13. Oktober 2015

Ursäugetier litt vermutlich unter Haar-Erkrankung Ursäugetier litt vermutlich unter Haar-Erkrankung

Team unter Beteiligung der Uni Bonn untersucht spektakulären Fossilfund

Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung der Universität Bonn hat einen spektakulären Fossilfund aus der Kreidezeit untersucht. Der 125 Millionen Jahre alte maus- bis rattengroße Säuger ist so gut erhalten, dass selbst Detailanalysen seines Fells möglich sind. Erstaunlicher Befund: Möglicherweise litt das Tier unter einer Pilzinfektion der Haare, die auch heutige Säugetiere heimsucht. Die Wissenschaftler veröffentlichen ihre Ergebnisse in der Zeitschrift „Nature“.

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Martin-Kreidezeit-Fossil.jpg - Skelett des kreidezeitlichen Ursäugers Spinolestes mit erhaltenem Fellschatten. Am oberen Bildrand (Pfeil) erkennt man die Ohrmuschel. Das Skelett wurde bei der Präparation auf eine Kunstoff-Matrix transferiert. © Foto: Georg Oleschinski. Mit Genehmigung der Nature Publishing Group
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Noch ein weiteres Detail elektrisiert die Forscher: Bei dem kreidezeitlichen Säugetier sind die Rückenhaare zu kleinen Stacheln verschmolzen. Sie ähneln denen eines Igels, sind aber viel kleiner. Ihnen verdankt der Kleinsäuger seinen Namen Spinolestes (von spinosus lat. = stachelig). Es ist das erste Mal, dass Paläontologen bei einem Fossilfund aus dem Erdmittelalter Stacheln nachweisen konnten.

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Die Rückenhaut des Tieres war zudem teilweise mit kleinen hornigen Plättchen bedeckt. „Wir kennen diese Merkmale von den heutigen Stachelmäusen aus Afrika und Kleinasien“, erklärt Prof. Dr. Thomas Martin vom Steinmann-Institut für Geologie, Mineralogie und Paläontologie der Universität Bonn. „Wenn diese von einem Räuber am Rücken gepackt werden, lösen sich die Stacheln von der Haut ab. Die Maus kann fliehen; dem Angreifer bleibt nichts als ein Maul voller Stacheln.“ Möglicherweise erfüllten diese Strukturen bei Spinolestes einen ähnlichen Zweck.

Stabiler Rücken

Mit den Mäusen ist Spinolestes allerdings nur sehr entfernt verwandt. „Wir können den Fund keiner heute lebenden Säugergruppe zuordnen“, betont  Prof. Martin. „Er weist zwar Merkmale auf, die wir auch bei heutigen Säugetieren finden. Diese sind aber kein Verwandtschaftszeichen, sondern unabhängig entstanden – sie sind im Laufe der Evolution mehrmals 'erfunden' worden.“

Das gilt auch für eine Besonderheit der Wirbelsäule: Die einzelnen Wirbel verfügen über Fortsätze, durch die sie miteinander verschränkt sind. Dadurch war der Rücken von Spinolestes außergewöhnlich belastbar – warum, darüber lässt sich nur spekulieren. „Ähnliche Strukturen finden sich heute bei Gürteltieren und Ameisenbären, aber auch bei der afrikanischen Panzerspitzmaus“, sagt Martin. „Die Panzerspitzmaus etwa nutzt ihren robusten Rücken, um damit Palmwedel vom Stamm des Baumes wegzustemmen. So gelangt sie an Insektenlarven, die zwischen den Ansatzstellen der Wedel und dem Stamm leben.“

Der Fund stammt von der Fossil-Lagerstätte Las Hoyas in Spanien, die bislang vor allem für ihre gut erhaltenen Vogel- und Reptil-Fossilien bekannt war. Vor drei Jahren jedoch stieß ein Grabungsteam unter der Leitung der Paläontologin Angela Buscalioni (Autónoma-Universität Madrid) dort auf das versteinerte Skelett eines unbekannten Kleinsäugers. Sie brachte den Fund nach Bonn, wo die Knochen- und Gewebereste mit einem Spezialverfahren aus dem Kalkstein herausgelöst wurden.

Besonders begeistert sind die Wissenschaftler vom hervorragenden Zustand des Fossils, insbesondere des versteinerten Fells. „Das ist bislang völlig beispiellos“, freut sich Prof. Martin. Zusammen mit seinen Kollegen aus Spanien, Frankreich und den USA untersuchte er die Haare en détail. Dabei fanden die Wissenschaftler unter anderem auch Veränderungen, die auf eine Pilzerkrankung des Fells schließen lassen. Möglicherweise litten die Ursäuger also bereits unter ähnlichen Krankheiten wie ihre Nachfahren heute.

Eines jedenfalls zeige der Fund eindrucksvoll, sagt Prof. Martin: „Schon vor 125 Millionen Jahren war Spinolestes sehr gut an seine ökologische Nische angepasst – durch Hornplättchen und Stacheln am Rücken sowie durch seine verstärkte Wirbelsäule.“ Damit reihe sich das Fossil in eine ganze Reihe neuerer Funde ein. „Wir müssen wohl umdenken“, betont Martin. „Die Säugetiere zu Zeiten der Dinosaurier mögen zwar klein gewesen sein. Primitiv waren sie aber ganz gewiss nicht.“

Publikation: Thomas Martin, Jesús Marugán-Lobón, Romain Vullo, Hugo Martín-Abad, Zhe-Xi Luo, Angela D. Buscalioni; A Cretaceous eutriconodont and integument evolution of early mammals; Nature; DOI: 10.1038/nature14905

Video-Podcast zum Thema: https://youtu.be/8I7kxfiRpsM (s. auch unten)

Kontakt für die Medien:
Prof. Dr. Thomas Martin
Steinmann-Institut, Bereich Paläontologie, Universität Bonn
Tel. 0228/734803, E-Mail: tmartin@uni-bonn.de

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Martin-Kreidezeit-Rekonstruktion im Lebensraum.jpg - Lebendrekonstruktion des Ursäugers Spinolestes im kreidezeitlichen Las Hoyas Feuchtbiotop. Zeichnung: Oscar Sanisidro. © Mit Genehmigung der Nature Publishing Group
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Martin-Kreidezeit-Rekonstruktion-flach.jpg - Lebendrekonstruktion des kreidezeitlichen Ursäugers Spinolestes xenarthrosus. Zeichnung: Oscar Sanisidro. © Mit Genehmigung der Nature Publishing Group
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