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Erlebbare Räume schaffen
„Unsere Studierenden haben so etwas oftmals noch nie gesehen“, berichtet Projektleiter Dr. Matthias Lang. „Wenn man Archäologie oder Ägyptologie studiert kann man oftmals nicht einfach nach Ägypten oder Italien fahren, um sich die Denkmäler und Bauten vor Ort anzuschauen. Und schon gar nicht Gräber begehen, erfahren und vergleichen.“ Ein Problem, dass Lang lösen möchte. Er wechselte kürzlich von Tübingen nach Bonn zurück.
Dort hatte er bereits Teile der Nekropole von Sakkara mithilfe von Lasertechnik, Fotografie und am PC digital erfahrbar gemacht. Prägend für das Projekt waren auch eigene Studienerfahrungen: „Ich habe in Bonn Klassische Archäologie studiert. Gerade als Anfänger konnte ich mir anhand von Plänen und Fotos nie wirklich vorstellen, wie ein Tempel oder eine Grabanlage wirklich aussieht“, so Lang.
Er ist von der digitalen Aufbereitung überzeugt. „Der Vorteil ist, dass man den Studienanfängern mit der digitalen Technik Zutritt zu sonst verschlossenen oder schwer erreichbaren Orten gewähren kann und diese erlebbar und erfahrbar macht und somit das räumliche Sehen der Studierenden schult.“ Das Projekt des Bonn Center for Digital Humanities (BCDH) will digitale kollaborative Lehre mithilfe der virtuellen Realität auf eine neue Ebene heben: Sarkophage und Gräber, Ausgrabungen, römische Ruinen und frühchristliche Kirchen können so von jedem Schreibtisch und Hörsaalplatz aus virtuell betreten werden. Es ist ein Teilcluster des ViCO-Projekts und vernetzt die Fächer Ägyptologie, Christliche Archäologie, Klassische Archäologie, Altamerikanistik / Ethnologie sowie die Kunstgeschichte.
Virtuelle Aufarbeitung erster Projekte
Gemeinsam mit Teams um Prof. Dr. Martin Bentz und Prof. Dr. Sabine Feist plant Lang aktuell die virtuelle Aufarbeitung der ersten Projekte. Darunter sind die Krypta von San Marco in Venedig und die etruskischen Nekropolen von Cerveteri nördlich von Rom. Im Herbst 2021 begleitete ein Team des BCDH die Projekte erstmals und begann vor Ort mit der digitalen Erfassung der Untersuchungsorte. Weitere Objekte sind angedacht.
Um die virtuellen Zwillinge der Räume und Objekte erfahrbar zu machen, braucht es mehrere Schritte: Laserstrahlen tasten die Räume dreidimensional und millimetergenau ab. Gleichzeitig werden hochauflösende Fotografien angefertigt, die den 3D-Modellen ihre Farbigkeit geben.
Um die so erzeugten Modelle maßstabsgerecht und hochauflösend mit einer VR-Brille zu erkunden, wird eine sogenannte Game-Engine verwendet, welche die Generierung der virtuellen Welten erlaubt. In diesem Fall ist es die Unreal Engine, die beispielsweise auch als Grundlage von bekannten Spielen wie „Fortnite“ verwendet wird.
Das Team des BCDH erfasst hierbei nicht nur die Räume selbst, sondern auch die Fundstücke aus den Ausgrabungen werden digitalisiert und stehen anschließend virtuell zur Verfügung. Denn das Projekt will noch einen weiteren Schritt gehen, erklärt Lang: „In der virtuellen Welt können wir alle Objekte frei bewegen und platzieren. So können wir beispielsweise Fundstücke, die sich seit vielen Jahrzehnten in den Museen der Welt befinden, wieder an ihren ursprünglichen Aufstellungsort zurückbringen. Zeitgleich lässt sich eine Vielzahl von Informationen in Form von Texten, Videos oder Audiodateien hinzufügen und erlauben somit eine ganz neue Art des Lernens am Objekt.“
Das Ziel seien aber keine musealen Rekonstruktionen. „Was wir nicht machen ist, wie im Museum monatelang an einer Art Ausstellungen zu sitzen, die dann irgendwann wieder abgebaut wird. Es soll darum gehen, die digitalen Welten lebendig zu halten und sie immer wieder mit neuen Informationen und Objekten anzureichern“, erklärt Lang. Hierzu ist es wichtig, dass sämtliche Daten in langfristig nutzbaren Datenformaten frei verfügbar gemacht werden, um mit Museen oder anderen Universitäten Objekte und Räume tauschen zu können.
Immersion – Abtauchen in eine virtuelle Welt
Ein wichtiges Thema dabei ist die Immersion: Wie gelingt es, die Grabungen und Ruinen so gut wie möglich zum Leben zu erwecken? Und wie kann man die persönlichen Empfindungen in die Simulation einfügen – oder muss man dies überhaupt? „Wie riechen etwa Grabstätten in Ägypten oder was höre ich auf einer Ausgrabung?“, führt Lang als Beispiel an. „Daher ist es entscheidend, dass die Wirkung der virtuellen Welt immer wieder mit dem originalen Befund in Korrelation gesetzt wird. Das bedeutet auch, dass der für die Modellierung der Welt Verantwortliche den Ort selber kennen muss, um seine ganz persönlichen, subjektiven Eindrücke in das Modell einfließen und es möglichst lebendig und realistisch erscheinen zu lassen.“
Digitale Lehre
Das Projekt hat eine starke didaktische Komponente. Untersucht wird: Welche Präsentationsarten funktionieren gut in der Simulation? Welche Elemente und Methoden können genutzt werden, um Lehrinhalte zu transportieren? „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich beispielsweise gesprochene Sprache besonders gut eignet, um Zusammenhänge innerhalb des Modells zu erklären, während Texte eher unangenehm zu lesen sind und als Fremdkörper in der virtuellen Welt wahrgenommen werden und somit die Immersion stören“, berichtet Lang.
Anfang 2022 soll es einen Prototyp geben, den Studierende dann mit Brille erkunden könnten. „Lehre und Lehrinhalt verändern sich nicht, aber die genutzten Methoden und Werkzeuge“, fasst Lang zusammen. So verfügen viele archäologischen Institute noch heute über teils umfangreiche Gipsabgüsse von antiken Skulpturen oder über Architekturmodelle, die immer noch in der Lehre intensiv genutzt werden. Die Virtuelle Realität ist dabei nur ein weiterer Schritt.