Jetzt als Visual Story lesen
Das Wasser in dem kleinen Gartenteich gluckst und schlägt leichte Wellen, als Wolfgang Böhme den Kescher hineintaucht. Mit ein paar gekonnten Handgriffen holt er das Fangnetz wieder herauf und greift hinein, um darin nach Amphibien zu suchen. Schließlich hält er eine zappelnde, wenige Zentimeter lange Feuersalamanderlarve in der Hand. „Da sie Kiemen hat, muss die Larve schnell zurück ins Wasser“, sagt er und lässt das Tier sanft ins kühle Nass zurückgleiten.
Dem Professor ist die Routine anzumerken. Der 77-Jährige arbeitete am Zoologischen Forschungsmuseum Koenig in Bonn, zuletzt viele Jahre als stellvertretender Direktor. In den USA, Asien und Afrika erforschte der Spezialist für Amphibien und Reptilien neue Arten. Tag für Tag geht der Professor noch in sein Büro im Museum und beschäftigt sich nun mit Aufgaben, die während seiner wissenschaftlichen Laufbahn liegengeblieben sind.
Umfangreiche Artenlisten
Kürzlich publizierte er ein Thema, dass er über 36 Jahre hinweg mit Leidenschaft verfolgt hat: Eine wissenschaftliche Monographie über seinen Garten am Annaberg in Friesdorf. Auf rund 1.000 Quadratmetern fand der Biologe zusammen mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Lauf der Jahrzehnte fast 800 verschiedene Tier-, Pflanzen- und Flechtenarten. „Das spiegelt nur einen Teil der Biodiversität wider“, sagt Böhme. „Vor allem die Insektengruppen sind (noch) nicht komplett erfasst.“
Böhme holt einen seiner zahlreichen Schaukästen hervor. Große und kleine Insekten sind darin auf Nadeln gespießt und beschriftet. Allein 83 verschiedene Wildbienenarten, darunter auch zahlreiche Hummeln, aus seinem Garten sind belegt. Hirschkäfer tummeln sich genauso auf seinem Grundstück wie eine Barren-Ringelnatter. Letztere galt lange Zeit als eine Subspezies, bis Wolfgang Böhme zusammen mit anderen Forschenden den Beweis erbrachte, dass es sich dabei um eine eigene Schlangen-Art handelt. Eine Schlange im eigenen Garten? „Gefährlich ist das nicht“, lacht der Wissenschaftler. Ringelnattern haben keine Giftdrüsen.
Wissenschaft „nebenbei“
Sein wissenschaftliches Gartenprojekt erledigte Böhme quasi nebenbei. Wenn er Büsche zurückschnitt, achtete er gleichzeitig auf die Tierwelt. Entfernte er Algen aus den kleinen Tümpeln, fischte er auch die Amphibienlarven heraus. Beim Frühstück auf der Terrasse erfasste er mit einem Ohr anhand der Gesänge, welche Vögel gerade unterwegs waren. „Ich habe genau dokumentiert, wann ich den letzten Kuckuck auf meinem Grundstück gehört habe. Das war im Juni 1991.“ Die Vogelart sei in Bonn inzwischen nahezu ausgestorben.
1986 hat der Professor das Haus mit Grundstück am Annaberg erworben. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, berichtet er. Das kleine Häuschen kuschelt sich über mehrere Etagen an den Steilhang. Über die Terrassentür und eine kleine Holzbrücke betritt man den Garten, der sich steil nach oben bis über die Kuppe hinüberzieht. „Bis 1874 handelte es sich dabei um einen Weinberg“, berichtet Böhme. „Dann bereitete die aus Nordamerika eingewanderte Reblaus dem Weinanbau ein Ende.“ Anschließend „verwilderte“[ES1] das schmale Grundstück – die Natur hielt seitdem weitgehend ungestört Einzug. Die Weinberg-Terrassen sind immer noch unter dem Pflanzenkleid zu erahnen.
Im Lauf der vielen Jahre stellte Böhme allmähliche Verschiebungen im Artenspektrum fest. Von einem recht warmen Weinberg mit Sibirischen Schwertlilien und Rosen wandelte sich der Bewuchs gerade im oberen Bereich immer mehr in Richtung Wald. „Arten des Offenlandes wie etwa Türkentaube, Grünfink und Hausspatz verschwanden, Schwarzspecht, Hohltaube und Schwarzstorch als Waldspezies kamen hinzu“, berichtet er. Außerdem macht sich die Klimaerwärmung bemerkbar. „Aus südlichen Gefilden ist etwa auch eine wärmeliebende Goldwespen-Art eingewandert, die ich erstmalig in Nordrhein-Westfalen bei ihrem Vordringen nach Norden registriert habe.“
Immer ein Glasröhrchen in der Hosentasche
Fast täglich durchstreift Böhme den steilen Hanggarten, um nach dem Rechten zu sehen und Ausschau zu halten. „Ich habe immer ein Glasröhrchen in der Hosentasche“, sagt Böhme. Entdeckt er ein neues Insekt, landet es für die spätere Bestimmung in dem Röhrchen.
Für den Zoologen ist sein Garten angesichts des galoppierenden Artenschwundes wie ein kleine Arche Noah am Annaberg. Böhme hat die Monographie nun fertiggestellt, um die Artenvielfalt zu dokumentieren. „Außerdem möchte ich auch andere anregen, sich in ihren Gärten für die dort vorkommenden Spezies zu interessieren und sich für eine naturnahe Gestaltung einzusetzen.“