Wenn es um grundsätzliche Glaubensfragen ging, trafen sich Vertreter der verschiedenen christlichen Religionen auf einem Konzil und versuchten, zu einer allgemeingültigen Einigung zu kommen. Im ersten Jahrtausend fanden sieben solcher Bischofsversammlungen der gesamten Kirche, die man später als Ökumenische Konzilien bezeichnete, statt – die erste in Nizäa im Jahr 325 und die zweite in Konstantinopel (381). „Von diesen beiden sind keine Protokolle überliefert, deshalb hat das dritte Konzil, das 431 in Ephesus abgehalten wurde, eine so große Bedeutung für die Kirchengeschichtsforschung“, sagt Prof. Dr. Wolfram Kinzig vom Evangelisch-Theologischen Seminar der Universität Bonn. „Die Protokolle geben erstmals einen Einblick, wie auf den Konzilien in der Spätantike verhandelt wurde und was die Menschen in Glaubensfragen damals tief bewegt hat.“
Der Verhandlung von hunderten Geistlichen war ein Streit zwischen verschiedenen theologischen Schulen über die Frage, wer Jesus Christus sei, vorausgegangen. Nestorius, der Patriarch von Konstantinopel, versuchte zwischen ihnen zu vermitteln und vertrat dabei die Auffassung, Maria habe weder einen bloßen Menschen noch einen Gott geboren, weshalb er die Rede von ihr als der „Christusgebärerin“ bevorzugte. Der Patriarch von Alexandria, Kyrill, war hingegen überzeugt, dass die Jesus-Mutter in erster Linie einen Gott zur Welt gebracht habe und deshalb als „Gottesgebärerin“ bezeichnet werden könne. Beide wandten sich an den oströmischen Kaiser Theodosius II., der zur Klärung der Streitfrage ein reichsweites Konzil nach Ephesus einberief. Die Versammlung führte jedoch nicht zum erwünschten Ziel, sondern zu einer Eskalation des Streites. Schließlich ließ Theodosius II. die beiden Streithähne Nestorius und Kyrill ihrer Ämter entheben und ins Gefängnis werfen.
Konzil war ein Misserfolg, aber Grundlage der späteren Einigung
„Kyrill hat viel Geld bezahlt, um wieder freizukommen“, berichtet Prof. Kinzig. „Nestorius wurde dagegen in ein Kloster abgeschoben.“ Jahre später gelang doch noch eine Einigung: Die dann allgemeingültige Kirchenformel besagte, dass Jesus zugleich ein vollkommener Gott und ein vollkommener Mensch mit Seele und Leidensvermögen sei. „Von daher war das Konzil von Ephesus zunächst ein Misserfolg, aber ebenso eine Durchgangsstation für eine in den Kirchen weithin akzeptierte Sprachregelung“, zieht der Forscher ein Fazit.
Prof. Kinzig will nun die Unterlagen zu Ephesus mit einem Team aus Klassischen Philologen erstmals vollständig übersetzen und kommentieren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Langzeitprojekt in den nächsten zehn Jahren mit rund 1,6 Millionen Euro. Unter der Leitung des Gräzisten Dr. Thomas Brüggemann sollen zwei promovierte Wissenschaftler die Protokolle des Konzils von Ephesus systematisch in deutscher Sprache zugänglich machen. Neben einer Buchausgabe soll die Edition auch auf einer Online-Plattform interessierten Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt werden. Das Projekt erfordert einen langen Atem: Rund 1.800 Seiten an griechischen und lateinischen Akten liegen vor.
Dokumente sind nicht chronologisch im Zusammenhang erfasst
Da die Unterlagen auf verschiedene Sammlungen verstreut sind, ist es bislang nicht gelungen, alle Dokumente chronologisch und in einem nachvollziehbaren Zusammenhang zu erfassen. Das Bild vom Konzil von Ephesus blieb deshalb bislang verschwommen. „Die geplante Ausgabe soll an Umfang und Informationsgehalt über bisher erschienene, vergleichbare Werke weit hinausgehen“, sagt Prof. Kinzig. Sie soll einen umfassenden, detaillierten und fundierten Einblick in das Geschehen um das dritte Konzil und dessen historische, theologische und geistesgeschichtlichen Hintergründe vermitteln.
Die Forscher sind zuversichtlich, dass die Rekonstruktion der Abläufe während der Ephesus-Versammlung gelingen wird: Die Kirchengeschichtler der Universität Bonn haben bereits große Erfahrung mit solchen Projekten gesammelt. Prof. Kinzig hat in den vergangenen Jahren zu dem für das Konzil zentralen Kirchenvater Kyrill von Alexandrien und zu altkirchlichen Glaubensbekenntnissen intensiv geforscht. „Wir werden jedes einzelne Dokument eingehend kommentieren, Querverweise vornehmen und zu einem vollständigeren Bild des Konzils von Ephesus gelangen“, beschreibt Prof. Kinzig das Ziel.
Kontakt für die Medien:
Prof. Dr. Wolfram Kinzig
Evangelisch-Theologisches Seminar
Universität Bonn
Abteilung Kirchengeschichte
Tel. 0228/737305
E-Mail: kinzig@uni-bonn.de
Tiefer Einblick in Kirchenkonflikt Tiefer Einblick in Kirchenkonflikt
Wissenschaftler der Uni Bonn übersetzen und kommentieren die Akten des Konzils von Ephesus
In der Spätantike stritten verschiedene Glaubensrichtungen innerhalb der Kirche über die Frage, ob die Jesus-Mutter Maria zugleich auch „Gottesgebärerin“ sei. Das Konzil von Ephesus im Jahr 431 sollte diesen Konflikt lösen, der auf dieser Kirchenversammlung jedoch eskalierte. Die Patriarchen der streitenden Religionsschulen landeten im Gefängnis. Erst Jahre später konnte eine Einigung herbeigeführt werden. Evangelische Theologen und Klassische Philologen der Universität Bonn wollen die Protokolle dieses Konzils nun erstmals vollständig übersetzen und kommentieren, um tiefe Einblicke hinter die Kulissen dieses Kirchenstreits zu ermöglichen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Langzeitvorhaben in den nächsten zehn Jahren mit rund 1,6 Millionen Euro.