Es beginnt mit dem Biss einer Kriebelmücke: Mit dem Speichel des nur wenige Millimeter großen Plagegeists gelangen winzige Larven des Fadenwurms Onchocerca volvulus in die Wunde. Von dort verbreiten sie sich über das Blut im Körper des Opfers.
Dort reifen die Larven zu erwachsenen Würmern heran, die in der Unterhaut der infizierten Person leben. Die weiblichen Würmer sind nun bis zu 60 Zentimeter lang. Nachdem sie von den Männchen befruchtet wurden, produzieren sie täglich tausende so genannte Mikrofilarien. Diese werden schließlich bei einer Blutmahlzeit von einer neuen Kriebelmücke aufgenommen und weiter verbreitet.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat es sich zum Ziel gesetzt, die Flussblindheit auszurotten. Eines der wirksamsten momentan verfügbaren Medikamente ist das Ivermectin, dessen Entdecker in diesem Jahr mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt wurde. Allerdings verhindert die Ivermectin-Therapie lediglich, dass die weiblichen Würmer Mikrofilarien freisetzen. Das gilt zudem nur für maximal ein Jahr – in dieser Zeit ist die Weiterverbreitung durch Mücken ausgeschlossen. Die erwachsenen Würmer werden jedoch von den Medikamenten nicht geschädigt. Somit muss die Behandlung jährlich wiederholt werden, bis sie von selbst sterben. Das kann allerdings bis zu zehn Jahre dauern. Daher sucht man nun fieberhaft nach neuen Wirkstoffen, die die erwachsenen Würmer direkt abtöten. Nur dadurch kann die Flussblindheit endgültig besiegt werden.
Wurmkur auf Umwegen
Interessanterweise hat der Fadenwurm selbst einen Untermieter, und der könnte sich als seine Achillesferse entpuppen: In jedem Onchocerca-Wurm leben nämlich bestimmte Bakterien, die der Schmarotzer zum Überleben unbedingt benötigt. Sterben diese Bakterien, stirbt früher oder später auch der Parasit. „Daher ist Onchocerca angreifbar für Antibiotika, die gegen bakterielle Infektionen eingesetzt werden", betonen Dr. Marc Hübner und Professor Achim Hörauf, Parasitologen der Universität Bonn.
Ein Beispiel ist Doxycyclin, das schon seit Jahrzehnten gegen Infektionen der Atemwege oder des Darmtrakts eingesetzt wird. Doch Doxycyclin eignet sich nicht gut für Massenbehandlungen: Das Antibiotikum muss über einen Zeitraum von sechs Wochen täglich eingenommen werden, um seine Wirkung zu entfalten. Gerade in abgelegenen Gegenden mit schlechter Infrastruktur ist das kaum zu gewährleisten. Zudem darf Doxycyclin nicht an Schwangere und Kinder unter acht Jahren verabreicht werden. Eine weltweite Allianz von NGOs, universitären Forschungsgruppen und Pharmafirmen sucht daher nach Alternativen, um Onchocera endgültig den Garaus zu machen. Die Bill & Melinda Gates-Stiftung unterstützt diese Aufgabe mit erheblichen finanziellen Ressourcen. Untersucht werden – neben bereits zugelassenen Antibiotika und anderen Medikamenten – auch Substanzen aus den Laboren der Pharmafirmen, die nicht zur Zulassungsreife weiter entwickelt wurden. An der Universität Bonn sollen unter anderem Erfolg versprechende Wirkstoffe an infizierten Nagetieren getestet werden.
Wie sehr das Problem drängt, verdeutlichen die Zahlen: Rund 37 Millionen Menschen in Afrika tragen Onchocera volvulus in sich. Häufig verursacht die Infektion nur geringe Beschwerden: Der Wurm unterdrückt die Immunantwort seines Wirtes, so dass größere Entzündungsreaktionen ausbleiben. Die Krankheit verläuft dann nahezu symptomlos. Manchmal gelingt es dem Parasiten aber nicht, die Abwehrreaktion auszuschalten. Konsequenz ist eine schwere großflächige Hautentzündung, die mit der Entfärbung ganzer Hautpartien einher gehen kann. Da die Mikrofilarien durch den ganzen Körper wandern, betrifft diese Entzündung oft auch die Augen. Häufige Folge: Erblindung. Gefährdet sind vor allem Menschen, die in der Nähe von Fließgewässern leben. Hier findet die Mücke ideale Lebensbedingungen - daher auch der Name „Flussblindheit“.
Zwei Fliegen mit einer Klappe
Die Bemühungen der Forscher richten sich auch gegen den Erreger der Elefantiasis. Die Krankheit äußert sich bei Betroffenen durch monströs geschwollene Extremitäten. Auch hier ist der Erreger ein Fadenwurm, und auch er trägt einen bakteriellen Untermieter. Finden die Wissenschaftler tatsächlich geeignete Wirkstoffe, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese gegen beide Krankheiten eingesetzt werden können.
Kontakt:
Prof. Dr. med. Achim Hoerauf
Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie,
Immunologie und Parasitologie (IMMIP)
Universitätsklinikum Bonn
Tel. 0228/28715675
E-Mail: achim.hoerauf@ukb.uni-bonn.de