Epileptische Anfälle können ganz unterschiedlich ablaufen: Manche Betroffene schmatzen, andere nesteln unmotiviert an ihrer Kleidung herum, wieder andere sind für kurze Zeit komplett weggetreten und einige erleiden tatsächlich die für typisch gehaltenen Muskelzuckungen. „Es ist nicht leicht, alle Symptome richtig einzuordnen“, sagt Prof. Dr. Christian E. Elger, Direktor der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn. Teilweise finden die Anfälle auch während des Schlafs statt, dann bekommen die Betroffenen häufig gar nichts davon mit. „Wir schätzen, dass die Patienten maximal die Hälfte ihrer Anfälle bewusst wahrnimmt“, ergänzt Privatdozent Dr. Rainer Surges, Leitender Oberarzt an der Uniklinik für Epileptologie und Koordinator des Verbundprojektes.
Diese subjektive Fehleinschätzung der Anfallshäufigkeit und -stärke erschweren sowohl die Diagnose als auch die Therapie von Epilepsien. Die „Gewitterstürme im Gehirn“ lassen sich meistens eindeutig mittels Elektroenzephalografie aufzeichnen, doch dafür ist ein Klinikaufenthalt erforderlich. „Mobile Messgeräte würden sich in die alltäglichen Abläufe der Patienten viel besser integrieren lassen“, sagt Dr. Surges. Genau so ein mobiles Miniatursensorsystem entwickelt derzeit ein Konsortium unter Federführung der Bonner Uniklinik für Epileptologie. Das Vorhaben „EPItect“ wird vom Bundesforschungsministerium (BMBF) in den nächsten drei Jahren mit rund zwei Millionen Euro gefördert, davon fließen 635.000 Euro an die Bonner Klinik.
Minisensor misst Symptome im Ohr
Die Firma Cosinuss GmbH aus München hat bereits einen Prototypen eines Epilepsiesensors entwickelt, der wie ein Hörgerät im Ohr befestigt wird. Das Messgerät soll noch weiter miniaturisiert und für diesen Zweck optimiert werden. „Wir haben in einer von der Marga und Walter Boll-Stiftung geförderten Vorstudie festgestellt, dass sich epileptische Anfälle recht gut über einen beschleunigten Puls und bestimmte Bewegungsmuster feststellen lassen“, berichtet Dr. Surges. Diese Symptome kann der kleine Knopf im Ohr messen. Er soll die Signale über ein angeschlossenes Smartphone an einen Zentralcomputer weitergeben, der die eingehenden Daten kontinuierlich auf Auffälligkeiten prüft und notfalls Patienten, Angehörige und behandelnde Ärzte warnt. Denn im schlimmsten Fall können epileptische Anfälle tödlich ausgehen, wie beispielweise durch schwere Unfälle mit tödlich verlaufenden Verletzungen oder durch einen Herzkreislaufstillstand beim sogenannten plötzlichen unerwarteten Tod bei Epilepsie.
Mehr Autonomie für Patienten und eine erleichterte Pflege Betroffener
Im Mittelpunkt des Projekts steht, eine solche automatische Daten- und Alarmkette zu entwickeln und sie gemeinsam mit Epilepsiepatienten, Angehörigen und Pflegenden zu testen und zu optimieren. EPItect soll in vielfacher Hinsicht das Leben der Betroffenen und ihres Umfeldes erleichtern: „Epilepsiepatienten fürchten sich häufig vor unvorhersehbaren Anfällen in der Öffentlichkeit“, berichtet Dr. Surges. Absehbar gewinnen sie wieder mehr Autonomie, wenn sie das aktuelle Anfallsrisiko besser einschätzen können. Angehörige müssen sich nicht ängstigen, dass die Patienten unversorgt bleiben, wenn es zu einer neuen Attacke kommt, weil automatisch ein Arzt herbeigerufen werden kann. Und die Wissenschaft verfügt mit den Signalen des In-Ohr-Sensors über viel verlässlichere Daten. „Mit EPItect können wir absehbar bessere Diagnosen stellen, weil die Anfallshäufigkeit und -schwere besser erfasst wird“, sagt Prof. Elger. Das Gleiche gilt für die Entwicklung neuer Therapien: In klinischen Studien soll sich mit Hilfe des mobilen Mini-Sensors nachvollziehbarer darstellen lassen, zum Beispiel welches Medikament die Anfälle am wirksamsten reduziert.
In das EPItect-Projekt werden neben erwachsenen auch jüngere Patienten einbezogen. „Da auch viele Kinder und Jugendliche unter Epilepsien leiden, erhoffen wir uns für diese Zielgruppe wichtige Fortschritte durch das Sensorsystem“, sagt Prof. Dr. Ulrich Stephani, Direktor der Klinik für Neuropädiatrie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel. Das Konsortium plant, dass die neue Technologie in wenigen Jahren für Patienten und klinische Studien verfügbar ist. Im ersten Schritt soll an ausgewählten Patienten eine Studie durchgeführt werden. Später soll EPItect einer breiteren Patientengruppe zugänglich gemacht werden. „Wir stehen in der Epileptologie erst am Beginn eines Durchbruchs der mobilen Gesundheitstechnologien und der Telemedizin“, sagt Dr. Surges.
Die Partner im EPItect-Konsortium
Das EPItect-Konsortium besteht aus fünf Einrichtungen und zwei assoziierten Partnern aus Deutschland: Uniklinik für Epileptologie Bonn, Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, Klinik für Neuropädiatrie der Universität Kiel (UKSH), Norddeutsches Epilepsiezentrum in Schwentinental-Raisdorf, Cosinuss GmbH München, Hochschule für Gesundheit Bochum und Epilepsie Bundes-Elternverband e.V. Wuppertal.
Kontakt für die Medien:
Privatdozent Dr. med. Rainer Surges
Klinik für Epileptologie
Universitätsklinikum Bonn
Tel. 0228/28714778
E-Mail: Rainer.Surges@ukb.uni-bonn.de
Minisensor soll bei epileptischen Anfällen warnen Minisensor soll bei epileptischen Anfällen warnen
Das BMBF fördert ein durch die Bonner Uniklinik für Epileptologie koordiniertes Projekt mit 2 Millionen Euro
Für Epilepsie-Patienten und behandelnde Ärzte ist es bislang eine Herausforderung, ohne stationäre Aufzeichnungsgeräte die Häufigkeit und Schwere von epileptischen Anfällen richtig einzuschätzen. Ein Konsortium, das von Epileptologen des Universitätsklinikums Bonn koordiniert wird, entwickelt nun ein mobiles Sensorsystem, das Anfälle erkennt. Über einen Warnruf sollen dann Angehörige oder behandelnde Ärzte rechtzeitig zur Hilfe herbeigeholt werden. Das Projekt „EPItect“ wird vom Bundesforschungsministerium (BMBF) in den nächsten drei Jahren mit rund zwei Millionen Euro gefördert. 635.000 Euro fließen davon nach Bonn. Bei der Umsetzung des anspruchsvollen Vorhabens erhält das Konsortium Unterstützung durch den Projektträger VDI/VDE Innovation + Technik GmbH.