Wer kennt nicht die winzigen Mücken, die im Wald oder auf Weiden in Schwärmen über einen herfallen und deren Stiche erstaunlich weh tun? Gnitzen sind weltweit verbreitet und vielfältig. Allein aus Deutschland sind mehr als 190 Arten bekannt. Paläontologen der Universität Bonn haben nun zusammen mit Wissenschaftlern des Bonner Forschungsmuseums Koenig sowie der Universitäten Kassel, Danzig (Polen) und Lucknow (Indien) mit dem Institut für Werkstoffforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht eine neue Art in 54 Millionen Jahre altem Bernstein entdeckt und beschrieben.
Frauke Stebner, Doktorandin am Steinmann Institut der Universität Bonn, schürfte in Indien nach Bernstein. Dabei stieß sie auf das fossile Baumharz mit dem ungewöhnlichen, nicht einmal ein Millimeter großen Einschluss. „Häufig erkennt man die Insekten im Bernstein lediglich als schwarzen Fleck“, berichtet die Wissenschaftlerin. Denn rohe Bernsteine sind trüb wie ein Malzbonbon. Aufwendige Schleif- und Polierarbeiten brachten das winzige Tier erst zum Vorschein. Wie durch ein Bernsteinfenster ließ sich das Insekt durch das Mikroskop betrachten.
Forscher „durchleuchten“ das Fossil am Elektronen-Synchrotron
Ungewöhnliche Strukturen des Winzlings offenbarten sich aber erst, als der Bernstein am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) unter die Lupe genommen wurde. Wie ein dreidimensionales digitales Modell der weiblichen Gnitze zeigt, verfügt sie am vorderen Rand ihrer beiden Flügel über eine eigenartige, blasenförmige Struktur. „Heute lebende Gnitzen-Arten haben nicht solche »Taschen« an den Flügeln“, berichtet Stebner. Für die Wissenschaftler steht nach umfangreichen Literaturrecherchen fest: Eine Gnitze mit solch einer Flügelstruktur ist bislang noch nie beschrieben worden.
Wie eine nach unten geöffnete Blase mit einem Rand aus feinen Härchen ragt die Struktur aus den Flügeln heraus. Die Wissenschaftler rätselten, welche Bedeutung dieses fossile Etwas hat, und stellten Vergleiche mit anderen Arten an. Erst bei den hochentwickelten Schmetterlingen wurden sie fündig. „Diese verfügen an den Vorderflügeln über ganz ähnliche Taschen, mit denen sie Pheromone in die Luft zerstäuben, um für die Paarung Partner anzulocken“, berichtet Stebner. Die Position am Flügelrand erlaubt es, die Botenstoffe möglichst großräumig in die Umgebungsluft zu zerstäuben. Die Härchen sorgen über eine Verwirbelung offenbar dafür, dass die Verteilung noch besser gelingt.
„Lockstoff-Konzert“ im 54 Millionen Jahre alten Urwald
Heutige Gnitzen nutzen zwar auch Lockstoffe für ihre „Blind Dates“ – sie geben die Substanzen aber nicht an ihren Flügeln, sondern am Hinterleib ab. „Auffallend ist, dass die Pheromon-Zerstäuber bei dem Fossil deutlich komplexer sind als bei heutigen Gnitzen“, sagt Prof. Dr. Jes Rust, der die Dissertation von Frauke Stebner betreut. Offenbar haben die Umweltbedingungen in den 54 Millionen Jahre alten Urwäldern im heutigen Indien eine solche Anpassung erforderlich gemacht. Vermutlich waren damals viele verschiedene Insektenarten unterwegs, die allesamt über Pheromone ihre Sexpartner anlocken wollten. Um aus diesem „Lockstoff-Konzert“ überhaupt noch hervorstechen zu können, waren wahrscheinlich ungewöhnlich effektive Zerstäubertechniken notwendig.
Publikation: A fossil biting midge (Diptera: Ceratopogonidae) from early Eocene Indian amber with a complex pheromone evaporator, Scientific Reports, DOI: 10.1038/srep34352
Kontakt für die Medien:
Frauke Stebner
Steinmann-Institut
Universität Bonn
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E-Mail: frauke.stebner@uni-bonn.de
Prof. Dr. Jes Rust
Steinmann-Institut
Universität Bonn
Tel. 0228/734842
E-Mail: jrust@uni-bonn.de