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Sie beide forschen zu dem Komiktheoretiker Stephan Schütze, aber was versteht man eigentlich unter Komiktheorie?
Kling: Grundsätzlich ist Komiktheorie der Versuch zu beschreiben, wann Dinge komisch sind oder wann man lacht. Also wann Dinge, Ereignisse oder Personen komische Effekte haben und damit Lachreaktionen hervorrufen. Manche bestreiten, dass es eine allgemeine Komiktheorie überhaupt geben kann. Ob sich das überhaupt in einer Theorie erfassen lässt oder ob die Dinge nicht einzeln beschrieben werden müssen. Und das Nachdenken darüber, was komisch ist, das nennt man Komiktheorie – und das führt bis in die Antike zurück.
Ihrer Ansicht nach ist Stephan Schütze eine wichtige Figur in der Komiktheorie, dabei aber relativ unbekannt. Woran liegt das?
Kling: Es gibt ja die berühmten Komiktheorien aus dem Kontext der Romantik, zum Beispiel die des deutschen Schriftstellers Jean Paul (1763 – 1825). Das ist eine Theorie, die stärker die subjektive Seite hervorhebt, also den Menschen. Jean Paul sagt, die Komik liegt nicht im Objekt, sondern in den menschlichen Handlungen und Wahrnehmungen. Wir würden aber sagen: Das ist nicht der alleinige Grund, warum wir lachen. Das ist eine Theorie, die stärker die subjektive Seite hervorhebt, also den Menschen. Jean Paul sagt, die Komik liegt nicht im Objekt, sondern in den menschlichen Handlungen und Wahrnehmungen. Wir würden aber sagen: Das ist nicht der alleinige Grund, warum wir lachen.
Stephan Schütze ist da mit seiner Formulierung einer Slapstick-Theorie viel näher dran. Er war eine wichtige Figur zu seiner Zeit, war in Weimar 30 Jahre lang in intensiver Weise publizistisch tätig, als Schriftsteller und Herausgeber von Taschenbüchern und Zeitschriften und war auch eine wichtige Persönlichkeit im Weimarer Kulturleben der Goethezeit. Aber er ist eben auch ein wichtiger Komiktheoretiker und vor allem als solchen wollen wir ihn wiederentdecken.
Gerade ist Ihre Neuedition der komiktheoretischen Texte Schützes erschienen. Worauf liegt dabei der Fokus?
Lehmann: Erstmal geht es darum, sein Werk überhaupt der Forschung zur Verfügung zu stellen. Wir wollen zeigen, dass Stephan Schütze keine randständige Figur in der Komiktheorie darstellt. Wir haben seine Texte ausführlich kommentiert und eine Einleitung geschrieben, die vor allen Dingen die Schützesche Theorie in der zeitgenössischen Komiktheorie kontextualisiert.
Worin unterscheidet sich seine Theorie genau von den Komiktheorien der Romantik?
Kling: Wenn man sich die Komiktheorien der Romantik anschaut, dann sind sie sehr stark auf das geistige Vermögen bezogen, es geht also darum, mit allem erdenklichen intellektuellen Aufwand Unsinn und Nonsens zu produzieren. In Schützes Theorie siedelt das Komische dagegen in einer komischen Körperhaltung oder ähnlichem an. Das heißt, die Perspektive geht darauf über, dass der Mensch von seinem eigenen Körper begrenzt ist.
Wir müssen uns vorstellen, dass Körperkomik, wie zum Beispiel das Ausrutschen auf einer Bananenschale, überhaupt das Hinfallen auf der Bühne, in der Geschichte der Komik schon sehr alt ist. In der Commedia dell’arte (Anm. d. Red.: Theaterform des 16. bis 18. Jahrhunderts) haben die Leute immer darüber gelacht, wenn der eine den anderen geschlagen hat. Und jetzt kommt aber Schütze und fängt an, diese Phänomene von Körperkomik, also das, was wir heute eigentlich Slapstick nennen, theoretisch ernst zu nehmen.
Das heißt, Stephan Schütze ist so etwas wie der Begründer einer Slapstick Theorie?
Lehmann: Das würden wir tatsächlich so sagen. Wenn man danach fragt, wer denn zuerst so etwas wie eine Slapstick-Komiktheorie formuliert hat, dann war das Stephan Schütze. Er hat zum ersten Mal darüber nachgedacht, wie Körpersteifheit, eine bestimmte Mechanik, oder eine Wiederholung komisch sein können. Er sagt zum Beispiel: Wenn fünf Leute hintereinander über die Bühne gehen, ist das schon lustig. Und seine Zeitgenossen schütteln den Kopf und verstehen überhaupt nicht, wovon er redet. Schütze hat eine große Sensibilität für diese körperliche und materielle Voraussetzung von Komik – und das ist in der Tat spannend und in der Forschung viel zu wenig bekannt.
Was ist das Wesentliche am Slapstick, woran erkennt man Slapstick-Comedy?
Kling: Man muss dabei eigentlich zwischen zwei Arten unterscheiden. Einerseits gibt es den Slapstick, bei dem wir es im weitesten Sinne mit Kunstwerken zu tun haben. Diese Art des Slapstick finden wir zum Beispiel im berühmten Loriot-Sketch „Das Bild hängt schief“. Hier wird ein Unfall inszeniert, der eben ganz zufällig aussieht und dabei aber auf eine extrem künstliche Weise gemacht ist. Das Komische ist da eine bestimmte Art der Inszenierung und zwar auch die Figur selbst, die menschliche Figur, die Loriot ja verkörpert. Er zeigt uns eine Beamtenfigur, eine Ordnungsfigur mit einem Ordnungs-Tick, die versucht, das letzte Ordnungsdetail herzustellen, in dem sie das Bild geraderücken will, bis wirklich alles sozusagen ins totale Chaos kippt. Die andere Seite wäre Alltagsslapstick, den wir auf der Straße beobachten. Da sind zum Beispiel das Stolpern oder das Ausrutschen irgendwie ein Klassiker.
Würden Sie sagen, dass zur Erforschung von Komiktheorie eine Portion Humor dazu gehört?
Lehmann: Absolut! Ich versuche zum Beispiel in meinen Vorlesungen auch gelegentlich witzig zu sein, aber leider klappt das meistens nicht so gut, oder die Studierenden verstehen meinen Humor nicht (lacht). Aber ich würde schon sagen, dass Humor eine Form von intelligenter, wacher Weltbeobachtung ist und hilft, das Komische herauszuarbeiten. Und dazu gehört, dass man nicht zu moralistisch sein darf, denn dann kann man nicht über die Dinge lachen. Viele Menschen sind zurzeit eher moralisierend unterwegs und daher eben auch sehr humorlos.
Doch zum Humor gehört, sich den Sinn für das Komische zu bewahren, das heißt, für all das, was widersprüchlich, mehrdeutig oder ambivalent ist. Schütze würde sagen für den Zusammenstoß zwischen Geist und Körper, zwischen Freiheit und dem, was wir nicht frei bestimmen können. Insofern ist dieses Lachen selbst sowohl Befreiung als auch die Reflexivität dessen, woraus man sich nicht befreien kann. Daher wäre Sensibilität für Komik, oder wenn man das dann auch Humor nennt, tatsächlich etwas, was ich mir von mehr Menschen wünschen würde.
Über Stephan Schütze
Johann Stephan Schütze wurde am 1. November 1771 in Olvenstedt geboren. Schütze studierte evangelische Theologie, arbeitete als Privatlehrer und Hofmeister. 1804 ging er nach Weimar, um als Schriftsteller zu arbeiten. Schnell galt er als wunderliches Orginal, was auch an seinem zurückhaltenden Auftreten und etwas seltsamen Wuchs lag. Schütze war im Kontakt mit Arthur Schopenhauer und gehörte zum Kreis um Johann Wolfgang Goethe. Schütze starb am 19. März 1839