontakt:
Professor Dr. Wolfram Kinzig
Evangelisch-Theologisches Seminar
Tel.: 0228/73-7305
kinzig@uni-bonn.de
13. Dezember 2013
Der „Kern des Glaubens“ neu untersucht Der „Kern des Glaubens“ neu untersucht
An der Universität Bonn wird die Geschichte der frühchristlichen Glaubensbekenntnisse neu geschrieben
„Ich glaube“, sagt der religiöse Mensch – und nicht nur er selbst, auch seine Mitmenschen möchten wissen: Was glaubst du genau? Das Christentum hat den Kern seiner Lehre deshalb schon vor Jahrhunderten in verschiedenen „Glaubensbekenntnissen“ zusammengefasst. Der Kirchenhistoriker Professor Dr. Wolfram Kinzig von der Universität Bonn ist Experte für Entstehung und Bedeutung dieser sehr vielgestaltigen Texte. Nun will er seine Erkenntnisse in Buchform bringen. Die Volkswagen-Stiftung unterstützt das Zwei-Jahres-Projekt des evangelischen Theologen mit 200.000 Euro.
Prof. Dr. Wolfram Kinzig
- mit der Erstausgabe des Konkordienbuchs von 1580, einer Sammlung lutherischer Bekenntnisschriften, die sich im Besitz des Evangelisch-Theologischen Seminars der Universität Bonn befinden. Darin sind auch die beiden großen altchristlichen Glaubensbekenntnisse enthalten.
© Foto: Volker Lannert/Uni Bonn
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