Begonnen hat es mit einem Krampfanfall als Lisa vier Jahre alt war. Dann traten öfter kleinere Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung, so genannte Auren, auf. „Dabei wurde mir schlecht, und ich hatte das Gefühl, brechen zu müssen“, sagt Lisa. Mitunter waren die Auren auch Vorboten eines epileptischen Krampfanfalls, an die sich die 19-Jährige nicht erinnern kann: „Außer, dass ich später im Krankenhaus aufgewacht bin.“ Sie, ihre ältere Schwester und ihre Eltern hatten zwar gelernt, mit der Epilepsie umzugehen. „Wichtig ist, soweit wie möglich ein normales Familienleben zu führen“, betont der Vater. Doch die Angst vor einem großen Krampfanfall blieb ein stetiger Begleiter. Zumal die Auren trotz Medikamente mittlerweile jeden Tag und auch die Krampfanfälle häufiger auftraten. Daher ging Lisa, die immer Notmedikamente dabei hatte, nie alleine weg, und der Führerschein war für sie ein unerreichbarer Traum.
Professionelle Hilfe aus einer Hand am Bonner Neurozentrum
Als dann ein Wechsel der Medikamente auch nicht mehr half, suchte Lisa mit ihren Eltern Hilfe in der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn. Zu diesem Zeitpunkt galt ihre Epilepsie als medikamentös nicht vollständig behandelbar und inoperabel. Doch die Bonner Epileptologen konnten in enger Kooperation mit den Neuroradiologen und den Neurochirurgen den Ort im Gehirn lokalisieren, an dem die Anfälle entstanden. Der Hippocampus in ihrem linken Schläfenlappen hatte nicht seine übliche Form ähnlich eines Seepferdchens, sondern er war vermutlich aufgrund einer Entzündung im Kindesalter geschädigt, im weiteren Verlauf vernarbt und dann geschrumpft. Somit litt Lisa unter einer klassischen Schläfenlappenepilepsie, die relativ häufig ist. Eine operative Entfernung der geschädigten Strukturen stellt für viele dieser Patienten eine erfolgversprechende Option und ein gute Alternative zu einer lebenslangen Medikamenteneinnahme dar.
„Es ist immer eine sehr individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung“, betont Prof. Dr. Christian Elger, Direktor der Klinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn. Daher wurden vor der Empfehlung zu einer Operation durch Dr. Rainer Surges, Oberarzt an der Bonner Universitätsklinik für Epileptologie, sehr umfangreiche Tests durchgeführt, bei denen unter anderem die Funktion von Lisas rechtem Hippocampus genau überprüft wurde, der für das Gedächtnis nach der Operation eine zentrale Rolle spielt. Da die 19-Jährige bereits im frühen Kindesalter erkrankt ist, konnte der rechte Hippocampus lernen, die Arbeit seines beschädigten linken Gegenstücks zu übernehmen. „Mit einer geringen Gefahr durch eine Operation in geübten Händen ein Defizit zu hinterlassen und einer Chance von 90 Prozent auf Anfallsfreiheit, war unsere Patientin eine optimale Kandidatin“, sagt Prof. Elger.
„Im Gegensatz zu einer Reise, will man keine Überraschungen erleben!“
„Die Operation selbst ist an einem Zentrum ein routinierter Prozess, der durch unsere hochtechnologischen Hilfsmittel optimal unterstützt wird“, sagt Prof. Dr. Hartmut Vatter, Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Bonn. Als erfahrener Operateur führt er pro Jahr etwa 100 epilepsiechirurgische Eingriffe durch. Dabei hat er immer einen genauen Plan: „Ähnlich wie bei einer Reise, sind Vorbereitung und Planung ganz wesentliche Schritte. Man muss vorher genau wissen, wo man hin will und was man dort vorhat. Gerade das Gehirn reagiert auf Manipulationen so empfindlich. Daher wählt man seinen Weg so gezielt und so kurz wie möglich, damit man Hirnareale, die nicht entfernt werden müssen, so wenig wie möglich berührt.“ Bei Lisa war der beste Weg eine natürliche Spalte zwischen zwei Hirnlappen, die als Schwierigkeitsgrad vor dem Hippocampus eine leichte Biegung macht.
Um nichts im Gehirn zu beschädigen, finden derartige neurochirurgische Operationen immer unter einem Mikroskop statt. Zusätzlich zu ihrer anatomischen Ortskenntnis, räumlichen Vorstellung und Erfahrung verwenden versierte Operateure noch moderne Navigationsgeräte. Dabei werden die kernspintomographischen Aufnahmen des Gehirns des Patienten – vergleichbar wie die Landkarte beim Navigationsgerät im Auto – vor der Operation aufgespielt. So kann Prof. Vatter an Hand eines angezeigten Pfeils, zu jedem Zeitpunkt nochmals genau nachkontrollieren, ob er sich mit seinen Operationsgeräten genau auf dem geplanten Weg befindet. Am Hippocampus angekommen geht er seitlich an ihm vorbei und schält diesen vorsichtig von oben und unten mit einem Ultraschallmesser heraus. Vorher entfernt er die so genannte Amygdala, die vor und mittig des Hippocampus gelegen ist.
Ob über die gesamte Lebenszeit betrachtet das Risiko einer Komplikation bei einer Operation im Vergleich zu einer dauerhaften Medikamenteneinnahme und Anfallserkrankung höher ist, ist nicht eindeutig zu beantworten. „Obwohl unsere Komplikationsraten extrem niedrig sind, besteht bei einem solchen Eingriff natürlich am Operationstag ein höheres Risiko als an irgendeinem anderen Tag im Leben mit Medikamenten“, sagt Prof. Vatter. Die Epilepsie selbst, wenn sie fortbesteht, ist für die Patientin ebenfalls mit einem nicht unerheblichen Risiko verbunden. Da vor allem der „plötzliche unerwartete Tod des Epilepsiepatienten“ entfällt, an dem pro Jahr in Deutschland etwa 1.000 Betroffene sterben, ist die Risikosituation nach ein bis zwei Jahren Anfallsfreiheit eindeutig zu Gunsten der Operation verschoben. Wie bei den meisten Patienten ist die Operation von Lisa gut verlaufen. Die Narbe, die innerhalb der Haargrenze liegt, sieht man überhaupt nicht.
„Es war toll, zum ersten Mal mit der Achterbahn zu fahren!“
Für eine bessere Lebensqualität hat sich Lisa entschieden, eine Operation zu wagen. Sie möchte all denjenigen Mut machen, für die dieser Schritt eine Option ist. „Ich fühle mich jetzt viel freier und gehe nun auch alleine aus dem Haus“, sagt Lisa. Denn seit der Operation vor etwa einem halben Jahr hat sie keinen Krampfanfall und auch keine Auren mehr. Zudem hat sie keine Einbußen bei ihrem Gedächtnis: „Ich kann genau so viel lernen wie vorher, nur wie schon immer etwas langsamer.“ So steht dem Ziel der Kinderpflegerin, sich zur Erzieherin weiter zu qualifizieren nichts im Wege. Derzeit holt sie dafür den Realschulabschluss nach. Auch ihre Eltern konnten nach der Operation aufatmen. Erst jetzt ist ihnen richtig bewusst, wie belastend die Ängste um ihre Tochter über die Jahre gewesen waren. Neuerdings sind sie entspannt, wenn ihr Tochter abends in die Disco feiern geht – und das, auch weiterhin ohne Alkohol. „Von dem schnellen Discolicht wird mir nicht mehr schlecht“, sagt Lisa. Aber am meisten freut sich die 19-Jährige darauf, im Sommer nach der großen Abschlussuntersuchung endlich den Führerschein machen zu dürfen.
Info: Ein Video dazu gibt es demnächst auf www.ukbonn.de zu sehen.
Kontakt für die Medien:
Prof. Dr. Christian Elger
Direktor der Klinik für Epileptologie
Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-19388, E-Mail: Christian.Elger@ukbonn.de
Prof. Dr. Hartmut Vatter
Direktor der Klinik für Neurochirurgie
Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-16501, E-Mail: hartmut.vatter@ukbonn.de