In Deutschland bekommen pro Jahr rund 150.000 Menschen ein künstliches Kniegelenk, eine so genannte Knie-Endoprothese, implantiert. Trotz erfolgreicher Operation hat etwa jeder Zehnte weiterhin Beschwerden. „Wir sehen viele Patienten mit einer langen Leidensgeschichte, die schon einige Operationen ohne den gewünschten Erfolg hatten“, sagt Dr. Thomas Randau, Leiter Klinische Studien an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Bonn. Die Klinik ist als „Endoprothesenzentrum der Maximalversorgung“ zertifiziert und auf die Behandlung von Komplikationen bei Gelenkprothesen, sowie auf komplexe Prothesen-Wechseloperationen spezialisiert.
Maria P. ist ein solch typischer Fall: Nach der Implantation des Kunstknies vor zehn Jahren folgten weitere Operationen, letztlich der vollständige Wechsel der Endoprothese. Doch keine der Maßnahmen half. „Die Schmerzen waren immer da“, sagte Maria P. Nicht nur gab sie ihre Hobbys Tanzen und Gymnastik auf, sondern musste schließlich sogar auf kurze Alltagsaktivitäten wie einen Stadtbummel ganz verzichten. Denn das Laufen fiel ihr immer schwerer. Durch sorgfältige Prüfung schlossen die Bonner Ärzte aber aus, dass Maria P.s Schmerzen direkt durch die Prothese bedingt sind und durch eine orthopädische Maßnahme oder erneute Operation behoben werden können.
Ein Ausweg aus der Schmerzspirale
Falls wie bei Maria P. so genannte neuropathische Schmerzen vorliegen, bieten Orthopäden und Neurochirurgen am Universitätsklinikum Bonn jetzt mit der Spinalganglien-Stimulation eine innovative Alternative an. „Jeder chirurgische Eingriff beeinträchtigt die Nerven im umliegenden Gewebe und es kann sein, dass die Nerven mit einer ständigen Überaktivität“ reagieren, sagt Privatdozent Dr. Thomas Kinfe, Leiter der Neuromodulation an der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Bonn. „Es kommt zu einem Kurzschluss, der einer krankhaften Signal-Lawine beginnend im Knie bis zum Kopf auslöst.“ An diesem Punkt setzen die Bonner Ärzte an.
Das Spinalganglion („Dorsal Root Ganglion“, DRG), ein Bündel aus Nervenkernen und -fasern, fungiert wie ein Filter für alle sensorischen und schmerzhaften Reize. Wird nun der für das Knie zuständige Nerv mittels schwacher elektrischer Signale direkt an seinem Eintrittsort zum Rückenmark stimuliert, kommt es zu einer Blockade der Schmerzweiterleitung. „Wir beheben also nicht den Kurzschluss, sondern stellen sozusagen die Ampel auf Rot“, sagt Kinfe.
Dazu implantiert Kinfe in einem ersten schonenden Eingriff mittels Katheter eine Elektrode – etwa so dünn wie eine Bleistiftmine – direkt am Spinalganglion in der Nähe des Rückenmarks. Eine kurze Testphase mit einem außen auf der Haut anliegenden Neurostimulator zeigt, ob der Patient tatsächlich einen Benefit hat. „Ich wollte es selber nicht glauben. Ich hatte plötzlich kaum noch Schmerzen“, sagt Maria P.. Ist der Patient mit dem Ergebnis zufrieden, wird in einem zweiten Eingriff der Schrittmacher unter die Haut implantiert.
Mit einem leicht zu bedienenden Gerät kann Maria P. kabellos mittels einer App, die eine Verbindung zum Neurostimulator herstellt, die Intensität der elektrischen Impulse jederzeit selbst nach unten oder oben regulieren: „Wenn es gerade leicht anfängt zu kribbeln, ist es genug.“ Mehr spürt die 75-Jährige von der Neurostimulation nicht.
Mehr Effektivität durch punktgenaue Stimulation
Da diese Weiterentwicklung der Rückenmarkstimulation („Spinal Cord Stimulation“, SCS) gezielt nur den für das Knie spezifischen Nerv stimuliert, ist ihre Wirksamkeit auch viel höher. Neu ist zudem, dass die Spinalganglien-Stimulation (DRG-SCS) bei chronischen Schmerzen nach Kniegelenkersatz eingesetzt wird. „Für den Erfolg spielt aber auch die genaue Indikationsstellung eine entscheidende Rolle. Wichtig ist es, vorher auszuschließen, dass es ein Problem an der Prothese selbst gibt, und wir dem Betroffenen aus orthopädischer Sicht helfen können“, sagt Randau. Erst dann schlägt er Patienten die neue Option vor. Maria P. ist zufrieden: „Es hat sich gelohnt.“
Heute stellen Kinfe und Randau auf einem Patienten-Informationstag das neue Verfahren ab 17 Uhr im Hörsaal im Lehrgebäude, Sigmund-Freud-Str. 25, vor, und erklären, für welche Betroffenen diese Alternative geeignet ist.
Kontakt für die Medien:
PD Dr. Thomas Kinfe
Klinik für Neurochirurgie, Leiter Funktionelle Neurochirurgie und Neuromodulation
Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-13812
E-Mail: Thomas.Kinfe@ukbonn.de
Dr. Thomas Randau, Leiter Klinische Studien
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie
Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-14460
E-Mail: Thomas.Randau@ukbonn.de