Wie von Geisterhand an einem Roboterarm bewegt, kreist das bogenförmige Angiographie-Gerät um den Patienten und macht aus jeder gewünschten Raumrichtung Röntgenaufnahmen von dessen Gefäßen. Anders als bei den herkömmlichen mobilen Geräten, die von Hand in eine bestimmte Position gebracht werden, kann dabei das Spezialteam den Roboterarm und den in Höhe und Winkeln verstellbaren OP-Tisch kontinuierlich per Computer exakt ausrichten. Es ist das Herzstück im neuen Hybrid-OP, der ein hochtechnisiertes Katheterlabor mit einem vollständig ausgestatteten chirurgischen OP-Saal kombiniert. Hier werden alle Herzklappeninterventionen mittels Katheter sowie herz- und gefäßchirurgische Eingriffe grundsätzlich interdisziplinär durchgeführt.
Das Angiographie-Gerät im hochmodernen 70 Quadratmeter großen Hybrid-OP Saal liefert dreidimensionale Bilder in hoher Qualität. Sie können sofort auf den großen Monitoren abgerufen werden – ideal für eine sichere und exakte Führung des Katheters während des Eingriffs. „Ein solcher Hybrid-OP steht nicht in jedem Krankenhaus zur Verfügung. Neben einem Spezialisten-Team ist er aber eine Voraussetzung, auch seltenere, anatomisch sehr komplexe Bauchaortenaneurysmen mittels einer minimal invasiven Gefäßprothese versorgen zu können“, sagt die gefäßchirurgische Teamleiterin Dr. Frauke Verrel. Gemeinsam mit dem Sektionsleiter Angiologie Dr. Nadjib Schahab und dem Leitenden Radiologen Prof. Dr. Daniel Thomas führt sie das von drei Fachgesellschaften zertifizierte Gefäßzentrum am Universitätsklinikum Bonn - eine fächerübergreifende Kooperation von Angiologen, Radiologen und Gefäßchirurgen.
Tickende Bombe im Bauch verursacht keine Symptome
Ein Bauchaortenaneurysma, eine Aussackung der Bauchschlagader, haben fünf von 100 Männern über 65 Jahre – Frauen sind etwa zehnmal seltener betroffen. Viele wissen aber nicht um die Gefahr, innerlich zu verbluten, sollte die Gefäßwand der Bauchschlagader im Bereich dieser Aussackung einreißen. Dabei steigt das Risiko, dass ein Bauchaortenaneurysma plötzlich platzt, bei einem Durchmesser von etwa fünf Zentimetern deutlich an. „Es besteht dann absolute Lebensgefahr. Nur jeder Zweite, der mit einer inneren Blutung lebend ein Krankenhaus erreicht, überlebt, selbst wenn er sofort operiert wird“, sagt Gefäßchirurgin Verrel. Daher empfiehlt sie bei einem rechtzeitig erkannten Bauchaortenaneurysma, einem Riss zuvorzukommen. „Aufgrund intensiver Forschung und Verbesserung der Technologie besteht heute die Möglichkeit, etwa 70 bis 80 Prozent der Betroffenen mit einem schonenden Verfahren ohne großen Bauchschnitt zu behandeln.“
Bei dem EVAR-Verfahren – eine Abkürzung für „endovascular aneurysm repair“ – wird eine Kombination aus Metallstütze und Gefäßprothese, ein so genannter Stentgraft, unter Röntgenkontrolle über die Leistenschlagader in die Bauchschlagader bis zum Aneurysmasack geschoben. Dort öffnet sich der Stentgraft und dichtet diesen ab. Voraussetzung dafür sind sogenannte „Landungszonen“, das heißt ausreichend lange und gesunde Gefäßwand-Abschnitte unterhalb und oberhalb der Aussackung, in denen sich die Gefäßprothese fest verankern kann. Bei 95 Prozent der Patienten haben die Landungszonen genügend Abstand zu den Nierenschlagadern und den Beckengefäßen.
Präzisionsgeschick ist gefragt, wenn die Anatomie nicht stimmt
Dies ist aber beispielsweise nicht der Fall, wenn der Aneursysmasack direkt an den Nierenarterien beginnt. Dann muss der Stentgraft oberhalb zu den Abgängen der Niere oder sogar anderen Organabgängen verankert werden. „Doch es besteht die Gefahr, die von der Bauchaorta abgehenden Schlagadern zu blockieren und somit einer Unterversorgung der betroffenen Organe mit Blut“, sagt der Sektionsleiter der Angiologe Schahab. Die Lösung sind für jeden betroffenen Patienten maßgefertigte Stentgrafts, die im Bereich der Abgänge Löcher oder Ärmchen haben und so eine Durchblutung der betroffenen Organarterie sicherstellen. Damit aber kein Blut an diesen offenen Stellen in den Aneurysmasack fließen kann, werden dort zusätzliche kleine Stentgrafts als Verbindungsstücke gesetzt. „Der Hybrid-OP ist für solche kniffeligen Eingriffe ausgerichtet. Denn das High-Tech-Röntgen ermöglicht, die Gefäßprothese genauso zu platzieren, dass das Loch oder Ärmchen genau richtig am Abgang sitzt“, sagt der leitende Oberarzt Prof. Thomas aus der Radiologie. Neben einer kürzeren Eingriffsdauer ist ein weiterer Vorteil, dass das Angiographie-Gerät mit einer geringeren Strahlendosis auskommen kann. Das schont Patienten und auch das interdisziplinär arbeitende Gefäßteam im Hybrid-OP.
Auch im Notfall eine sichere Lösung
In einem Notfall stehen aber keine maßgefertigten Gefäßprothesen zur Verfügung. Abhilfe schafft die so genannte „Chimney-Technik“, die ebenfalls eine Behandlung mit dem EVAR-Verfahren über die Nierenarterien hinaus ermöglicht. Dabei werden mit Hilfe von kleinen Gefäßprothesen die Abgänge der Nierenarterien nach oben verlagert. Darüber schieben die Gefäßspezialisten ein Standard-Stentgraft. Wie bei einem Kamin ragen die Enden der kleinen Gefäßprothesen über diesen dann hinaus. So ist der Blutfluss zu den betroffenen Organen nicht blockiert. „Das ist eine gute Alternative, wenn es schnell gehen muss und dies im Hybrid-OP mit einer hohen Sicherheit“, sagt Angiologe Schahab.
Kontakt für die Medien:
Dr. Frauke Verrel
Teamleiterin Gefäßchirurgie
Chirurgische Klinik am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-15916 oder -15109 (Pforte)
E-Mail: frauke.verrel@ukbonn.de
Dr. Nadjib Schahab
Leiter Sektion Angiologie
Medizinische Klinik II am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-12703
E-Mail: nadjib.schahab@ukbonn.de
Prof. Dr Daniel Thomas
Leitender OA Radiologie
Radiologische Klinik am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: 0228/287-16672
Email: daniel.thomas@ukbonn.de