Uni Bonn: Steigen wir doch ohne Umschweife gleich ein: Was ist für Sie das Besondere am Medium Buch?
Yannic Federer: Natürlich lassen bestimmte Textsorten die Papierform mehr und mehr hinter sich, die Tageszeitung zum Beispiel, und auch meine Wochenzeitung lese ich inzwischen digital. Aber mit Literatur ist es irgendwie anders. Okay, eine Kurzgeschichte hier oder ein kurzer Essay dort, das geht schon noch, aber wenn ich länger als dreißig, vierzig Seiten am Ball bleiben soll, dann brauche ich ein gedrucktes Buch in Händen. Ein Buch ist einfach unglaublich robust, ich kann es bekritzeln, es darf runterfallen, darf auch mal nass werden, wenn die Wasserflasche im Rucksack nicht dicht gehalten hat. Und Akku oder Steckdose brauch das Ding auch nicht. Außerdem: Auf dem gedruckten Papier fährt mir nicht ständig irgendeine Statusmeldung in den Text, es vibriert nicht, weil irgendwer noch irgendwas von mir wissen will, ganz schnell und am besten gleich. Das gedruckte Buch macht es erst möglich, dass ich mich voll und ganz auf das einlassen kann, was jemand für mich zu Papier gebracht hat.
UB: Ist es denn ein Unterschied, ob man für eine digitale Publikation schreibt oder für eine gedruckte?
YF: Zu Beginn vielleicht noch nicht, ich schreibe ja auch das Buch am Bildschirm und auch ein Großteil der Lektoratsarbeit wird digital erledigt. Aber: Der Druck erhöht die Fallhöhe! Was einmal gedruckt worden ist, kann kaum mehr zurückgenommen werden, deswegen arbeiten alle, die an einem Buch beteiligt sind, Lektorat, Korrektorat, Satz, Herstellung, wie besessen auf diesen einen Moment hin, an dem man den Text nicht mehr ändern, überarbeiten, korrigieren kann. Sechs, acht, manchmal zehn Augen durchstöbern unermüdlich den Text, um ihm auch noch die letzten Ungenauigkeiten auszutreiben – bevor es zu spät ist. Bei einer digitalen Publikation ist das anders. Man kann ja im Zweifelsfall immer noch mal was ändern, das Risiko beim Upload sinkt, und damit auch der Angstschweiß beim letzten Korrekturdurchlauf, die Konzentration. Schon meine digitale Wochenzeitung, die eigentlich spätestens zwei Tage vor Auslieferung ihren Redaktionsschluss hat, drängt mir noch Tage nach dem Erscheinungstermin eine überarbeitete Fassung zum Download auf. Zur Not räumt man halt hinterher auf…
UB: Sie haben gesagt, Sie schreiben am Rechner. Wie und wo passiert das denn?
YF: Jeden Morgen über einer Tasse Kaffee. Da bin ich noch nicht so zerknittert vom Tag und man ist noch näher am Schlaf und Traum – hört sich esoterisch an, aber anders geht’s nicht für mich.
UB: Aus der Warte des Germanisten? Hat sich Ihr Studium bzw. inzwischen ja sogar Promotion auf die Liebe zum Buch ausgewirkt?
YF: Bevor ich lesen konnte, wurde mir vorgelesen. Und irgendwann habe ich dann selbst alles Mögliche verschlungen, Romane, Comics, auch viel Schund war dabei. Und heute kann ich kaum aus dem Haus, ohne ein Buch in der Tasche zu haben. Unerträglich, in einer Bahn zu sitzen ohne Lesestoff! Das Studium war dann tatsächlich zunächst eine echte Gefahr für‘s Schreiben. Man arbeitet irgendwann nur noch die Lektürelisten der Seminare und Vorlesungen ab. Die sind auch gut und wichtig, aber man sollte sich immer die private Lektüre bewahren, das Wildern. Regelmäßig im Buchladen um die Ecke stöbern, das muss sein! Außerdem tut es gerade den Germanist*innen gut, sich auch abseits des Kanons zu bewegen, die literarische Gegenwart ist sehr viel verrückter und vielgestaltiger, der Kanon ist ja etwas, was über Generationen zurecht gefiltert wurde. Die Gegenwart ist noch ungefiltert, da ist es bunt und laut und manchmal auch ganz leise und unscheinbar und es schillert in allen Farben.
UB: Ihr Debutroman Und alles wie aus Pappmaché ist Anfang des Jahres erschienen. Das Buch wird in Kritiken gelobt und Sie mit Preisen ausgezeichnet. Hat sich Ihr Verhältnis zu Büchern verändert, seitdem Sie als Autor unterwegs sind?
YF: Naja, es ist schon komisch. Man lebt gedanklich in zwei Büchern gleichzeitig. Während ich gerade am zweiten Buch schreibe, ziehe ich gleichzeitig durch die Gegend, um aus dem ersten zu lesen und darüber zu sprechen. Das ist ein Spagat, aber es ist auch schön, immer wieder über Und alles wie aus Pappmaché sprechen zu dürfen. Auf eine Weise führt das Buch ja ein Eigenleben, ich schreibe nicht mehr daran, ich werde mehr und mehr zum Leser, die Absichten, die ich beim Schreiben hatte, müssen nicht mit dem übereinstimmen, was sich mir beim Lesen aufdrängt. Es geht mir letztlich wie mit jedem Text. Je öfter man ihn liest, desto mehr Lesarten entwickeln sich, desto mehr Perspektiven. Der Text ist eben offen und man liest immer nur zur Hälfte den Text, die andere Hälfte ist man eigentlich selbst, der sich in den Buchstabenreihen spiegelt.
UB: Haben Sie ein Lieblingsbuch?
YF: Das ist schwer. Also ich versuche es einfach einmal so ganz spontan und greife aus dem Bücherregal: Die Stunde zwischen Frau und Gitarrevon Clemens J. Setz; Die Vegetarierin von Han Kang; Die Polyglotten Liebhaber von Lina Wolff. Ach und unbedingt Die Auslöschung von Thomas Bernhard!
UB: Was lesen Sie gerade? Vielleicht ist es ja eine Anregung für unsere Leser.
YF: Die Kieferninseln von Marion Poschmann. Die ist den Bonnern auch nicht ganz unbekannt, sie hatte ja vor einiger Zeit die Thomas-Kling-Poetik-Dozentur. Wirklich toll. Damit bin ich bald durch. Ansonsten hat mich in der letzten Zeit ein Buch eines Bonner Kollegensehr angesprochen: Der Tag endet mit dem Licht von Dennis Pfabe. Ein schmales Buch, aber eine Wucht. Sehr düster, obwohl es im sonnigen Mittleren Westen der USA spielt.