Rudolph Clausius ist einer der großen Bonner Wissenschaftler. Wann haben Sie bemerkt, mit dem müssen wir uns auseinandersetzen?
Vöhringer: Ich bin 2004 an die Universität Bonn gekommen. Damals hatten die Studierenden im Vorstellungsvortrag die Frage gestellt, wie ich ihnen die Entropie beibringen wolle. Da ist mir das erste Mal aufgefallen, dass das auf Clausius zurückgeht, der ja in Bonn gelehrt und geforscht hat.
Meschede: Peter Vöhringer ist auch der Schuldige für das Festjahr. Er hat mich darauf gestoßen, dass der 200. Geburtstag ansteht und dass wir unbedingt was machen müssen. Wir haben uns dann mit vollem Elan reingestürzt.
Eine seiner bekanntesten Erfindungen ist die Entropie. Wie kann man einem Laien die Tragweite erklären?
Vöhringer: Aus der Sicht des Chemikers ist die Entropie die maßgebliche Größe, die einem sagt, ob ein Prozess überhaupt spontan abläuft. Von der Entropie werden dann all die Größen abgeleitet, die der Chemiker normalerweise für seine Experimente benutzt, um zu sagen, in welche Richtung ein Prozess spontan abläuft, zum Beispiel die Gibbs-Energie oder die Helmholtz-Energie. Wenn eine Tasse vom Tisch fällt und zerbricht, ist das ein spontaner Vorgang. Den umgekehrten Fall wird man jedoch nicht beobachten. So etwas kann man mit der Entropie beschreiben.
Meschede: Clausius konnte einfach unglaublich gut mit Mathematik umgehen und hat gemerkt, dass es in der Theorie der Dampfmaschinen eine Größe gab, die mathematisch nicht gut definiert war, die Prozesswärme nämlich. Er hat die phänomenologischen Prozesse so scharf erfasst, dass er sie im Anschluss mathematisch fassen konnte. Er hat auch mikroskopische - heute würden wir sagen atomare - Modelle benutzt, um makroskopische Phänomene, wie zum Beispiel Diffusion, zu erklären und damit die Grundlagen der modernen statistischen Physik gelegt.
Er muss einen unglaublichen Forscherdrang gehabt haben…
Meschede: Ja, er hatte als Person sicherlich etwas extrem Sorgfältiges. Wir haben uns immer wieder gefragt, wie es passieren konnte, dass Clausius im Vergleich zu anderen Größen seiner Zeit so in Vergessenheit geraten ist. Eine Rolle spielt wahrscheinlich, dass das Konzept der Entropie für viele Menschen damals nicht leicht zu durchdringen war und auch heute noch nicht ist. Außerdem war er exzellent in der Mathematik und konnte sehr abstrakt denken - das hat sogar Helmholtz Schwierigkeiten bereitet.
Was hat sie bei Ihren Recherchen über Clausius überrascht?
Vöhringer: Sicherlich, dass er als Physiker der Chemie wesentlich näherstand, als man das heute wahrnehmen würde. Sein Kollege war Friedrich August Kekulé, mit dem er in sehr engem Austausch stand. Aber eben auch mit dem Bonner Mathematiker Rudolf Lipschitz. Mich hat echt überrascht, wie kollegial da gearbeitet wurde und wie sehr er von den Nachbardisziplinen anerkannt war.
Er scheint also im besten Sinne interdisziplinär gearbeitet zu haben?
Vöhringer: Absolut. Sogar mehr noch. Er war eben jemand, der weitergedacht hat und schon damals gesehen hat, welche gesellschaftliche Auswirkung das in Zukunft haben kann, wenn wir beispielsweise Kohle verbrennen. Das war aus meiner Sicht schon damals ein Ansatz, der heute ganz dem Geiste unserer sechs Transdisziplinären Forschungsbereiche entspricht. Insbesondere hat der Transdisziplinäre Forschungsbereich ,Matter‘ das Thema Entropie im Jubiläumsjahr wieder mehr in den Fokus gerückt, unter anderem mit der Ringvorlesung ,Die bewegende Kraft der Wärme‘.In einer Rede spricht Clausius von den begrenzten Energievorräten der Natur und der Verantwortung für kommende Generationen. Das ist heute ja aktueller denn je, oder?
Meschede: Ja, ich finde es spektakulär, dass Clausius, ohne die Details zu kennen und nur Kraft seines Geistes vor fast 140 Jahren erkannt hat, dass wir uns auf das beschränken müssen, was die Sonne liefert, um in ein irdisches Gleichgewicht zu kommen. Diese visionäre Kraft, auf Grund der Umstände zu sagen, wir müssen uns darum kümmern - das finde ich faszinierend.
Vöhringer: Er spricht auch schon von der Anwendung nachhaltiger Methoden zur Energiegewinnung und denkt da vermutlich an die Wasserkraft. Er spricht von den wunderschönen Landschaften und dass wir uns daran werden gewöhnen müssen, dass diese Landschaften dadurch in Zukunft anders aussehen werden.
Dennoch ist vielen sein Name unbekannt - warum?
Vöhringer: Die Thermodynamik, in der Clausius zu Hause war, wird heute als Gebiet betrachtet, das im Grunde genommen abgeschlossen ist. Es gibt kaum einen Bereich in der Wissenschaft, der so vollumfänglich verstanden ist. Das hat sicher dazu beigetragen. Außerdem starb er 1888 zu einer Zeit, in der sich die Physik schon langsam in Richtung Quantenmechanik bewegt hat. Sie hat sich damals so rasant entwickelt, dass man nun völlig neue experimentelle und theoretische Werkzeuge an der Hand hatte, um die Erscheinungen in der Natur zu erklären. Dafür ist er einfach zu früh geboren worden und wurde dann von den Entwicklungen der damaligen modernen Physik überholt.
Meschede: Ich finde Clausius hat dennoch einen Platz ebenbürtig neben Helmholtz und anderen Zeitgenossen verdient. Seine Wirkung ist von gleichem Umfang. Sein Thema ist jedoch sehr abstrakt und speziell aus seiner Bonner Zeit ist historisch leider bisher fast nichts aufgearbeitet worden.
Die Umbenennung des Instituts für physikalische und theoretische Chemie in „Clausius-Institut“ soll das in Zukunft sicherlich ändern?
Vöhringer: Wenn man so ein Institut nach Clausius benennt, ist natürlich der inhaltliche Aspekt bedeutend. Also was wir da für eine Forschung machen. Zum anderen ist ein solcher Name auch eine große Verantwortung. Wenn man sich seine akademische Rede zu den begrenzten Naturvorräten ansieht, ist die Namensgebung eine Art Auftrag, den man auch den nachfolgenden Generationen mitgeben muss, die hier in Zukunft an das Institut berufen werden.