Nach Schätzungen sind der Bonner Universitäts- und Landesbibliothek im Zweiten Weltkrieg bis zu 180.000 Bände verloren gegangen. Viele Bücher wurden bei dem verheerenden Bombenangriff, der das Universitätshauptgebäude am 18. Oktober 1944 in Schutt und Asche legte, unwiederbringlich zerstört. Aber auch aus den Depots, in die viele Bücher zum Schutz vor Kriegseinwirkungen vorsorglich ausgelagert worden waren, verschwand bei Kriegsende und in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine unbekannte Zahl weiterer Bände. Ob sie vernichtet oder gestohlen wurden, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren.
Manchmal gelangen Bücher aus dieser Zeit nach Jahrzehnten und auf teils verschlungenen Pfaden zurück nach Bonn. Der unter anderem für Handschriften zuständige ULB-Dezernent Dr. Michael Herkenhoff erinnert sich: „Wir haben im Jahr 2011 ein Buch und 2018 drei Bücher zurückerhalten, die amerikanische Soldaten bei Kriegsende mitgenommen hatten. Die Rückgabe erfolgte im ersten Fall durch den Soldaten selbst, im zweiten Fall durch die Erben.“ Die jetzt zurückgegebenen Bücher befanden sich in belgischem Privatbesitz. „Es handelt sich um immense kulturelle und materielle Werte“, sagt Dr. Herkenhoff, „unter anderem mittelalterliche und neuzeitliche Handschriften, mittelalterliche Urkunden, historische Karten, Frühdrucke des 15. Jahrhunderts, seltene Drucke des 16. Jahrhunderts sowie zahlreiche kolorierte Vogelbücher.“
Sotheby’s verständigte die Universitätsbibliothek in Bonn
Dass die Bände der Bonner Universitätsbibliothek gehören, fiel auf, als die belgische Besitzerin, die die Bücher geerbt hatte, wertvolle Stücke dem Londoner Auktionshaus Sotheby’s anbot. ULB-Direktor Dr. Ulrich Meyer-Doerpinghaus sagt: „Sotheby’s verständigte uns nach eingehender Prüfung der Herkunft der zu versteigernden Werke. Die Rückgabe konnte dann mit der belgischen Besitzerin schnell und einvernehmlich geklärt werden.“
Wie genau die Handschriften und alten Drucke nach Belgien gelangten, ist nicht bekannt. Dr. Herkenhoff sagt: „Viele wertvolle Bände lagerten zwischen 1946 und 1950 in einem Bunker in Bonn. Sie könnten während der Zeit der belgischen Besatzung in Bonn entwendet worden sein.“
Erleichtert wurde die schnelle Rückführung der über 600 Bände durch die Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. „Nach mehr als 70 Jahren ist dieser Schatz nun wieder dort, wo er hingehört. Dank der hervorragenden Arbeit der zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnte die Rückgabe dieses historischen Bestandes an die Universitäts- und Landesbibliothek Bonn in großem Einvernehmen und ohne Konflikte vonstattengehen“, sagt Dr. Hildegard Kaluza vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. „Ich freue mich sehr, dass die Bücher der Wissenschaft und der interessierten Öffentlichkeit nun wieder zur Verfügung stehen.“ Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, betont die hohe kulturelle Bedeutung der Bände. „Viele der alten Drucke finden sich in keiner anderen deutschen Bibliothek. Sie sind ein wichtiges Zeugnis für die Erfindung des Buchdrucks“, sagt er. „Jetzt kommt das Konvolut zurück an seinen ursprünglichen Standort und stützt damit unter anderem den Sammlungsschwerpunkt der ULB – die Romanische Sprach- und Literaturwissenschaft.“
Der Rektor der Universität Bonn Prof. Dr. Dr. h. c. Michael Hoch dankte allen Beteiligten für die vorbildliche Zusammenarbeit und ergänzt: „Ich freue mich besonders für unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, allen voran für unsere Studierenden. Ihnen ist es nun wieder möglich, mit diesen einmaligen Zeugnissen aus dem Altbestand unserer Universitäts- und Landesbibliothek wissenschaftlich zu arbeiten.“
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Dr. Michael Herkenhoff
Universitäts- und Landesbibliothek Bonn
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