Was macht für Sie eine vielfältige Hochschule aus?
Hollstegge: Wir verstehen unter einer „vielfältigen Hochschule“ das Ziel, mehr Chancengerechtigkeit und ein Bewusstsein für Vielfalt herzustellen. Es ist eine Querschnittsaufgabe, die in alle Bereiche des universitären Lebens und Arbeitens hineinstrahlt. Alle Angehörigen und Mitglieder der Universität müssen sich ihrer jeweiligen Verantwortung im gemeinsamen Umgang miteinander bewusst werden.
Uns ist daran gelegen, in Interaktion mit möglichst vielen Vertreter:innen verschiedener Statusgruppen zu treten und diese miteinander zu vernetzen. Das fördert das Zusammenwirken und die Ausbildung gemeinsamer Stärken und baut Hürden, die diesem Ziel im Wege stehen, konsequent ab.
Wir möchten damit die Grundsteine für möglichst diskriminierungsfreie, familiengerechte, gleichstellungsorientierte und inklusive Studien- und Arbeitsbedingungen legen. Und zwar für alle – unabhängig von ethnischer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, Alter oder sexueller Identität.
Gibt es ein Thema, das Ihnen persönlich besonders am Herzen liegt?
Förster: Wir konzentrieren uns bewusst nicht nur auf eine der genannten Diversitätsdimensionen, da wir niemanden außen vorlassen wollen.
Allerdings versuchen wir natürlich trotzdem auch Schwerpunkte zu setzen. Ein besonderes Anliegen ist mir der Aspekt der Familiengerechtigkeit, um das sich insbesondere das Familienbüro an der Universität kümmert.
Gendergerechtigkeit ist ebenfalls ein Thema, für das ich mich sehr einsetze. Hier liegt der Fokus ganz klar bei der Steigerung des Frauenanteils unter den Professuren. Daneben gibt es aber natürlich noch viele andere Aspekte, die wir im engen Austausch mit dem Gleichstellungsbüro behandeln.
Wie sind Sie zu diesen Themen gekommen?
Förster: Ich habe mich nach dem Studium der Humanbiologie für eine wissenschaftliche Karriere entschieden und dabei die Unterrepräsentanz von Frauen in der Wissenschaft, insbesondere in Leitungspositionen, erlebt. Die damit einhergehenden geschlechtsspezifischen Herausforderungen waren sehr deutlich. Besonders spürbar wurde das, als ich Mutter wurde. Mit einem kleinen Kind ist es schwierig, die zeitliche Flexibilität und Mobilität aufzubringen, die es braucht, um als Wissenschaftlerin erfolgreich zu sein. Aus diesen persönlichen Erfahrungen heraus entstand das Anliegen, zur Erhöhung der Sichtbarkeit von Frauen und der Schaffung eines familienfreundlicheren Umfeldes beizutragen.
Hollstegge: Natürlich müssen wir alle Dimensionen im Blick haben, eine intersektionale Perspektive einnehmen. Als Kind aus einer Nicht-Akademiker:innen-Familie kann ich allerdings nicht leugnen, dass mir Bildungsgerechtigkeit besonders am Herzen liegt. Rund 30 Prozent unserer Studierenden sind „Erststudierende“, also die ersten, die in ihrer Familie studieren. Mir ist es ein Anliegen, zielgruppenspezifische Angebote für sie zu schaffen, um die Chancen für einen erfolgreichen Studienverlauf zu erhöhen.
Gab es ein „Aha-Erlebnis“, das Ihnen gezeigt hat, wie wichtig Diversität ist?
Hollstegge: Vor einigen Jahren koordinierte ich ein Programm für Nicht-Akademiker:innen. Eine Teilnehmerin, die auf dem zweiten Bildungsweg den Hochschulzugang erworben hatte, schilderte mir eindrücklich, wie schwierig es war, sich an der Uni zu orientieren und als „Ältere“ in der Gemeinschaft der Studierenden akzeptiert zu werden.
Wo ist die Uni Bonn bereits gut aufgestellt?
Förster: Um nur einige Beispiele aus den letzten Jahren zu nennen: Durch die Mittel der Exzellenzstrategie konnte das Programm zur Stärkung des Equal Opportunity-Prozesses (STEP) implementiert werden, durch das Frauen auf ihrem Karriereweg an der Uni durchgehend Unterstützung finden. Wir konnten damit den Anteil an Professorinnen an der Universität in den letzten fünf Jahren von 19 auf derzeit mehr als 25 Prozent erhöhen.
Auch fördern wir das Programm „MitSprache“, ein Service-Learning-Angebot, bei dem Studierende Neuzugewanderte beim Deutschlernen unterstützen.
Das Förderprogramm „Inklusive Hochschule“ des Landes NRW, an dem sich auch unsere Universität beteiligt, fördert Maßnahmen, die Studierende mit Behinderung und/oder chronischer Erkrankung dabei unterstützen, ihr Studium ohne Nachteile zu absolvieren und erfolgreich abzuschließen. Koordiniert wird es von meinem Kollegen, Prorektor Sandmann, und seinem Team.
Auch in den Fakultäten, in den Transdisziplinären Forschungsbereichen und Clustern passiert viel: Es gibt Arbeitsgruppen, die sich mit Diversität im Allgemeinen befassen, aber zum Beispiel auch Projekte, die sich mit einzelnen Aspekten oder Dimensionen von Diversität, wie zum Beispiel der Verwendung von Sprache, auseinandersetzen. Eine neue Forschungsstelle an der Philosophischen Fakultät nimmt ebenfalls Diversität in den Blick.
Wo sehen Sie Aufholbedarf?
Hollstegge: Luft nach oben gibt es sicherlich in den Bereichen Antidiskriminierung und Rassismuskritik. Hier werden wir in Kürze durch eine neue Richtlinie und personelle Verstärkung in der Stabsstelle einen Schritt nach vorne machen können. Was wir bereits erreicht haben, ist die Einrichtung eines externen Angebots für eine rassismuskritische Beratung. Diese Anregung kam aus den Reihen der Studierendenschaft, aus dem autonomen BIPoC-Referat um genau zu sein. Für Studierende und Forschende mit Zuwanderungs- und Fluchtgeschichte sind wir gerade dabei, das Pathways-to- Research-Programm weiter auszubauen.
Haben Sie ein weiteres Beispiel, wie Sie Diversität an der Uni etabliert haben?
Förster: Zu unseren Aufgaben gehört es auch, strukturelle Impulse zu geben. Hierzu zählt zum Beispiel die Erstellung neuer Richtlinien zum Thema Diversität und Diskriminierungsschutz. Dazu müssen wir eng mit den anderen Akteur:innen zusammenarbeiten. Die Verwaltungsstrukturen haben einen direkten Einfluss auf die Rahmenbedingungen an der Uni.
Ein konkretes Beispiel: Es ist transidenten Studierenden und Mitarbeitenden der Uni Bonn nun möglich, schon vor dem Gerichtsverfahren zur Namensänderung ihren Namen und Geschlechtseintrag zu ändern. Dies verhindert, dass sich betroffene Personen outen müssen, wenn sie nicht mit dem falschen Namen angesprochen werden wollen.
Wie divers ist die Uni?
Hollstegge: So divers und bunt wie die Gesellschaft. Die Hochschulangehörigen zeichnen sich durch sehr individuelle Hintergründe, unterschiedliche Werthaltungen, Lernweisen oder auch Studienmotivationen aus, die sich sehr deutlich auf den Lern- und Studienerfolg auswirken und vielfach durch Sozialisation in der Hochschule beeinflusst und verändert werden können. Die aktuelle Studierendenbefragung des ZEM gibt auch davon einen guten Eindruck: Knapp neun Prozent der Teilnehmer:innen gaben an, eine chronische Erkrankung oder Behinderung zu haben, mehr als fünf Prozent pflegen Angehörige und rund drei Prozent betreuen Kinder im familiären Kontext. Über elf Prozent unserer Professorenschaft hat einen internationalen Background, bei den Studierenden sind es fünfzehn Prozent.
Wieso profitieren wir von dieser Vielfalt?
Förster: Werden die Forschungsteams diverser besetzt, werden auch die Ergebnisse ihrer Forschung innovativer. Somit hat die Förderung der Diversität einen wichtigen Einfluss auf das Gelingen der Exzellenzstrategie. Durch verschiedene Perspektiven, mehr Erfahrungswerte und Neudenken. Dafür setzen sich auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), der Wissenschaftsrat und weitere Fördergeldgeber:innen ein.
Hollstegge: Das Bewusstmachen und Anerkennen von Vielfalt und der damit verbundene Abbau von Hürden wirken sich auf die Universität als Organisation positiv aus, etwa durch eine erhöhte Identifikation, die Stärkung des WIR-Gefühls, bessere Studienverläufe und dementsprechend geringere Studien-
abbruchszahlen oder weniger Fluktuation bei Mitarbeitenden.
Wie wollen Sie Chancengerechtigkeit und Vielfalt unter den Akteur:innen voranbringen?
Förster: Es geht um die Weiterentwicklung einer Kultur der Wertschätzung und Anerkennung. Ich denke, dass es uns nicht ohne transparente Kommunikation und engagierte Multiplikator:innen gelingen kann. Deshalb legen wir auch so viel Wert auf das Schaffen von Vertrauen in Netzwerken. Wir möchten, dass Studierende, Lehrende, Wissenschaftler:innen untereinander Kontakte knüpfen, um so gemeinsam neue Ideen zu entwickeln, die die Uni als Ganzes voranbringen können. Wir möchten daher ein Umfeld schaffen, in das das Wissen und die Erfahrungen von vielen einfließen. Dadurch kann sich die Universität als Organisation in ihren Strukturen chancengerechter entwickeln. Daher spielen etwa die Aspekte der Vielfalt und Chancengerechtigkeit auch in der Exzellenzstrategie der Uni eine wichtige Rolle.
Wie kann es gelingen, ein größeres Bewusstsein für Diversität zu schaffen?
Hollstegge: Viele Mitarbeitende und Lehrende haben Diversität bereits im Blick, aber noch nicht unbedingt das nötige Wissen zu allen Dimensionen. Sensibilisierung und Aufklärung durch beispielsweise persönliche Gespräche, Workshops oder andere Veranstaltungsformate können Wissenslücken schließen, und so zu mehr Verständnis bestimmten Themen und Personengruppen gegenüber führen.
Wie nehmen Sie die Mitarbeitenden mit auf diesem Weg?
Hollstegge: Oft fühlen sich Menschen durch Änderungsvorschläge anfangs vor den Kopf gestoßen. Es kann auch das Gefühl aufkommen, „andere“ würden übervorteilt. Dann ist es gerade wichtig zu vermitteln: Wir alle sind divers. Die Maßnahmen, die wir umsetzen, helfen möglicherweise zunächst nur einer bestimmten Gruppe von Menschen. Am Ende profitieren wir dann aber alle davon: als lernende Organisation und als Gesellschaft, indem wir so zu besseren Lösungen kommen.
Gibt es Beispiele für Projekte, die Sie schon umgesetzt haben?
Förster: Etwas auf das wir sehr stolz sind, ist die Durchführung des Pilotprojektes „Kostenlose Menstruationsprodukte für Studierende“, welches wir gemeinsam mit dem AStA zum Sommersemester 2022 gestartet haben. Hier gab es fast ausschließlich positive Rückmeldungen. Inzwischen hat das Rektorat erfreulicherweise die Verstetigung des Projektes verabschiedet.
Ein besonderes Highlight waren ganz sicher auch unsere Aktivitäten rund um den bundesweiten Diversity Day Ende Mai.
Welche konkreten Maßnahmen plant die Uni mittel- und langfristig?
Förster: Wieviel Zeit haben Sie noch? (lacht) Wir stehen vor dem Re-Audit „Vielfalt gestalten“ des Deutschen Stifterverbandes, vor der Evaluierung der Exzellenzstrategie, überprüfen den Stand der, auch digitalen, Barrierefreiheit, planen eine Workshopreihe und Begleiten den Planungsprozess für einen Kitabau auf dem Campus Poppelsdorf.
Unser Ziel ist es, möglichst viele Forschende, Lehrende und Studierende in unser uniweites Netzwerk einzubinden, uns gegenseitig zu stärken und mit- und voneinander zu lernen.
Es gibt ein berühmtes Zitat von Verna Myers, einer führenden Expertin für Vielfalt und Integration, das besagt: „Vielfalt bedeutet, zur Party eingeladen zu werden. Inklusion ist, wenn man zum Tanzen aufgefordert wird.“Wir wollen zum Tanzen auffordern! Das ist unser Ziel.