31. Mai 2024

Ein bisschen Narzissmus ist bei Vorgesetzten von Vorteil Ein bisschen Narzissmus ist bei Vorgesetzten von Vorteil

Der Psychologe Gerhard Blickle untersucht, was Führungskräfte brauchen

Vorgesetzte sollen inspirieren, Führung zeigen, gute Arbeitsbedingungen schaffen und ihr Team motivieren. Prof. Gerhard Blickle, Leiter der Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie, untersucht mit seinem Team, welche Persönlichkeitsmerkmale Führungskräfte für diese vielfältigen Aufgaben brauchen. Ein Ergebnis ist, dass der Narzissmus eine wichtige Rolle spielt.

Pfau und Spiegel
Pfau und Spiegel © Adobe Firefly / Sebastian Eckert / Gregor Hübl
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Was bedeutet ein hohes Maß an Narzissmus für das Team?

In Teambesprechungen spricht fast nur eine Person, hauptsächlich über sich, sie hört nur ungeduldig zu, versteht Nachfragen als Kritik und Kritik als Kriegserklärung. Die Mitarbeitenden im Team wechseln oft, viele der Ehemaligen werden als undankbar, anspruchsvoll fordernd oder als überfordert abqualifiziert. Die Führungskraft will keine Mitarbeitenden auf Augenhöhe, sondern bewundernde, aufopferungsvolle Gefolgschaft. Aber es gibt auch milde Formen von Narzissmus, die hilfreich in Führungsfunktionen sind.

Wie viel hilfreichen Narzissmus braucht eine Führungskraft?

Ein bisschen, aber nicht zu viel: Eine Führungskraft sollte selbstbewusst sein, überzeugt sein, dass sie weiß, wie die Aufgaben und Herausforderungen zu lösen sind, und wer im Team für welche Aufgabe am besten geeignet ist. Sie sollte auch vor Konflikten nicht zurückschrecken, aber nicht persönlich empfindlich sein. Wenn Mitarbeitende höflich nachfragen, Probleme aufzeigen oder Kritik üben, sind sie weder Verräter, noch Versager, noch Dünnbrettbohrer, sondern tragen damit zum Erfolg des Teams bei. Für die Zufriedenheit von Mitarbeitenden ist Rollenklarheit wichtig. Und sie arbeiten auch gerne in einem Team, auf dessen Erfolge sie stolz sein können. Wenn Vorgesetzte ihr Team loben, tut das allen gut.

Ist Narzissmus gleichbedeutend mit Power und Selbstüberzeugtheit?

Narzissmus ist kein binäres Konzept, sondern ein Phänomen in Abstufungen. Es gibt pathologische Narzissten, grandiose Narzissten, Personen mit überdurchschnittlichen narzisstischen Tendenzen, Menschen mit einem starken Selbstbewusstsein und eher bescheidene Menschen. Je höher der Narzissmus ausgeprägt ist, desto mehr kommt zum Selbstbewusstsein und Drang nach Bewunderung die Überzeugung, Vorrechte zu haben und eine Sonderbehandlung zu verdienen, Kritikempfindlichkeit, Missgunst, Rivalität und offene Aggression gegen all jene, die die Sonderstellung in Frage stellen.

Kann eine Leitungsperson im Berufsalltag bestehen, wenn sie über wenig Narzissmus verfügt?

Mit Leitungspositionen sind meistens Repräsentationsaufgaben sowie der Kampf um Ressourcen und Status verbunden. Das können Menschen, die nach Bewunderung streben und vor Konflikten nicht zurückscheuen, gut. Aber wie bei den meisten Dingen im Leben, gibt es nicht nur einen Weg nach Rom. Vieles lässt sich im Führungsalltag auch mit sozialem Geschick sehr erfolgreich lösen. Das hat zudem den Vorteil, dass diese Menschen eine innere Bremse kennen, dass sie wissen, wo die Grenzen sind und diese nicht überschreiten. Das fehlt Personen mit hohem Narzissmus oft: Sie halten ihre Ansprüche nicht für überzogen, sondern in ihren Augen wehren sie sich nur gegen die Missgunst und Inkompetenz anderer.

Wie kann das Team auf Vorgesetzte einwirken, wenn diese mit ihrem Narzissmus übertreiben?

Das Team verlassen und eine andere Stelle suchen.

Können übersteigerte Narzissten bei der Personalauswahl erkannt werden?

Sie verhalten sich auch in Auswahlsituationen narzisstisch, da sie dort mit anderen konkurrieren. Man kann die Personen nach Situationen in ihrem bisherigen Berufsleben fragen, die für sie schwierig waren, und wie sie sie bewältigt haben. 

Welche Persönlichkeitsmerkmale sind für eine Führungskraft noch wichtig?

Wenn man als Organisation gute Ergebnisse möchte, dann sind emotionale Stabilität und Stressresilienz bei Führungskräften wichtig. Ebenso Fairness gegenüber den Leistungen der Mitarbeitenden. Und wenn Führungskräfte ihre Mitarbeitenden mit Respekt und Wertschätzung behandeln, löst das Team viele Probleme ganz selbstständig, ohne dass sich die Führungskraft damit befassen muss.

Wie kamen Sie dazu, Narzissmus aus arbeitspsychologischer Sicht zu untersuchen?

Wir befassen uns mit den hellen Seiten dunkler Persönlichkeitsmerkmale. Die Überlegung ist, dass es auch in diesen Phänomen Aspekte gibt, die funktional sein können. Etwa wer wirkliche Probleme lösen will, der braucht Selbstbewusstsein, das Gefühl einer Berufung „Ich kann’s“ und die Bereitschaft, etwas durchzufechten.

Wer sich mit dem Thema weiter beschäftigen möchte, wo sind gute Informationen zu finden?

Bei den Mitarbeitenden: Vorgesetzte sollten sich immer Zeit nehmen, richtig zuzuhören und dankbar sein, wenn Mitarbeitende Probleme ansprechen, anstatt als Führungskraft vorschnell gekränkt zu reagieren. Denn ein Problem, das viele Führungskräfte haben, ist, dass ihnen die Mitarbeitenden gerne erzählen, dass alles klappt und dass sie alles im Griff haben. Vorgesetzte sollten signalisieren: „Ich helfe Dir bei Problemen gerne! Auch ein erster Misserfolg ist eine Chance, ein Problem dennoch im zweiten Durchgang zu lösen.“

Aktuelle Studie

Prof. Gerhard Blickle
© ARMIN HOEHNER

Prof. Gerhard Blickle hat mit Franziska Böhm und Prof. Andreas Wihler von der Universität Exeter in einer Studie mit 640 Führungskräften aus produzierendem Gewerbe über den öffentlichen Dienst bis zu Handel und Logistik untersucht, wie sich die Dosierungen von Narzissmus auf die Mitarbeitenden auswirken. Insgesamt beteiligten sich 1259 direkt Unterstellte an den Umfragen. Die Studie zeigt, dass eine kleine Dosis Narzissmus bei Führungskräften mit einer guten Zufriedenheit des Teams mit der Führungskraft einhergeht. Ein Zuviel an Narzissmus führt dagegen zu aggressiver Rivalitätsneigung und nachlassender Mitarbeitendenzufriedenheit.

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