Im vergangenen Jahr starben 143 Kinder in Deutschland durch Gewalt. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik 2017 wurden zudem 13.539 Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch. Tatsächlich dürfte aber die Dunkelzahl der nicht angezeigten Straftaten viel höher liegen, zumal die Opfer von Misshandlung und Vernachlässigung im eigenen Zuhause nur sehr begrenzt auf sich aufmerksam machen können.
Den Blick für das Kind bekommen
Zwar ergibt sich der erste Verdacht auf Kindesmisshandlung häufig in der Arztpraxis oder im Krankenhaus. Doch Defizite, unter anderem bei der diagnostischen Abgrenzung von Warnhinweisen zu Unfallfolgen, bergen das Risiko, dass ein Verdacht nicht eindeutig und rechtzeitig geklärt wird. An diesem Punkt setzt die Kinderschutzleitlinie an, die vom Bundesministerium für Gesundheit mit mehr als einer Million Euro gefördert wird. Ziel ist es, allen beteiligten Berufsgruppen wie Ärzten, Lehrern und Sozialarbeiter eine größere Sicherheit im Umgang mit den verschiedenen Formen der Misshandlung, sexuellem Missbrauch und Vernachlässigung zu geben.
Seit 2014 ist ein Team des Zentrums für Kinderheilkunde am Universitätsklinikum Bonn auf Wunsch der Bundesregierung mit der Erarbeitung der S3-Kinderschutzleitlinie betraut, wobei „S3“ für eine Leitlinie auf höchstem wissenschaftlich-medizinischem Niveau steht. Besonders ist zudem, dass bei dieser Leitlinie nichtmedizinische Akteure – hier aus dem Kinderschutz – eingebunden sind. „Nur wenn alle Berufsgruppen, die täglich mit Kindern und Jugendlichen umgehen, strukturiert zusammenarbeiten, kann Kinderschutz nachhaltig wirksam sein“, sagt Jürgen Freiberg, Leiter des wissenschaftlichen Teams für die Erstellung der Kinderschutzleitlinie. Es sind insgesamt 71 Fachgesellschaften und Organisationen beteiligt. Außerdem sind Bundesministerien und Bundesbeauftragte eingebunden.
Bessere Lesbarkeit und Umsetzung der Handlungsempfehlungen
Jetzt ist die vorläufige Fassung der S3-Leitlinie „Kindesmisshandlung, -missbrauch und -vernachlässigung unter Einbindung der Jugendhilfe und Pädagogik im Internet abrufbar. Alle darin enthaltenden 133 Handlungsempfehlungen sind bereits beschlossen und werden nicht mehr geändert. Neben Bevollmächtigten, beteiligten Fachgesellschaften und Organisationen der Jugendhilfe und Pädagogik haben in der öffentlichen Konsultationsphase alle Interessierten die Möglichkeit, die Leitlinie bis zum 30. November zu kommentieren. Die Kommentierenden erhalten keine Rückmeldung; die begründeten Kommentare werden anonymisiert im Leitlinienreport aufgenommen. „Wir erhoffen uns eine Wissensergänzung durch den Blickwinkel unterschiedlicher Menschen, die nicht an der Entwicklung der Leitlinie beteiligt waren – vielleicht auch keinen Bezug zum Kinderschutz haben oder auch keine Fachkräfte sind“, sagt Freiberg. „Die Konsultationsphase trägt so ganz sicher zu einer höheren Akzeptanz der Kinderschutzleitlinie bei, die Anfang nächsten Jahres abgeschlossen sein wird.“
Zugang zur Leitlinie mit Kommentierungsbogen bis 30. November 2018:
unter https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/027-069KF.html
Kontakt für die Medien:
Jürgen Freiberg
Kinderschutzleitlinie
Zentrum für Kinderheilkunde
Universitätsklinikum
Telefon +49 (0) 228/ 287-33030
E-Mail: Kinderschutzleitlinie@uni-bonn.de