Die Mineralogen und Geochemiker der Universität Bonn nutzten für ihre Studie die so genannte konfokale Raman-Spektroskopie. Bei ihr wird ein Laserstrahl durch ein Mikroskop auf eine Probe fokussiert. Das Licht interagiert mit den Molekülen in dem zu untersuchenden Material und versetzt diese dabei in Schwingungen. Abhängig von der Struktur und den chemischen Eigenschaften der Probe verändern dabei einzelne zurückgestreute Photonen ihre Farbe. Dieses Phänomen wird auch als Raman-Effekt bezeichnet. Das ursprünglich einfarbige Licht enthält daher nun auch andere Farbanteile. Das Farbspektrum erlaubt detaillierte Rückschlüsse auf die Struktur und Zusammensetzung der vom Laserstrahl getroffenen Materie.
Was die Methode zusätzlich interessant macht: Der Laser lässt sich auf eine bestimmte Stelle im Raum bündeln, und das auf wenige tausendstel Millimeter genau. Auf diese Weise kann man die Probe Punkt für Punkt untersuchen. Und das nicht nur an ihrer Oberfläche – falls sie transparent ist, lässt sich der Strahl auch auf Bereiche im Innern fokussieren. „Und genau das haben wir gemacht“, erklärt Prof. Dr. Thorsten Geisler-Wierwille vom Institut für Geowissenschaften und Meteorologie der Universität Bonn.
Opal-Schicht auf der Glasoberfläche
Als Probe diente den Forschern ein kleines Stück Silikatglas, das sie in einem speziell entwickeltem Heizgefäß mit einer wässrigen Lösung reagieren ließen. Das Gefäß ließ sich unter dem Raman-Mikroskop motorisch in Schritten von einem tausendstel Millimeter bewegen – nach rechts, links, vorne und hinten, aber auch nach oben und unten. „Wir haben das Glas computergesteuert abgetastet und dabei Punkt für Punkt ein Raman-Spektrum aufgenommen, während es mit der Lösung reagierte“, sagt Lars Dohmen, der bei Geisler-Wierwille promoviert. „So konnten wir die Reaktion nahezu in Echtzeit untersuchen. Derzeit klappt das bei Temperaturen von bis zu 150 Grad, wie sie etwa auch bei der Lagerung von Atommüll herrschen können.“
Die Ergebnisse deuten drauf hin, dass sich Silikatglas beim Kontakt mit wässrigen Lösungen schon in kurzer Zeit auflöst – fast wie ein Stück Würfelzucker im Kaffee. Während sich die Zuckermoleküle aber rasch durch Diffusion gleichmäßig im Wasser verteilen, ist das bei der Glaskorrosion nicht der Fall: Ein Teil der gelösten Kieselerde, die dabei entsteht, scheint in der Nähe der Glasoberfläche zu bleiben. Irgendwann wird ihre Konzentration so hoch, dass sie sich verfestigt.
„Wir sprechen dann auch von einer Kieselerde-Fällung“, erläutert Prof. Geisler-Wierwille. „Dabei vernetzen sich Kieselerde-Moleküle in der Lösung zu nur wenige Millionstel Millimeter großen Aggregaten, die sich auf dem Glas ablagern und in einen Opal-artigen Zustand übergehen.“ Gegen das Wasser bietet diese Opal-Schicht allerdings keinen perfekten Schutz, konnten die Forscher zeigen. Stattdessen frisst sich die Auflösungs-Fällungsfront weiter in das Glas hinein. Dieses wird so schrittweise vom Opal verdrängt, allerdings immer langsamer. „Wir haben erstmals experimentell nachgewiesen, dass sich zwischen Opalschicht und dem darunterliegenden Glas eine Grenzflächenlösung mit gelöster Kieselerde bildet“, erklärt Geisler-Wierwille. „Dabei verhindert die Opalschicht mit steigender Dicke immer stärker, dass die Kieselerde-Lösung abtransportiert werden kann. Wir vermuten, dass diese schließlich zu einer zähflüssigen Masse geliert, wodurch die Reaktion deutlich langsamer wird.“
In der Studie war das bereits nach 25 tausendstel Millimetern der Fall. „Auch wenn die Reaktion sehr langsam wurde, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass durch diesen Korrosionsprozess über lange Zeiträume radioaktive Elemente frei werden“, betont Geisler-Wierwille. Jedoch werden zur Verglasung von Atommüll Gläser verwandt, die weitaus stabiler gegenüber Wasser sind als die in der Studie untersuchte Sorte. „Wir wollen unsere Experimente demnächst auf diese Sorten ausdehnen“, betont der Wissenschaftler. Geplant sind auch Studien mit Silikatglas, in dem tatsächlich strahlende Elemente eingeschlossen sind. Dadurch wollen die Forscher zusammen mit Partnern den Einfluss von Strahlenschäden im Glas auf die Korrosionsbeständigkeit untersuchen. „Die aktuelle Arbeit sollte hauptsächlich den Beweis erbringen, dass unsere neue Methode weit reichende Erkenntnisse über diese Prozesse liefern kann“, sagt Geisler-Wierwille.
Wie groß das Interesse der Industrie an diesen Arbeiten ist, zeigt auch die Finanzierung des Pilotprojekts: Die Mittel für die Studie stammen unter anderem von einem renommierten Glashersteller, der Schott AG.
Publikation: Thorsten Geisler, Lars Dohmen, Christoph Lenting und Moritz B. K. Fritzsche: Real-time in situ observations of reaction and transport phenomena during silicate glass corrosion by fluid-cell Raman spectroscopy. Nature Materials, https://doi.org/10.1038/s41563-019-0293-8
Kontakt:
Prof. Dr. Thorsten Geisler-Wierwille
Institut für Geowissenschaften und Meteorologie (ehemals Steinmann-Institut)
Universität Bonn
Tel. +49 (0)228/73 2733
E-Mail: tgeisler@uni-bonn.de