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Ein Mittwoch im Juli veränderte für den Uni-Mitarbeiter Dieter Knieps und seine Nachbarn in Ahrweiler alles: Eine Flutwelle nie gekannten Ausmaßes spülte die Normalität aus dem sonst so beschaulichen Ort. Das Wasser kam in der Nacht, es tötete zahlreiche Menschen und Tiere, flutete Häuser und riss Hab und Gut hinweg. Es zerstörte Versorgungsleitungen, Schienen und Straßen.
Dieter Knieps leitet in der Technik-Abteilung das Sachgebiet Allgemeine Haustechnik und Renovierung. Er hilft, den wachsenden Raumbedarf der Universität zu decken und bestehende Räumlichkeiten zu erhalten. Dass er mal zum Renovierer in eigener Sache werden würde, konnte er am 14. Juli noch nicht ahnen. Ungewöhnlich viel Regen war an dem Mittwoch angesagt; es goss „aus Kübeln“. Die Ahr schwoll zügig an, Hochwasser drohte.
Dieter Knieps sagt: „Sowas haben wir immer wieder mal. Abends bin ich mit meiner Frau, meiner Tochter und dem Hund zum Ufer gegangen, um mir das anzuschauen. Die Ahr führte tatsächlich viel Wasser, so dass wir dachten: Besser, wir stellen im Keller mal die Wäsche auf die Waschmaschine, damit sie nicht nass wird.“ Auf dem Heimweg kommt den dreien ein Feuerwehrwagen entgegen. Per Lautsprecher wird vor Hochwasser und dem Aufenthalt in Tiefgaragen gewarnt. Familie Knieps geht gelassen zu Bett – denn eine Tiefgarage hat sie ja nicht.
„Das Wasser kommt! Fahrt die Autos weg!“
h. Die Nachbarn rufen: „Das Wasser kommt! Fahrt die Autos weg!“ In Ahrweiler kennt man das schon – erst 2016 kam der Pegelstand besonders hoch. Dieter Knieps und seine Frau Simona beschließen darum, wie die Nachbarn die Autos in Sicherheit zu bringen. Entlang des Bordsteins fließt ein kleines braunes Rinnsal. Kurze Zeit später ist es zu einem reißenden Strom angeschwollen.
Dann fällt der Strom aus.
Knieps stellt seinen Wagen am anderen Ende der Stadt ab. Hoch genug, wie sich hinterher herausstellt. Seine Frau wird auf dem Rückweg in einer Parallelstraße vom Wasser eingeschlossen. Knieps erzählt: „Ein kurdischer Familienvater hat meine Frau aus den Fluten gerettet und im zweiten Stock in Sicherheit gebracht.“ Er selbst kommt bei einem Bekannten unter, weil der Rückweg durch die Wassermassen versperrt ist.
Mit der Tochter per Handy Kontakt gehalten
Mit seiner 17-jährigen Tochter Ida, die mit Hund Lotta im Haus geblieben ist, halten sie per Handy Kontakt. Sie berichtet Dramatisches: Der Keller des kleinen Hauses vor der Ahrweiler Stadtmauer ist schon vollgelaufen, nun strömen Wassermassen durchs Erdgeschoss. Das Wasser steigt weiter. „Das waren fürchterliche Stunden“, sagt Knieps. Er muss sich zwingen, die Ereignisse der Nacht zu rekonstruieren.
Um 02:30 Uhr schickt ihm seine Tochter ein Foto aus dem Treppenhaus: Kurz unter dem ersten Stock ist an der Wand ein breiter brauner Streifen zu sehen. Der Wasserstand fällt wieder! In den frühen Morgenstunden versucht Knieps, zu seiner Tochter zu kommen. Zweimal muss er sich wieder zurückziehen und einen anderen Weg suchen, weil das Wasser einfach zu tief ist. Auf Umwegen erreicht er schließlich das Haus – das Wasser steht ihm da bis zum Bauchnabel. Und endlich kann er seine Tochter in die Arme schließen. Freudentränen fließen, kein Blick beachtet die Zerstörung im Haus oder den Trümmerberg im Garten.
Ein Krisenstab wird an der Universität eingerichtet
In den nächsten Tagen ist es in Bonn schwer, genaue Informationen über die Lage zu bekommen: In einem breiten Band von der Eifel bis an die Erft sind Leitungen unterbrochen und Mobilfunkmasten von der Stromversorgung abgeschnitten. In den Medien laufen immer mehr Bilder von zerstörten Ortschaften in Dauerschleife. An der Universität gibt die Liegenschaftsverwaltung Entwarnung: Universitätsgebäude wurden beim Unwetter nicht beschädigt.
Aber die Hochschulleitung sorgt sich um die Universitätsangehörigen, die privat von der Flut geschädigt worden sind. Immer mehr Informationen über Betroffene kommen im Rektoratsgebäude in der Argelanderstraße an. Rektor Prof. Michael Hoch und Kanzler Holger Gottschalk beschließen, einen Krisenstab einzuberufen, um Hilfsmaßnahmen vorzubereiten.
Hilfspakete und Hochdruckreiniger
Zunächst werden alle von der Flut betroffenen Universitätsangehörigen per Rundmail aufgerufen, sich beim Rektorat zu melden. Die Leitung will sich einen Überblick über den Hilfsbedarf verschaffen. Parallel wird damit begonnen, ein beispielloses Hilfspaket zu schnüren: Betroffene und die, die ihnen helfen, sollen Sonderurlaub erhalten – auch über die gesetzlich festgeschriebenen fünf Tage hinaus. Darlehen werden in Form einer Lohnvorauszahlung angeboten.
Darüber hinaus mobilisiert das Rektorat alle Hilfsmöglichkeiten, die in seiner Macht stehen: So können Gerätschaften wie Bautrockner und Hochdruckreiniger ausgeliehen werden, um Flutschäden zu beseitigen. Eine Online-Hilfsbörse wird eingerichtet, in der Bedürftige und Helfende sich finden können. Eine Notbetreuung für Kinder wird ebenso organisiert wie Angebote von psychologischer Hilfe. Auch Wohnungen der Universität werden als vorübergehende Notunterkünfte bereitgestellt.
60.000 Euro per Spendenaufruf
Auf Initiative von Professor Hoch startet die Universität außerdem einen Spendenaufruf. Unter dem Motto „WIR helfen“ können Uni-Beschäftigte Spenden direkt vom Lohn abziehen lassen. Viele folgen dem Ruf des Rektors: Fast 60.000 Euro kommen in wenigen Tagen zusammen, die möglichst schnell und fair als Soforthilfe an die Betroffenen verteilt werden sollen.
Das Rektorat hat dazu Richtlinien verabschiedet. Rektor Hoch sagt: „Ich bin sehr glücklich über die Hilfsbereitschaft und den Zusammenhalt, der dadurch zum Ausdruck kommt! Wir danken allen Spenderinnen und Spendern sehr herzlich. Ihre Großzügigkeit und der hohe persönliche Einsatz der vielen Helfenden sind beeindruckend.“
Dem Aufruf, sich zu melden, folgen insgesamt 180 von der Flut geschädigte Universitätsangehörige – 79 Studierende und 101 Beschäftigte. In Tabellen erfassen die Zentrale Studienberatung und das Personaldezernat das Unfassbare. Jede Zeile steht für ein Schicksal. „Kellerwohnung zerstört“ heißt es da, oder „Haus unbewohnbar“. Jemand hat einen nahen Angehörigen verloren. Viele Studierende berichten davon, Prüfungen nicht ablegen zu können, benötigen finanzielle Unterstützung oder wollen das Angebot psychosozialer Hilfe annehmen. Ein Team aus Verwaltungskräften geht jeder Meldung nach, erfasst Bedarfe, organisiert Kontakte für weiterführende Hilfe.
Auch Dieter Knieps folgt dem Aufruf des Rektorats, sich zu melden. „Lieber Herr Gottschalk“, schreibt er dem Kanzler wenige Tage nach dem Unglück. „Ich weiß leider nicht wie es weiter geht. Hier bei mir in Ahrweiler ist alles zerstört.“ Er braucht zunächst einmal Zeit für die Beseitigung der schlimmsten Flutschäden. Die Verwaltung informiert ihn schließlich, dass er (wie alle schwer von der Flut betroffenen Beschäftigten) zwanzig Tage Sonderurlaub erhält – natürlich bei Fortzahlung des Gehalts.
Helfer sind unterwegs
Auch allein bleibt Knieps nicht: Immer mehr helfende Hände finden ihren Weg zu seinem halb zerstörten Haus. „Erst waren es zwei Helfer, dann vier, am Ende fast 40 freiwillige Helfer, die angepackt haben“, erzählt Knieps. Unter ihnen waren auch Kollegen aus der Universität und Schulfreunde der Tochter. Mit einer Eimerkette befördern die Helfenden den zähen Schlamm aus dem Keller nach draußen. Dann wird der zerstörte Hausrat zur Straße getragen.
Und plötzlich erscheinen weitere bekannte Gesichter im Türrahmen: Mitarbeiter der Universitätsverwaltung haben sich mit Frischwasser und Reinigungsgeräten auf den Weg gemacht, um zu helfen. Einer von ihnen ist Thomas Bongart, der in Abteilung 4.1 die Umzüge managt. „Für mich war sofort klar, dass ich da helfen muss. Mit dem Segen unserer Vorgesetzten haben wir uns dann auf den Weg gemacht“, erzählt er. Erste Station war der schlammbedeckte Schulhof eines Gymnasiums in Sinzig. „Den Hof haben wir mit einer Kehrmaschine und Hochdruckreinigern wieder benutzbar gemacht.“
Einen Tag später sind Bongart und seine Kollegen in Ahrweiler bei Dieter Knieps. Mit im Gepäck: 3.000 Liter Brauchwasser. Bongart erzählt: „Wir haben uns einfach die Ahr raufgearbeitet, von Kollegen zu Kollegen.“ Zeitgleich sind auch andere freigestellte Uni-Teams in den Flutgebieten unterwegs, um anderen Mitarbeitenden zu helfen.
Es geht voran
Wochen sind seit diesen dramatischen Tagen vergangen. Dieter Knieps arbeitet wieder – tageweise in Bonn und im „Homeoffice“ in Ahrweiler. Die sichtbarsten Folgen der Flut werden nach und nach beseitigt. Der Trümmerberg ist aus dem Garten verschwunden, die Straße wieder befahrbar. Und doch sieht Knieps noch viel Zerstörung, wenn er mit Pudeldame Lotta ein Gassi-Ründchen dreht. Dann marschieren die beiden durch beschädigte Häuser zum nahen Ufer, wo die Folgen der Flut noch unübersehbar sind.
Das Technische Hilfswerk hat eine Behelfsbrücke für Fußgänger über den Fluss gebaut – der tägliche Schulweg der Tochter. Die stählernen Reste der bisherigen Brücke liegen noch zerknickt wie Strohhalme am gegenüberliegenden Ufer. Am Ahrtor werden immer noch Schuttberge abgefahren, während das THW nebenan eine provisorische Autobrücke montiert. Alle paar Minuten trifft Knieps Bekannte. Man grüßt und wechselt ein paar Worte. „Die Nachbarschaft ist seit dem Hochwasser noch mehr zusammengerückt“, sagt Knieps. „Wir achten aufeinander und helfen uns, wo wir können.“ Und überhaupt: „Die Hilfsbereitschaft und die Anteilnahme gerade auch aus der Universität sind überwältigend!“
Auch im Haus der Knieps‘ ist ein Stück neue Normalität eingekehrt. Die Familie hat sich im unzerstörten ersten Stock wohnlich eingerichtet. Es gibt wieder Strom und Leitungswasser („Wieder mal warm duschen – herrlich!“). Das Erdgeschoss sieht zwar noch sehr nach Rohbau aus, hat aber schon einen behelfsmäßigen Boden um Lagerfläche zu schaffen. Und sogar eine Heizung gibt es, die provisorisch mit Gasflaschen betrieben werden kann.
Auf dem Balkon treffen sich der Vater, seine Frau und seine Tochter jeden Abend zum gemeinsamen Essen, berichtet Knieps. „Dann hören wir Musik – mal welche von uns, mal von meiner Tochter.“ Und sie vergessen für einen Augenblick die Herausforderungen, die das Unglück rund herum hinterlassen hat.