Wer begründen will, warum eine Musikgruppe Weltbedeutung besitzt, zählt gemeinhin ihre bedeutenden Werke auf. Doch eine Gruppe gibt es, da reicht allein ihr Name: Die Beatles. Von 1962 bis 1970 prägten John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr mit ihren Liedern die gesamte Kultur der westlichen Welt. Das gelang ihnen unter anderem, weil sie sich im Gegenzug auch von fremden Kulturen inspirieren ließen – von der indischen zum Beispiel. In ihrer Bachelor-Arbeit „Indische Klänge und die Musik der Beatles“ hat die Musikwissenschaftlerin Clara Becker an der Universität Bonn diesen Zusammenhang unter die Lupe genommen. Die Arbeit ist ein Beispiel für die Zielrichtung des speziellen Bonner Zwei-Fach-Bachelors „Musikwissenschaft/Sound Studies und Komparatistik“.
„Es gibt sehr viele Ansatzpunkte, die Frage zu untersuchen, was es ist, das die Band immer noch im kollektiven Gedächtnis hält“, sagt die 22-jährige Bonnerin. Sie konzentrierte sich auf die Frage, „wie das Zeitgeschehen der späten 60er Jahre, vor allem auch Inspirationen aus dem asiatischen Kulturkreis, sich auf die Musik der Beatles ausgewirkt hat.“ Die Neugier auf östliche Spiritualität und Lebensweise sei damals zwar Mainstream gewesen – allerdings habe es „ganz unterschiedliche Herangehensweisen“ gegeben. Auch innerhalb der Band: „Alle vier Beatles waren bereit, sich auf die indische Kultur einzulassen. Aber nur George Harrison und John Lennon haben daraus Konsequenzen für ihre musikalische Arbeit gezogen.“
George Harrison spielte „Sargam” und „Alap”
George Harrison kannte die traditionelle indische Musik aus seiner Kindheit, weil seine Mutter sie mochte. Den Anstoß zur Vertiefung gaben die Arbeiten zum zweiten Beatles-Kinofilm „Help!“ (1965): „Beim Dreh einer Szene befanden sich die vier in einem indischen Restaurant in London. Dort waren einige indische Musiker, die auf der Sitar Beatles-Hits zum Besten gaben.“ Harrison war fasziniert, kaufte sich seine eigene Sitar und begann selbst zu spielen.
Zum Virtuosen wurde Harrison dabei nicht, obwohl er sogar bei dem Sitar-Meister Ravi Shankar Unterricht nahm. „Zehn bis 15 Jahre fleißigen Übens“ brauche es, bis man das Instrument einigermaßen zufriedenstellend spielen könne, sagt Becker. „Es ist so ähnlich wie mit der Geige: Wenn man anfängt, klingt es erst einmal ganz furchtbar.“ Immerhin: Bereits 1965 konnte Harrison für das Lied „Norwegian Wood“ eigene Sitar-Passagen aufnehmen. Später versuchte er in seinen selbstkomponierten Song „Within You Without You“ (1967) indische „Sargam“-Melodien einzuarbeiten, die er damals gerade auf seiner Sitar übte. Außerdem, so sagt Becker, erinnern Vor- und Zwischenspiel des Stücks an den „Alap“ – das sind improvisierte Passagen der klassischen indischen „Raga“-Musik.
John Lennon befasste sich mehr mit indischem Denken
John Lennon hingegen befasste sich weniger mit der indischen Musik als dem indischen Denken – oder dem, was er dafür hielt. Laut Becker fand er es in dem Buch „The Psychedelic Experience“ von 1964, einer Art Mischmasch aus hinduistischen Ideen, buddhistischen Ideen und Drogenerfahrungen. Einer der Autoren war Timothy Leary, engagierter Verfechter der Bewusstseinserweiterung durch Drogentrips. Becker erzählt: „Das Buch behauptet, dass der transzendente Zustand, der durch Meditation erlangt werden kann, ebenso gut durch den Konsum von LSD erzielbar ist.“ Unter dem Einfluss dieser These habe Lennon 1966 den Song „Tomorrow Never Knows“ komponiert – der habe so klingen sollen, wie sich ein LSD-Trip anfühlt. In diesem Song werde allerdings „neben indischen Elementen auch eine Neigung für Avantgarde-Klänge und Psychedelic-Rock deutlich“: Lennon brachte diese Ansätze 1967 in Text und Melodie des Stückes „I Am the Walrus“ zu einem ersten Höhepunkt.
Anfang 1968 besuchten die vier Musiker das Meditationszentrum des Gurus Maharishi Mahesh Yogi in der Stadt Rishikesh in Nordindien. Obwohl die Reise sich als „wenig erfüllend“ herausstellen sollte und alle bis auf Paul McCartney vorzeitig abreisten, erwies sich das Dauer-Zusammensein als künstlerisch produktiv: In Indien entstanden 20 von 30 Songs für das „White Album“, das sich durch besonders große Stilvielfalt auszeichnet: „Dadurch, dass die vier in Rishikesh nur akustische Gitarren zur Verfügung hatten, entstanden wieder Songs aus den Genres des westlichen Pop, Blues und Rock 'n' Roll.“ Becker erklärt: „Interessant ist, dass gerade, während die indischen Einflüsse auf die Beatles ihren Höhepunkt erreichten, die Band in gewisser Weise zu ihren britischen Wurzeln zurückfand.“
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