Drei Mal auf Holz klopfen, „toi, toi, toi“ sagen, eine Münze in einen Brunnen werfen. Auch unsere hochtechnisierte Welt kennt kleine Alltagsrituale, die Glück bringen oder das Unglück abwehren sollen – und selbst denen, die sie pflegen, sind sie meistens ein bisschen peinlich. Ganz ähnlich und doch ganz anders die Altägypter: Auch sie kannten viele Handlungen, denen sie aktiven Einfluss auf die Wirklichkeit zusprachen. Sie nannten sie Heka. Dieser Heka jedoch galt im Reich der Pharaonen nicht als anrüchiger Aberglaube, sondern als selbstverständliche Kulturtechnik im Alltag. Der Ägyptologe Prof. Dr. Ludwig D. Morenz vom Institut für Archäologie und Kulturanthropologie der Universität Bonn hat Praxis und Hintergründe im kürzlich erschienenen Buch „Hoffen und Handeln – Vom altägyptischen Heka“ untersucht.
Darin möchte Prof. Morenz den missverständlichen, weil auch negativ besetzten Begriff „Magie“ so weit wie möglich vermeiden. Er spricht stattdessen von „Hoffen und Handeln“: Heka umfasst alle Handlungen, mit denen der Mensch versucht, die Unwägbarkeiten seines Alltags aktiv zu beeinflussen. Heka war „eine Kulturtechnik für das Außergewöhnliche“, sagt Prof. Morenz – für „liminale“, also „Schwellen“-Situationen. Gemeint sind damit „alle Lebenslagen, die sich nicht einfach so lösen lassen. Das reichte von der Liebe über Krankheiten bis hin zum Tod – oder auch dahin, irgendwem sozusagen Schaden anzuhexen. Es ging um die gesamte Palette der sozialen Wirklichkeit.“
Magie, Theologie und Religion galten als quasi dasselbe
An erster Stelle stand für die Ägypter dabei der Tod, erläutert der Forscher der Universität Bonn. „90 Prozent all dessen, was uns aus ihrer Kultur überliefert ist, rankt sich um das Problem der Bewältigung des Todes.“ Das Volk am Nil trennte dabei nicht zwischen (als „gut“, „kulturell hochstehend“ und „intellektuell“ gedachter) Religion einerseits und (als „böse“, „kulturell unbedeutend“ und „abergläubisch“ gedachter) Magie andererseits, sagt Prof. Morenz. All diese Dinge galten eigentlich als dasselbe – weil sie mit Heka zu tun hatten. So trug die bedeutende Göttin Isis zum Beispiel auch den Titel „Die an Heka Reiche“. Die Übergänge waren fließend: „Es konnte darum gehen, das Göttliche verstehen zu wollen – das würden wir heute Theologie nennen. Oder darum, einen Gott in einem Hymnus zu preisen – das würden wir heute Religion nennen. Oder darum, eine Gottheit aktiv zu beeinflussen – das würden wir als Magie bezeichnen.“
Die Methoden des Heka waren „ähnliche, wie wir sie heute zum Beispiel vom Voodoo kennen“, präzisiert der Ägyptologe. „Man konnte spezielle Sprüche rezitieren. Man konnte eine Figur herstellen oder zerstören. Oder, der häufigste Fall, man tat beides – einen Spruch aussprechen und gleichzeitig eine Handlung ausführen.“ Sprache und Schrift spielten dabei eine besonders große Rolle – kein Wunder in einer Kultur, deren Schriftsystem hohe kulturelle Bedeutung trug. Heka-Sprüche wurden in den Stein der Tempelwände oder von Statuen gemeißelt, auf Papyrus geschrieben oder in Amulette geritzt; möglich war auch, nach der Niederschrift Wasser über den Papyrus fließen zu lassen, damit die Tinte sich auflöste, und die Flüssigkeit dann zu trinken.
Nach dem Sieg des Christentums bekam der Heka ein schlechtes Image
In seinem Buch betrachtet Prof. Morenz den Heka über die gesamte altägyptische Kultur, also über einen Zeitraum von gut 3.000 Jahren. Am Schluss dieser Epoche, ab dem 4. Jahrhundert, übernahmen die Ägypter das Christentum, und ihre Sprache entwickelte sich zum „Koptischen“, das noch heute im Gottesdienst der ägyptischen Kirche benutzt wird. Das Wort Heka bekam die Form „Hike“ und galt nun als dezidiert negativ, vergleichbar mit heutigen Begriffen wie „Schwarze Magie“ oder „Aberglaube“ (obwohl es noch immer magische Techniken gab, in denen „Zauberbuchstaben“ eine Rolle spielten). Prof. Morenz versucht dies zu bewerten, indem er es in Untersuchungen der Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sowie des Kulturwissenschaftlers Aby Warburg einordnet: „Man erkennt typische Kritik der Intellektuellen am Volk. Die Aussage ist ungefähr: Was wir tun, ist Kultur – was die tun, ist primitiv.“
Der Ägyptologe verweist darauf, dass es zwischen damals und heute einen gemeinsamen Nenner gibt: „Der Mensch strebt danach, den Dingen und Geschehnissen einen Sinn zuzuschreiben – und danach, sie anschließend miteinander zu verknüpfen.“ Der Forscher sieht Resultate wie dieses als besonders wichtige Fähigkeit seiner Disziplin. „Obwohl die ägyptische Kultur sich von der Unsrigen stark unterscheidet, gab es auch dort gewisse anthropologische Konstanten, die wir noch heute an uns selbst beobachten können. Dies zu erkennen, ist das Faszinierende an der Ägyptologie.“
Publikation: Ludwig D. Morenz: Hoffen und Handeln – Vom altägyptischen Heka, Hans-Bonnet-Studien zur Ägyptischen Religion 2, EB-Verlag Dr. Brandt, Berlin, 198 S.; 22,80 Euro
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Prof. Dr. Ludwig D. Morenz
Universität Bonn
Institut für Archäologie und Kulturanthropologie
Abteilung für Ägyptologie
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