Was man einmal angefangen hat, das zieht man auch durch. Wie ein Mantra gilt diese Aussage in Deutschland weithin. Ein geradliniger Lebenslauf? Wichtig. Ein Abbruch des Studiums ohne Abschluss, sogar ein Fachwechsel? All das wird gesellschaftlich oftmals als Scheitern wahrgenommen. Das führt zu einem hohen Leidensdruck bei vielen Studierenden, wie man in der Zentralen Studienberatung in Bonn weiß: "Solche Gedanken sind noch immer ein großes Tabu-Thema“, so Dipl.-Geogr. Lea Jenkner von der ZSB. Mit oft schlimmen Folgen: „Zweifel, denen man nicht begegnet, können sich verstärken und psychische Probleme auslösen, mit Studienabbrüchen ohne Abschluss – und oft auch ohne direkte Alternative.“
Alternativen aufzeigen, bei Zweifeln unterstützen: Das hat sich die Zentrale Studienberatung zur Aufgabe gemacht. Der Beratungsbedarf ist enorm: Im Corona-Jahr 2020 beschäftigten sich 40,36 Prozent von rund 1000 Terminberatungen bei der ZSB mit dem Thema Zweifel am Studium.
Dabei geht es nicht darum, Studierende zu etwas überreden. Die Gespräche folgen vielmehr dem Leitgedanken der ZSB „Dieser lautet ‚Neutral, vertraulich und individuell‘“, resümiert Jenkner. Neben einem Studienausstieg ist das Aufzeigen von Alternativen eine Möglichkeit, der Wechsel innerhalb des Studiengangs – oder eben ein Weitermachen mit weiterer Unterstützung.
Die Lösungen sind so individuell wie die Probleme, die die Studierenden mitbringen – und erfordern viel Fingerspitzengefühl. „Es kann auch sein, dass jemand Forschung zu trocken ist, er aber mittendrinn seine Leidenschaft fürs Lehren entdeckt. Wir hatten jemanden, der aus der Romanistik heraus in ein Lehramtsstudium gewechselt ist.“, so Jenkner. Andere merken erst spät im Studium, dass es nicht mehr weitergeht. „Dann sprechen wir darüber, wovor man Angst hat. Oft hilft es auch, andere Beispiele aufzuzeigen.“ Beispiele für die unterschiedlichen Umgänge mit Studienzweifeln hat man im Next Career Projekt online zusammengestellt
„Wir hatten auch eine Studentin, die extrem unzufrieden war wegen der Organisation im Bachelor und der Vermittlung der Lehrinhalte. Sie hat das Studium dann durchgezogen, samt Master, weil es zu ihrem Traumberuf führte“, so Jenkner. „Eine andere hat kurz vor der Masterarbeit abgebrochen nach der Beratung, weil es einfach nicht ging.“
Jenkner hat selbst mit Skandinavistik angefangen in Bonn, mit Nebenfach Anglistik und Geographie. Nach dem zweiten Semester merkte sie, dass es nicht ganz passte, sattelte um auf Geographie im Hauptfach, arbeitete schließlich in der Fachstudienberatung, bevor sie zur ZSB kam. Sie rät: „Es ist immer sinnvoll, ein erstes Beratungsgespräch zu suchen, sich vielleicht an eine gute Freundin, Familie oder die ZSB zu wenden. Beratung bedeutet nicht, dass die Person die Uni zwangsläufig verlässt. Wir beraten bei allen Fragen und Problemen im Student Life Cycle. Auch wenn man gar nicht so genau weiß, was das Problem ist. Wir sind erste Anlaufstelle und verweisen im Bedarfsfall weiter.“ Denn im Zentrum steht, das Passende für die Studierenden zu ermöglichen.
Philipp Speer (22), studiert heute Geschichte und Philosophie auf Lehramt in Bonn.
„Eigentlich wollte ich Klavier und Dirigieren an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln lernen. Nach dem Abi riet man mir aber, was Richtiges‘ zu studieren. Also schrieb ich mich eher Hals über Kopf ein in ein Studium der Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement in Wuppertal. Wenn auch interessant, fühlte sich von Anfang an aber nicht richtig an. Neben dem hohen Workload gab es zudem Themen, die mir nicht lagen, und der spannende medizinische Aspekt stand erst sehr spät im Lehrplan.
Vielleicht hätte ich es durchziehen sollen, man hat ja am Anfang nichts zu verlieren, aber ich brach ab, arbeitete kurz als Produktionshelfer, machte einen Potentialanalyse und informierte mich intensiv. So kam ich nach Bonn, begann mit Geschichte und Katholischer Theologie auf Lehramt, sattelte dann auf Philosophie als Zweitfach um, weil es mir näher lag. Es gefällt mir, ich habe ein Praktikum in der Schule gemacht, es passt. Mein Tipp: Wenn man aber merkt, dass es auf lange Sicht nicht klappt, nicht auf Krampf versuchen, es durchzuziehen.“
Michael Schema (30), ist heute Recruiter & Office Manager bei einer Internetagentur.
„Nach zwei Semester Chemie wechselte ich in ein Studium der Sozialwissenschaften. Das Studium hat besser zu mir gepasst. Zugleich engagierte ich mich politisch im AStA, als Referent für Politik, später wurde ich Landes-ASten-Koordinator NRW, war quasi Lobbyist und Ansprechpartner für die Politik. Durch viele Termine blieb das Studium auf der Strecke. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass das alles nicht schaffbar ist.
Über die IHK und deren Programm „Passgenaue Besetzung“ kam ich zu meinem jetzigen Arbeitgeber, einer Fullservice Internetagentur in Bonn, wo ich mich verkürzt in nur 2 Jahren zum Kaufmann für Büromanagement ausbilden ließ. Ich bereue nicht, das Studium angefangen zu haben, da es mir viele meiner Fähigkeiten vermittelte und auch die Verkürzung der Ausbildung ermöglichte. Ich hätte vielleicht früher auf die Studienberater:innen zugehen können, da zwei Köpfe besser denken als einer.“