Häufigste Ursache für eine erhebliche Sehbehinderung im Alter ist in Industrieländern die altersabhängige Makuladegeneration, kurz AMD. Bei jedem vierten Deutschen über 50 Jahre zeigen sich Veränderungen an der Netzhaut. Die Makula, auch gelber Fleck genannt, liegt in deren Zentrum und bildet mit ihren Millionen zapfenförmigen Sehzellen die Stelle des schärfsten Sehens. Sie ermöglicht uns Objekte scharf zu sehen und Farben zu erkennen. Bei AMD wird das Gewebe im Netzhautzentrum allmählich zerstört, was zum vollständigen Verlust der Sehkraft im Zentrum des Gesichtsfeldes führen kann. Während für die feuchte Spätform der AMD mittelfristig durch Anti-VEGF-Therapie sehr gute Ergebnisse erzielt werden können, ist die langfristige Therapie nach wie vor schwierig. Für die trockene Spätform gibt es bislang keine Therapie.
Sehschärfe ist kein Parameter für Wirksamkeit von Therapien für alle AMD-Formen
„Eine besondere Herausforderung für die Etablierung einer Therapie der AMD stellen funktionelle Endpunkte dar“, betont Prof. Dr. Frank Holz, Direktor der Augenklinik des Universitätsklinikums Bonn. „Die best-korrigierte Sehschärfe, der bisher meist verwendete Studienendpunkt in der Augenheilkunde, bildet nur einen kleinen Teil der zentralen Netzhaut ab. Dieser Teil ist häufig bei der trockenen AMD zunächst nicht betroffen, sodass sich positive Therapie-Effekte nicht anhand der best-korrigierten Sehschärfe nachweisen lassen.“ Da es also erst in späteren Stadien zu einem irreversiblen Verlust der Sehschärfe kommt, wären also funktionelle Studienendpunkte wünschenswert, die bereits in einem frühen Stadium der AMD den Krankheitsfortschritt darstellen können.
Patienten mit AMD bemerken häufig bereits Jahre vor der Erstdiagnose einer AMD ein eingeschränktes Sehvermögen unter schlechten Lichtverhältnissen. Daher legte das Forscherteam an der Universitäts-Augenklinik Bonn zunächst ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung von Sehtests, die anhand einer Verschlechterung des Dunkelsehens früh einen Krankheitsfortschritt messbar machen. „Mittels spezieller Sehtests ist es nach einer halben Stunde Dunkeladaptation möglich, präzise die Funktion von Stäbchen-Photorezeptoren, die für das Nachtsehen verantwortlich sind, zu messen“, berichtet Prof. Dr. Steffen Schmitz-Valckenberg, leitender Oberarzt der Universitäts-Augenklinik Bonn. „Allerdings sind diese funktionellen Tests zeitaufwendig und für manche ältere Patienten recht mühsam. Dagegen können bildgebende Verfahren der Netzhaut wie die optische Kohärenztomographie in wenigen Minuten durchgeführt werden.“
KI-Ansatz erspart Patienten zeitaufwendige Sehtests
Dr. Maximilian Pfau und Leon von der Emde von der Universitäts-Augenklinik Bonn haben nun einen Algorithmus mit künstlicher Intelligenz (KI) entwickelt, der es erlaubt, automatisch die Sehfunktion vorherzusagen. Als Grundlage verwenden sie hierzu die Aufnahmen der optischen Kohärenztomographie. Mit diesem Routineverfahren lässt sich innerhalb kürzester Zeit der zentrale Augenhintergrund in hochaufgelösten Schichten abbilden. Der innovative KI-Ansatz erlaubt nun anhand dieser Aufnahmen die Funktion von Stäbchen- und Zapfen-Photorezeptoren zu kartieren, die jeweils verantwortlich für das Nacht- beziehungsweise Tagsehen sind. „Dieser Ansatz ermöglicht uns, den Patienten zeitaufwendige funktionelle Tests zu ersparen und dennoch die Funktion der Netzhaut genau einzuschätzen“, sagt Pfau.
Zudem fanden die Bonner Forscher heraus, dass Läsionen bei AMD sich ganz unterschiedlich auf das Nachtsehen- und Tagsehen auswirken können, „Interessanterweise beeinflusst ein Netzhautverdickung bei Makulaödem die Funktion von Stäbchen-Photorezeptoren, die verantwortlich für Nachtsehen sind, deutlich ausgeprägter als die Funktion von Zapfen-Photorezeptoren. Die Wirksamkeit neuer Therapieansätze lässt sich also aufgrund solcher Unterschiede der Stäbchen- und Zapfen-Photorezeptorfunktion beurteilen“, so Pfau. Die jetzt publizierte Arbeit stellt hierzu eine wichtige Grundlage dar.
Publikation: Leon von der Emde,* Maximilian Pfau,* Chantal Dysli, Sarah Thiele, Philipp T. Möller, Moritz Lindner, Matthias Schmid, Monika Fleckenstein, Frank G. Holz, Steffen Schmitz-Valckenberg. Artificial intelligence for morphology-based function prediction in neovascular age-related macular degeneration. Sci Rep. 2019 Jul 31;
* These authors contributed equally to this work.
Mit Künstlicher Intelligenz Sehfunktion voraussagen Mit Künstlicher Intelligenz Sehfunktion voraussagen
Forscher der Uni Bonn haben einen Algorithmus zur Vorhersage der Netzhautempfindlichkeit bei AMD entwickelt
Mithilfe künstlicher Intelligenz kann ein Forscher-Team der Universität Bonn die Funktion der Sinneszellen im menschlichen Auge anhand der optischen Kohärenztomographie, die den Aufbau insbesondere der Netzhaut sichtbar macht, präzise vorhersagen. Hierbei zeigt sich, dass Veränderungen, die bei der altersabhängigen Makuladegeneration AMD auftreten, markant unterschiedliche Effekte auf Zellen haben können, die für das Nacht- beziehungsweise Tagsehen verantwortlich sind. Je nach betroffener Zellklasse können daher die Symptome von Patienten mit AMD, der häufigsten Ursache für die Erblindung im Alter, individuell variieren – ein wichtiger Ansatz die Wirksamkeit neuer Therapieansätze zu beurteilen. Die Ergebnisse sind nun in dem Fachmagazin „Scientific Reports“ erschienen.