„»Ich« und »Gehirn« sind nicht identisch“, zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Markus Gabriel vom Institut für Philosophie der Universität Bonn in seinem neuen Werk, das ab 6. November 2015 im Ullstein-Verlag erscheint. Er wendet sich darin leidenschaftlich gegen „den verbreiteten Neurozentrismus“ und plädiert für die Existenz des freien Willens, der von Teilen der Neurowissenschaften in Frage gestellt werde. Ein Beispiel hierfür ist das umstrittene Experiment des Physiologen Benjamin Libet, der aufgrund seiner Versuchsreihen zu dem Schluss kam, dass die bewusste Entscheidung für eine Handlung zeitlich erst nach der Durchführung der Handlung erfolge. Dieser Versuch wurde teilweise dahingehend interpretiert, dass es den freien Willen überhaupt nicht gibt.
Gegen diese Argumentation richtet sich der Philosoph der Universität Bonn: Aus seiner Sicht entkräftet der Erkenntnistheoretiker sämtliche naturwissenschaftlichen und auch philosophischen Argumente, die den freien Willen in Frage stellen. „Selbst wenn mein Einkauf im Supermarkt absolut vorbestimmt wäre, würde das dem freien Willen nicht widersprechen, weil ich als Teil des Geschehens diese Handlung in jedem Fall mitbeeinflusse“, nennt Prof. Gabriel ein Beispiel. Während Naturwissenschaftler versuchen, mit Hilfe von Hochleistungscomputern Nervenzellnetzwerke nachzubilden, ist für den Philosophen klar: Nur die Geisteswissenschaften haben das Rüstzeug, das menschliche „Ich“ im Sinne des Bewusstseins zu erkunden.
„Überinterpretation naturwissenschaftlicher Ergebnisse“
Aus der Perspektive des Philosophen haben Medizin und Naturwissenschaften in der Dekade des Gehirns, in der verstärkt Fördermittel für die Erforschung des menschlichen Denkorgans flossen, ihre Ziele weitgehend verfehlt und die Ergebnisse enttäuschten. Gabriel: „Fortschritte im medizinischen Bereich sind unbestritten, doch der hehre Anspruch, in die Tiefen des Bewusstseins und des Willens vorzudringen, wurden verfehlt.“ Ergebnisse aus wissenschaftlichen Experimenten würden häufig zu stark generalisiert und überinterpretiert. „Solche Resultate, die die Freiheit des Willens in Abrede stellen, scheinen uns generell von unserer Verantwortung zu entlasten - sind aber pure Ideologie“, sagt Gabriel.
Für den Philosophen der Universität Bonn sind das „Ich“ und der daran gekoppelte „freie Wille“ so wichtig, weil unsere Gesellschaft und der Rechtsstaat auf vernunftorientierten und freien Entscheidungen basieren. „Wenn der Mensch über einen freien Willen verfügt, kann er auch Kriege und Konflikte beenden“, führt Prof. Gabriel aus. „Ein Angriff auf den freien Willen ist deshalb auch immer ein Angriff auf unseren Rechtsstaat“, verdeutlicht er die Relevanz der Debatte. Für ihn reicht das Vorhandensein des menschlichen Gehirns nicht aus, um ein geistiges Lebewesen zu sein.
Markus Gabriel machte bereits 2013 Furore
Der Wissenschaftler der Universität Bonn sorgte bereits mit seinem 2013 erschienenen Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ für Aufsehen. Sein neues Werk sieht er als eine Fortsetzung: „Während ich mich in meiner ersten Betrachtung aus der Vogelperspektive annäherte, nehme ich nun die Lupe zur Hand und nähere mich unserem Bewusstsein als zentralen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit unserer Umwelt an.“
Markus Gabriel, geboren 1980, studierte in Bonn, Heidelberg, Lissabon und New York. Seit 2009 ist er Professor für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart sowie Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie an der Universität Bonn. Sein neues Buch ist ein Plädoyer für eine neue Philosophie des Geistes. Es wendet sich an alle Interessierten, die auch ohne Vorkenntnisse den darin verfassten Gedanken folgen möchten. Es erscheint am 6. November 2015.
Publikation: Markus Gabriel: Ich ist nicht Gehirn: Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert, Ullstein, 352 S., 18 Euro
Kontakt:
Prof. Dr. Markus Gabriel
Institut für Philosophie
Lehrstuhl für Erkenntnistheorie,
Philosophie der Neuzeit und Gegenwart
Tel. 0228/735067 oder 7354014
E-Mail: markus.gabriel@uni-bonn.de
01. November 2015
Plädoyer für die Freiheit des Willens Plädoyer für die Freiheit des Willens
In seinem neuen Buch widerspricht Markus Gabriel von der Universität Bonn dem „Neurozentrismus“
“Ich ist nicht Gehirn” – mit dem prägnanten Titel seines neuen Buches wendet sich Prof. Dr. Markus Gabriel vom Institut für Philosophie der Universität Bonn gegen die gängige Vorstellung, dass unser Denkorgan mit dem menschlichen Geist gleichzusetzen ist. Er plädiert gegen jegliche Form von „Neurozentrismus“ und bricht leidenschaftlich eine Lanze für die Existenz des freien Willens. Das Werk erscheint am 6. November im Ullstein-Verlag.
Prof. Dr. Markus Gabriel
- vom Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart der Universität Bonn.
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