Wieder taucht der Unterwasserroboter auf und hat diesmal eine Koralle aus einer Tiefe von fast 2.000 Metern heraufgeholt. An Bord des US-Forschungsschiffes Ronald H. Brown wird der Fund sofort in einen Behälter mit Seewasser gelegt, das annähernd die gleiche Temperatur wie die Tiefsee hat. Der Biologe Dr. Tim Shank beobachtet zufällig, wie aus einer an der Koralle befestigten, knapp zwei Zentimeter großen Eikapsel ein kleiner Tiefsee-Oktopus schlüpft und sofort synchron seine Flossen bewegt. Geistesgegenwärtig filmt er das seltene Ereignis und konserviert später das kleine Meerestier für weitere Untersuchungen. Das war im Jahr 2005. Damals nahm Shank von der Woods Hole Oceanographic Institution an einer Expedition teil, die eine der Ostküste der USA vorgelagerte Kette von Unterwasserbergen erkundete – die „New England and Corner Rise Seamounts“.
„Dumbo“ ist eine Entlehnung aus dem Disney-Trickfilm
„Es war das erste Mal, dass ein solcher Tiefsee-Oktopus direkt beim Schlüpfen beobachtet wurde“, sagt Dr. Liz Shea vom Delaware Museum of Natural History. Das nur etwa drei Zentimeter große Tier verfügt über Flossen am Mantelende, die wie Elefantenohren geformt sind. In Anlehnung an „Dumbo“, den fliegenden Elefanten aus den Walt-Disney-Zeichentrickfilmen, werden solche Tiefsee-Kraken auch „Dumbo-Oktopusse“ genannt.
Die erwachsenen weiblichen Tiere legen ihre Eier bevorzugt in das Geäst von Tiefseekorallen und verschwinden anschließend. „Wie das Video von Dr. Shank zeigt, bewegt sich der Dumbo-Oktopus sofort wie ein etwa zehn Mal größeres erwachsenes Tier“, sagt Dr. Alexander Ziegler vom Institut für Evolutionsbiologie und Ökologie der Universität Bonn, der zusammen mit Dr. Shea den Schlüpfling wissenschaftlich untersuchte.
„Durchleuchtung“ im Magnetresonanztomografen
Um mehr über das seltene Tier zu erfahren, „durchleuchtete“ es das Team von Prof. Cornelius Faber am Universitätsklinikum Münster mit einem hochauflösenden Magnetresonanztomografen. Aus den MRT-Aufnahmen erstellte Dr. Ziegler dann ein dreidimensionales Modell der inneren Organe des kleinen Tiefseekraken. „Auffällig war ein großer Dottersack, der direkt nach dem Schlüpfen als Nährstoffquelle dient, bis das Jungtier selbstständig Beute in der Tiefsee fangen kann“, erklärt Ziegler.
Die Wissenschaftler waren überrascht, wie sehr die anderen inneren Organe und das Nervensystem des kleinen Kraken strukturell dem von erwachsenen Tieren glichen. „Während die aus dem Flachwasser bekannten Oktopusse in aller Regel Brutpflege betreiben, scheint so ein Verhalten bei dem Tiefsee-Dumbo-Oktopus keinen evolutiven Vorteil zu bringen“, führt Ziegler aus.
Der Fund gehört zur Gattung Grimpoteuthis
Anhand der Größenverhältnisse der Organe konnte der Fund der Dumbo-Gattung Grimpoteuthis zugeordnet werden, ein absolutes Novum bei Dumbo-Jungtieren überhaupt. „Die Bestimmung der Art war aber leider nicht möglich, weil die Tiefseefauna im Nord-Atlantik noch nicht vollständig beschrieben ist“, sagt Dr. Shea. Die Tiefsee zeigt also noch viele weiße Flecken auf der globalen Biodiversitätslandkarte. Die Wissenschaftler weisen deshalb in ihrer Publikation nochmal auf die Bedeutung des Schutzes dieses sensiblen Lebensraumes hin. Grundschleppnetzfischerei und das Schürfen nach Rohstoffen gefährdeten den Lebensraum der Tiefseekorallen und alle mit diesen Tieren assoziierten, zum Teil noch unerforschten Organismen.
Publikation: Elizabeth K. Shea, Alexander Ziegler, Cornelius Faber, Timothy M. Shank: Dumbo octopod hatchling provides insight into early cirrate life cycle, Current Biology, DOI: 10.1016/j.cub.2018.01.032
Kontakt für die Medien:
Dr. Alexander Ziegler
Institut für Evolutionsbiologie und Ökologie
Universität Bonn
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