Als “queer” – mit dem englischen Begriff etwa für seltsam, komisch, andersartig – werden Menschen bezeichnet, die nicht der als Norm gehandelten zweigeschlechtlichen Lebens- und Begehrensweise entsprechen. Dazu zählen etwa homosexuelle, bisexuelle, transsexuelle oder intersexuelle Menschen, etliche von ihnen zählen sich jedoch selbst zu keiner dieser vorgegebenen Kategorien. Neben der sexuellen Orientierung spielt auch die Geschlechtsidentität eine wichtige Rolle. Transsexuelle Menschen zum Beispiel mit männlichen Geschlechtsmerkmalen empfinden sich als Frau oder umgekehrt.
Wie viele queere Menschen es in Deutschland gibt, darüber schwanken die Schätzungen, die sich meist im einstelligen Prozentbereich bewegen. „Die Dunkelziffer ist sehr hoch, da viele Betroffene immer noch erhebliche Nachteile befürchten müssen – vom Mobbing bis hin zu gewaltsamen Übergriffen“, sagt Dr. Bärbel Schomers, die bei Prof. Dr. Doris Mathilde Lucke am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn über das Thema promoviert hat. Inwieweit ist es für queere Menschen möglich, diskriminierungsfrei in westlichen Gesellschaften zu leben? Wie weit ist die Emanzipation queerer Identitäten und Lebensstile fortgeschritten? Das sind die zentralen Fragen der Forschungsarbeit von Bärbel Schomers, die sich bereits als Studentin im Frauen-Lesben-Referat des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) und später in ihrer Magisterarbeit mit marginalisierten Gruppen befasste.
Platon: Neid und Zorn der Götter
In einer historischen Analyse betrachtet Schomers den Diskurs der vergangenen 2.500 Jahre. Bereits der antike griechische Philosoph Platon entwickelte im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung eine Erklärung für das Vorkommen gleich- und gegengeschlechtlichen Begehrens – als Folge des Neids und Zorns der Götter gegenüber dem Menschengeschlecht. „Die zeitgenössischen Beschreibungen erlauben Einblicke, welche spezifischen Diskriminierungsmethoden sowie daraus hervorgehende Emanzipationsbestrebungen jeweils vorherrschten“, sagt Dr. Schomers.
Aus diesem Fundus entwickelte die Soziologin methodische Instrumente für die Erhebung eigener sozialwissenschaftlicher Daten. Sie befragte etliche Menschen, die sich queeren Identitäten zuordnen. Der Wortlaut von sechs dieser Interviews ist als Onlineanhang der Dissertation verfügbar. Ein wichtiges Thema der Gespräche ist das Coming-out, mit dem queere Identitäten gegenüber ihren Mitmenschen Position beziehen. „Dieser Prozess wird als ritualisierter, emanzipatorischer Sprechakt begriffen – als individuelle Beitrittserklärung zu einer kollektiven Identität“, erläutert Schomers. Das Coming-out werde von vielen als Erleichterung empfunden, weil sich niemand mehr verstecken muss. Teils geht das bewusste Öffentlichmachen aber auch schief, die Unsicherheit vor dem Coming-out ist deshalb meist sehr groß.
Coming-out kann zur Routine werden
So berichtet beispielsweise „Ute“ im Interview: „… ich hab‘ also in der Situation, wo ich gesagt hab‘, gibst’e es dir jetzt zu oder gibst’e es dir nicht zu, (Pause) quasi nur noch wirklich die Alternative gesehen, entweder das Leben leben, was ich bin, oder gar nicht mehr leben (hustet)…“. Schomers führt aus, dass das Coming-out nie wirklich zu Ende sei. „Wenn neue Menschen in den Bekannten- oder Freundeskreis aufgenommen werden, wiederholt sich das Ritual meist mit zunehmender Routine“, erläutert Schomers. Als positiven Aspekt bewerteten es die Interviewpartner, dass durch die Coming-outs immer mehr queere Menschen merkten, nicht allein zu sein.
Allerdings ließen die Interviews auch die Grenzen von Toleranz und Akzeptanz erkennen. „Queere Menschen werden noch immer pathologisiert, marginalisiert und diskriminiert“, lautet das Fazit der Soziologin. Beispielsweise die Hürden für eine Geschlechtsumwandlung und die Übernahme durch die Krankenkassen seien weiterhin hoch. Es bedürfe nicht nur der rechtlichen Gleichstellung in allen Belangen, sondern auch der Aufklärungsarbeit in Bildungsinstitutionen. „Im Kindergarten und im Schulunterricht wird immer noch fast ausschließlich die heterosexuelle Norm vermittelt“, sagt Schomers. „Der 15-jährige Junge, der eigentlich als Mädchen leben will, kommt hier nicht vor.“
Die Betreuerin der Dissertation Prof. Dr. Doris Mathilde Lucke, die zugleich assoziierte Professorin im Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW ist, hebt hervor: „Die Dissertation von Bärbel Schomers bietet eine überaus lesenswerte, viele innovative Aspekte beinhaltende sowohl theoretisch als auch empirisch wohl fundierte Lektüre, die – da bin ich mir sicher – auch als Buchpublikation zu einem in unserer Gesellschaft noch immer weit verbreiteten Tabu ihren LeserInnenkreis finden wird.“
Publikation: Bärbel Schomers: Coming-out – Queere Identitäten zwischen Diskriminierung und Emanzipation, Budrich UniPress Ltd., 300 S., 38 Euro
Kontakt für die Medien:
Dr. Bärbel Schomers
Tel.: 0151/65161701
E-Mail: b.schomers@gmx.de